Szene aus "The Shape of Water"

Viennale

Wenn Mädchen Monster lieben

Guillermo del Toros preisgekrönter Film „The Shape of Water“ ist einer der Publikumsmagneten der diesjährigen Viennale. In der unkonventionellen Mischung aus Melodram, Actionthriller, Komödie, Fantasyfilm und Musical findet eine Putzfrau die Liebe ihres Lebens in Form eines mysteriösen Amphibienmannes. Und das Erstaunlichste daran ist, dass einem das nicht im Geringsten unrealistisch vorkommt.

Eines muss man dem Horror-Fantasy-Experten Del Toro lassen: Er scheint sich bei jedem seiner Projekte - „Hellboy“ (2004), „Pans Labyrinth“ (2006) oder „Pacific Rim“ (2013) - ein Stück weit neu zu erfinden und gleichzeitig seinem kompromisslos-unkommerziellen Zugang zum fantastischen Genre treu zu bleiben. So auch in „The Shape of Water“, wo die von ihm gewohnten Horrorschockmomente ausbleiben, dafür aber Musicals und Revuefilme aus den 1940er Jahren zitiert werden.

Szene aus "The Shape of Water"

Viennale

Elisa (Sally Hawkins) mit ihrem Freund und Nachbarn Giles (Richard Jenkins)

Die Geschichte spielt Anfang der 1960er Jahre, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Die Putzfrau Elisa (Sally Hawkins) arbeitet nachts in einem Hochsicherheitstrakt der US-Regierung und lebt tagsüber in einer heruntergekommenen Wohnung, Tür an Tür mit ihrem schwulen Freund Giles (Richard Jenkins), der ihr als Sprachrohr dient, denn Elisa ist stumm, seit sie als Kind ihre Stimmbänder verloren hat.

Experimente im Kalten Krieg

Geredet wird in dem Film dennoch genug, vor allem von Zelda (Octavia Spencer), Elisas bester Freundin und Arbeitskollegin, die eine resolute Frohnatur ist. Elisas Alltag zwischen morgendlicher Selbstbefriedigung in der Badewanne, Busfahrt in die Arbeit und Putzen der Labore wird unterbrochen, als eines Tages im Forschungszentrum ein seltsamer Amphibienmann eingeliefert wird. Unter höchster Geheimhaltungsstufe hat man ihn im Amazonas gefangen, wo er von den Einheimischen wie ein Gott verehrt wurde.

Szene aus "The Shape of Water"

Viennale

Steht Elisa zur Seite: Oscar-Preisträgerin Octavia Spencer als Zelda

Inmitten des Kalten Krieges verspricht man sich nun einen Vorteil gegenüber den Sowjets, da das für die Wissenschaft interessante Geschöpf wertvolle Erkenntnisse für die Raumforschung bringen soll. Allen voran geht der rassistische und frauenfeindliche Sicherheitschef Strickland (Michael Shannon) bei den Experimenten äußerst brutal vor und will seinen Vorgesetzten ohne Rücksicht auf Verluste Ergebnisse liefern.

Gefühle für den Fischmann

Während ihrer Reinigungsarbeit im Labor freundet sich Eliza mit der Kreatur im Wassertank an und entdeckt bald, dass der Fischmann über Gefühle und allzu menschliche Züge verfügt. Ohne Worte fühlen sich die beiden zueinander hingezogen und entwickeln ihre eigene Zeichensprache. Wie groß ihre Liebe ist, merkt Elisa erst, als das Leben des Wesens auf dem Spiel steht und sie eine folgenschwere Entscheidung treffen muss.

„The Shape of Water“ ist ein Liebesmärchen, und Regisseur Del Toro ein großartiger Geschichtenerzähler. Der kreative Geist fließt durch die Handlung wie das titelgebende Wasser. Dazu ist die Form, in die das Erzählte gegossen wurde, ungewöhnlich. Virtuos hat Del Toro die unterschiedlichsten Genres zu einem filmischen Meisterwerk verschmolzen, und es ist kein Wunder, dass er dafür in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. „The Shape of Water“ ist Melodram, Actionthriller, Komödie, Fantasyfilm und Musical in einem und verbindet die phantastische mit der realen Welt in bisher noch nie gesehener Weise.

Weit entfernt von „Amelie“

Auch wenn der Film in seiner Tonalität an den französischen Publikumserfolg erinnert, ist er weit entfernt von der Postkartenidylle einer „Amelie“. Denn so romantisch die Liebesgeschichte ist, so witzig und geistreich sind die Dialoge, die den Film trotz aller phantastischer Elemente zwischen Modernität und Bodenständigkeit verankern. Stimmungsvoll farbenprächtige Bilder wechseln sich ab mit Actionszenen, zum Drüberstreuen gibt es noch eine Stepdance-Einlage. Das alles fügt sich mühelos zu einem spektakulären Kinoerlebnis zusammen. Ganz zu schweigen von der Motion-Capture-Performance von Doug Jones als mysteriöse Kreatur, die nicht von ungefähr an das Wasserwesen Abe Sapien aus den „Hellboy“-Filmen erinnert.

Filmhinweis

„The Shape of Water“ ist auf der Viennale noch am 22. Oktober um 13.00 Uhr im Gartenbaukino zu sehen. Österreichweiter Kinostart ist am 15. Februar 2018.

Die Macht der Liebe

„Wenn er mich ansieht, weiß er nicht, wie fehlerhaft ich bin. Er sieht mich, wie ich wirklich bin“, sagt Elisa einmal in Zeichensprache. „The Shape of Water“ ist ein Film über die Kraft der Liebe, die keine Worte braucht, weil einen die wahre Liebe ohnehin sprachlos macht. Auch wenn das Objekt der Begierde - und ja, der Hüftschwung des Amphibienmannes ist sexy - vermeintlich ein Monster ist, kann doch ein Seelenverwandter dahinter stecken. Wer es herausfinden will, muss wie Elisa ins kalte Wasser springen.

Sonia Neufeld, ORF.at

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