Rückschau auf eine Ausnahme-Viennale
Wäre Hans Hurch zufrieden gewesen mit dieser Viennale? Man weiß es natürlich nicht, aber es spricht jedenfalls nichts dagegen. Die Zuschauerzahl entsprach mit rund 92.000 in etwa jener des Vorjahres. Als Stargäste brachten Vanessa Redgrave internationalen Glanz und Christoph Waltz Hollywood-Feeling ins Gartenbaukino, während Barbara Albert und Georg Friedrich österreichische und deutsche Filmkunst hochhielten. Auf der Leinwand glänzten unter anderen Nicole Kidman („How to Talk to Girls at Parties“ - siehe Bild ganz oben), Kate Winslet („Der Gott des Gemetzels“ und „Wonder Wheel“) und David Lynch („Lucky“).
Schon beim Eröffnungsfilm bewies die Viennale wieder einmal Gespür für leise Töne, die in stürmischen Zeiten ans Herz gehen. „Lucky“, das Regiedebüt des Schauspielers John Carroll Lynch, ist eine Ode an das, was im Leben am Ende zählt, und eine ebenso vergnügliche wie feinsinnige Hommage an den kürzlich verstorbenen Charakterdarsteller Harry Dean Stanton. Mehr dazu in Abschied in Feinripp.

Viennale
David Lynch (links) und Harry Dean Stanton in „Lucky“
Vater-Sohn-Drama mit Georg Friedrich
Nach dem Eröffnungsfilm „Lucky“ war „Helle Nächte“ von Regisseur Thomas Arslan das zweite ganz große Highlight dieser Viennale. Georg Friedrich spielt einen Mann, der seinen Vater verloren hat und versucht, seinen Sohn zurückzugewinnen. Ein Film, der im hohen Norden Norwegens spielt - und wohl niemanden kaltlässt. Mehr dazu in Wenn Väter es verbocken.
Barbara Alberts historisches Drama
Barbara Alberts „Licht“ ist ein historisches, psychologisches und zugleich gesellschaftspolitisch brisantes Drama. Die junge Resi, hervorragend gespielt von Maria Dragus, wird in die Rolle des Klavierwunderkinds gezwungen - zu Mozarts Zeiten. Ohne Sehvermögen wird sie vorgeführt wie ein Zirkusäffchen. Doch dann erlaubt sie sich ein kleines bisschen Individualität. Mehr dazu in Es werde „Licht“.

Viennale
Historische Kostüme, aktuelle Thematik in Barbara Alberts „Licht“
Venedig-Gewinner in Wien
Guillermo del Toros preisgekrönter Film „The Shape of Water“ war einer der Publikumsmagneten der diesjährigen Viennale. In der unkonventionellen Mischung aus Melodram, Actionthriller, Komödie, Fantasyfilm und Musical findet eine Putzfrau die Liebe ihres Lebens in Form eines mysteriösen Amphibienmannes. Und das Erstaunlichste daran ist, dass einem das nicht im Geringsten unrealistisch vorkommt. Mehr dazu in Wenn Mädchen Monster lieben.
Brisantes Aids-Drama
In dem sozialrealistischen Spielfilm „120 Battements par minute“ des französischen Regisseurs Robin Campillo kämpft eine Gruppe von Aids-Aktivisten gegen die Gleichgültigkeit in der Gesellschaft und die Versäumnisse der Politik Anfang der 1990er Jahre in Paris. Die Liebesbeziehung zwischen zwei Männern gibt dem Ganzen eine persönliche und bewegende Note. Mehr dazu in "Gemeinsam gegen die Gleichgültigkeit.
Stargast Christoph Waltz in Wien
Von Journalisten gefürchtet, von Fans verehrt und von Schauspielkollegen bewundert - Christoph Waltz wird hierzulande gern als „Österreichs Hollywood-Export“ bezeichnet und hat Wien im Rahmen der Viennale einen Besuch abgestattet. Gut gelaunt präsentierte er sich am Dienstagabend Publikum und Presse vor dem Gartenbaukino. Mit im Gepäck hatte er seinen neuen Film „Downsizing“. Mehr dazu in Waltz und der „Groove“ von Wien.

