Szene aus "120 Battements par minute"

Viennale

„BPM“: Gemeinsam gegen die Gleichgültigkeit

In dem sozialrealistischen Spielfilm „120 Battements par minute“ des französischen Regisseurs Robin Campillo kämpft eine Gruppe von Aids-Aktivisten gegen die Gleichgültigkeit in der Gesellschaft und die Versäumnisse der Politik Anfang der 1990er Jahre in Paris. Die Liebesbeziehung zwischen zwei Männern gibt dem Ganzen eine persönliche und bewegende Note.

„In Frankreich gibt es doppelt so viele HIV-positive Menschen wie in Großbritannien oder Deutschland“, heißt es zu Beginn von „120 Battements par minutes“ (in internationalen Kritiken kurz „BPM“ genannt). Vor diesem Hintergrund verfolgt die Pariser Aktivistengruppe Act Up im Film ihre Ziele: Durch öffentlichkeitswirksame Aktionen wollen die Mitglieder mehr Dynamik und Politisierung in die Thematisierung von Aids bringen, denn die Regierung von Präsident Francois Mitterrand tut wenig bis gar nichts, um den Betroffenen zu helfen.

Gewalt als legitimes Mittel?

Schon in der Eröffnungsszene lernt man bei einem hitzigen Meeting die Hauptcharaktere der Gruppe kennen: den Anführer Thibault (Antoine Reinartz), die zielstrebige Sophie (Adele Haenel), den radikalen Sean (Nahuel Perez Biscayart) und Neueinsteiger Nathan (Arnaud Valois). Nach einer aus dem Ruder gelaufenen Aktion wird darüber diskutiert, ob Gewalt ein legitimes Mittel sei, um Pharmaunternehmen, die den Aids-Erkrankten wichtige Erkenntnisse und Medikamente vorenthalten, zum Handeln zu zwingen.

Szene aus "120 Battements par minute"

Viennale

Bei den Aktionen von Act Up fließt immer viel Kunstblut

In der Folge begleitet man die Aktivisten bei ihren wöchentlichen Treffen, den Vorbereitungen auf die Gay Pride und ihren leidenschaftlichen Verhandlungen mit Pharmalobbyisten. Während es im ersten Drittel keine klaren Protagonisten gibt und der Film eher einem Dokudrama gleicht, konzentriert sich der Rest des Films auf die Beziehung, die sich zwischen Act-Up-Gründungsmitglied Sean und dem Neuling Nathan entwickelt. Sean ist HIV-positiv, und auch wenn der Kampf gegen die Gleichgültigkeit innerhalb der Gesellschaft langsam Früchte trägt, wird schnell klar, dass Sean seinen persönlichen Kampf gegen die Krankheit früher oder später verlieren wird.

Auszeichnung in Cannes

Regisseur Campillo ist kein Unbekannter, nachdem er das Drehbuch zum Cannes-Gewinner „Entre les murs“ (2008) geschrieben hat und für seine zweite Regiearbeit „Eastern Boys“ für den Cesar nominiert wurde. In „BPM“ gibt er nun Einblicke in seine eigene Biografie, da er sich Ende der 1980er Jahre selbst aktiv dem Kampf gegen Aids gewidmet hat. In Cannes wurde er dafür dieses Jahr mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet.

Szene aus "120 Battements par minute"

Viennale

Der HIV-positive Sean (Nahuel Perez Biscayart) und Neo-Aktivist Nathan (Arnaud Valois) verlieben sich ineinander

Campillo verstand sich darauf, die Zeiten, als Streitschriften noch per Fax versandt werden mussten, voller Energie und Körperlichkeit auf die Leinwand zu bringen. Doch sein Talent als Regisseur und Drehbuchautor kommt dann zum Tragen, wenn sich die zutiefst persönliche Geschichte zwischen Sean und Nathan am Rande der Revolution entwickelt und am Ende in das traurige und doch gänzlich unkitschige Bild einer blutroten Seine mündet.

Filmhinweis

„120 Battements par minutes“ ist auf der Viennale am 23. Oktober um 20.00 Uhr im Gartenbaukino und am 25. Oktober um 11.00 Uhr in der Urania zu sehen. Österreichweiter Kinostart ist am 4. Jänner 2018.

Projektionen auf die Gegenwart

Auch wenn einige der Kämpfe gegen Aids, für die Aktivisten wie Act Up auf die Straße gegangen sind, inzwischen gewonnen werden konnten, fühlt sich „BPM“ weder veraltet noch unaktuell an. Die Leidenschaft der Charaktere und ihr Anliegen, die Gesellschaft wachzurütteln, kann beliebig auf die Gegenwart projiziert werden. Inklusive der Botschaft, dass Hoffnung, Beharrlichkeit und Solidarität am Ende zum Ziel führen können.

Sonia Neufeld, ORF.at

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