Filmstill aus "Baronesa"

Viennale

Schöne Grüße aus der Favela

Vier brasilianische Filmstudentinnen haben sich zusammengetan, um das Leben der Frauen in Favelas zu zeigen. Doch wie soll man das angehen? Das Ergebnis zeigt „embedded journalism“ im besten Sinne: die 70-Minuten-Doku „Baronesa“.

Bei ein paar mittelwichtigen internationalen Festivals eingeladen zu sein und dort mittelgroße Preise zu gewinnen - das ist etwas ganz, ganz besonderes für den allerersten Film, wenn man bedenkt, wie unendlich viele Filme jedes Jahr geschaffen werden - alleine in Österreich, ganz zu schweigen vom Rest der Welt. Der Filmstudentin und nunmehrigen Regisseurin Juliana Antunes ist das gemeinsam mit ihren drei Mitstreiterinnen gelungen. Die jahrelange Schufterei hat sich ausgezahlt.

Die Idee war eine typische Studentenidee, und alles hörte sich recht einfach an. Warum nicht einmal Favelas aus der Sicht der Frauen zeigen? Also einen Lieferwagen mit Kameraausrüstung bestücken und im nächsten Elendsviertel ums Eck aussteigen, in Belo Horizonte, der Hauptstadt des Bundesstaates Minas Gerais, wo die vier zur Uni gehen. Die Straßen in der Favela blieben leer. Reden wollte mit den Filmemacherinnen niemand, schon gar keine Frauen.

Filmstill aus "Baronesa"

Viennale

Leid Ferreira: Herumhängen, mit den Kindern balgen, plaudern

Warten als Hauptbeschäftigung

Die zweite Idee war schon besser: Neben einem der in Favelas zahlreich vorhandenen „Beauty-Salons“ ein Plakat aufhängen und gleichzeitig anfangen, in eben diesem Salon herumzuhängen. So lernte Antunes ihre erste Protagonistin kennen, Andreia. Andreias Bruder ist im Gefängnis. Andreias beste Freundin ist dessen Frau, ihre Schwägerin Leid (Leid ist ein brasilianischer Vorname).

Andreia arbeitet als Nageldesignerin, während sich Leid liebevoll, aber notdürftig um ihre eigenen und die Kinder Andreias kümmert. Sonst besteht das Leben der beiden aus Warten. Leid wartet darauf, dass ihr Mann aus dem Gefängnis entlassen wird, wo er einsitzt, weil er irgendeine Rolle im großen Drogenkrieg rund um das Viertel spielt. Andreia will dem Dreck und dem Krieg entkommen - sie spart das Cent für Cent mühsam verdiente Geld, um sich ein Häuschen im Dorf Baronesa außerhalb Belo Horizontes bauen zu können.

Filmstill aus "Baronesa"

Viennale

Andreia Pereira de Sousa: Herumalbern mit dem Ex. Die Waffe ist geladen

Filmhinweis

„Baronesa“ ist bei der Viennale bereits gelaufen und hat in Österreich keinen regulären Filmstart.

Sakrosankt mitten im Drogenkrieg

Eines hat Antunes schnell gemerkt, wie sie im Publikumsgespräch bei der Viennale erzählt: Dass das ganze Unterfangen keinen Sinn hat, wenn sie einmal im Monat auf einen Drehtag vorbeischaut. So gewinnt man kein Vertrauen, das Material, das dabei herausschaut, ist Müll. Also zogen sie und ihr Team für ein Dreivierteljahr kurzerhand mitten in die Favela.

Sicherheitsbedenken hatte Antunes keine, schließlich würden gerade die Bewohner von Favelas nicht die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich lenken wollen. Klingt absurd, wo doch ein offener Drogenkrieg ausgefochten wird? Der wird aber von den Behörden oft jahrelang ignoriert - solange die Opfer selbst Gangmitglieder sind. Würde Filmstudentinnen etwas zustoßen, eine große Razzia wäre die Folge. Also war das Filmteam sakrosankt.

Regisseurin Juliana Antunes bei der Viennale 2017

ORF.at/Simon Hadler

Antunes beim Publikumstalk

Enttäuschte Hauptdarstellerin

Dass Regisseurin Antunes bald schon mittendrin und nicht nur dabei war, glaubt man ihr gerne. Sie wirkt interessiert und neugierig, aber auch „goschert“, wie man in Ostösterreich sagen würde, und spricht beim Publikumstalk schnell, mit starker Stimme und in breitem lokalem brasilianischem Dialekt (eine Dolmetscherin war dabei). Leicht war der Dreh nicht, es gab dauernd Streitereien, nicht zuletzt deshalb, weil Andreia so „bossy“ gewesen sei - und Antunes wirkt nicht wie jemand, der sich das Zepter freiwillig aus der Hand nehmen lässt.

Außerdem hätten ständig irgendwelche Brüder, Onkel, Aufpasser, Freunde der beiden Protagonistinnen dreingequatscht und dies oder jenes verboten. Aber am Ende hatte das Team doch genug Material beisammen, um eine kleine, unterhaltsame, aufgekratzte, lehrreiche Doku zusammenschneiden zu können. Selbst beim Schnitt redete Andreia noch mit. Ein wenig enttäuscht sei sie gewesen, weil man ihre inszenierten Actionsequenzen herausgeschnitten hatte.

Actionfilm ist „Baronesa“ mit Sicherheit keiner geworden. Aber ein ehrlicher Film, der zeigt, wie viel Widerstandskraft Menschen, hier im Speziellen Frauen, entwickeln können, wenn die „Umstände“ es erfordern. Und wie viel Spaß sie trotzdem haben, dass sie an ihren Träumen festhalten und dass es trotzdem nicht für jeden ein Happy End gibt.

Simon Hadler, ORF.at

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