Viennale/Alexi Pelekanos
Gewohnt pointiert beim Publikumsgespräch: Christoph Waltz
Vanessa Redgrave präsentiert Regiedebüt
Mit 79 Jahren hat die britische Schauspielerin Vanessa Redgrave ihr Regiedebüt geschaffen: „Sea Sorrow“ handelt vom Leid von Flüchtlingen, und Redgrave erzählt auch von ihren eigenen Kindheitserinnerungen, wie sie aus dem kriegsgebeutelten London in Sicherheit gebracht wurde. Es ist ein tiefempfundenes Stück Kino – und bei der Viennale war Redgrave persönlich zu Gast. Mehr dazu in Vom Verlorengehen und Gerettetwerden und „Solche Erfahrungen prägen ein Leben“.
Linklaters Tragikomödie
In „Last Flag Flying“ sucht Regisseur Richard Linklater eine komödiantische Antwort auf eine schwierige Frage, die gerade in letzter Zeit traurige Aktualität gewonnen hat: Wie geht eine Gesellschaft mit Krieg und dessen Opfern um? Mehr dazu in Der Tod des Soldaten.

Amazon/Lionsgate
Szenenbild aus „Last Flag Flying“; links im Bild: Bryan Cranston
Ferraras Multikulti-Spaziergang
Der US-amerikanische Regisseur Abel Ferrara hat eine kleine Doku über einen Platz in Rom gedreht, an dem es vor Menschen aus unterschiedlichen Ländern nur so wimmelt, ähnlich wie auf dem Wiener Reumannplatz. Ein Film, wie geschaffen für Österreich: Ohne Mission bedient er weder die Fantasie vom multikulturellen Schlaraffenland noch die in Österreich salonfähig gewordene krankhafte Angst vor dem Fremden. Mehr dazu in Multikulti? Nachfragen, bis es wehtut.
„Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“
Eine Frau verlangt Gerechtigkeit für den Mord an ihrer Tochter, wird von den Behörden zuerst ignoriert, dann gedemütigt und wehrt sich: „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ ist ein fulminanter Film voll finsteren Humors, der von Toronto bis San Sebastian bei Festivals die Publikumspreise abräumte – und nun bei der Viennale begeistert. Und es ist ein Film, der Mut macht. In der Hauptrolle glänzt Frances McDormand. Mehr dazu in Die einsame Rächerin.

2017 Twentieth Century Fox
Frances McDormand zeigt ihr schauspielerisches Können in „Three Billboards“
Teherans Doppelmoral als Animationsfilm
Mit „Teheran Tabu“ ist dem in Deutschland lebenden Iraner Ali Soozandeh ein aufwühlendes Spielfilmdebüt gelungen. Das als Animationsfilm realisierte Drama gewährt tiefe Einblicke in ein von Doppelmoral und Unterdrückung geprägtes Leben und erzählt vom Kampf um Selbstbestimmung in einer zerrissenen Stadt. Mehr dazu in Tabubruch im Gottesstaat.
Vom Leben der Frauen in Favelas
Vier brasilianische Filmstudentinnen haben sich zusammengetan, um das Leben der Frauen in Favelas zu zeigen. Doch wie soll man das angehen? Das Ergebnis zeigt „embedded journalism“ im besten Sinne: die 70-Minuten-Doku „Baronesa“. Mehr dazu in Schöne Grüße aus der Favela.

Viennale
Elle Fanning und Alex Sharp in „How to Talk to Girls at Parties“
„How to Talk to Girls at Parties“
Sprühend vor Lebensfreude und verrückten Ideen, optisch opulent und großartig gespielt von Nicole Kidman, Elle Fanning und Alex Sharp: So präsentiert sich der charmante, britisch-amerikanische Science-Fiction-Klaumauk „How to Talk to Girls at Parties“ von Regisseur John Cameron Mitchell nach einem Buch von Neil Gaiman. Mehr dazu in Wenn Punks auf Aliens treffen.
Preisträger der Viennale 2017
- Wiener Filmpreis:
Kategorie Spielfilm: „Die Liebhaberin“ (Lukas Valenta Rinner, A/Südkorea/Argentinien 2016)
Kategorie Dokumentarfilm: „Untitled“ (Michael Glawogger, Monika Willi, A/D 2017) - Standard-Viennale-Publikumspreis:
„L’Insulte“ (Ziad Doueiri, F/Libanon 2017) - Fipresci-Preis (Preis der Internationalen Filmkritik):
„Distant Constellation“ (Shevaun Mizrahi, USA/Türkei 2017) - Erste-Bank-Filmpreis:
„Gwendolyn“ (Ruth Kaaserer, A 2017)
Sonia Neufeld und Simon Hadler, beide ORF.at