Ausgang der Diskussion völlig offen
Schon im Vorfeld hat EU-Ratspräsident Donald Tusk Einigkeit beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel am Donnerstag und Freitag verhindert: „Ineffektiv“ seien die Quoten für die Verteilung von Flüchtlingen in der EU, sagte er im Vorfeld. Sein Ziel: eine offene Diskussion über das, was in Sachen Umgang mit Flüchtlingen in Europa funktioniert und was nicht. Dieser Weg soll Einigkeit bringen, so die Idee.
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Den Ärger der EU-Kommission zog Tusk damit rasch auf sich - schließlich sprach er der Behörde damit die Lösungskompetenz ab. Auch in Ländern wie Deutschland und Österreich, die fest hinter dem Quotenansatz stehen, machte er sich kaum beliebt. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) erklärte, dieses Denken „im höchsten Maße abzulehnen“. Die Formulierung Tusks, so der Bundeskanzler weiter, sei - freundlich formuliert - „sehr unverständlich gewesen“.
Ähnlich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, sie warnte vor „selektiver Solidarität“. Die Steuerung der Migration nach außen sei gut und wichtig, „aber wir brauchen auch Solidarität nach innen“. Für andere hingegen war es ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk: Schon zu Beginn des Gipfels wurde Tusks Steilvorlage von jenen genutzt, die sich stets gegen die Flüchtlingsverteilung („Relocation“) ausgesprochen und sich dementsprechend auch Aufnahmen verwehrt hatten.
„Endlich die Wahrheit gesagt“
„Die europäische Nummer eins hat endlich die Wahrheit gesagt, die verpflichtende Umverteilung von Flüchtlingen ist unwirksam und spaltend,“ sagte etwa der ungarische Außenminister Peter Szijjarto. Ministerpräsident Viktor Orban reiste nach eigener Darstellung gar mit „2,3 Millionen Meinungen im Rucksack“ nach Brüssel. „Wir werden kämpfen“, kündigte Orban in einem Facebook-Video an.
Weniger populistisch, aber mit gleicher Intention gab sich Polens neuer Regierungschef Mateusz Morawiecki: „Wir freuen uns über alle Stimmen, die unsere Darstellung und Herangehensweise beim Problem der Einwanderung unterstützen“, sagte Morawiecki. Er sei „zufrieden, dass dieser Ansatz mehr und mehr in Brüssel gehört wird“. Auch der neue tschechische Regierungschef Andrej Babis meinte, dass die EU Tschechien in der Frage der Flüchtlingsquoten nicht überstimmen werde.

Reuters/Yves Herman
Tusk hat einen verdrängten Streit wiederbelebt
„Werden derartigen Fehler nicht wiederholen“
Ein derartiger Vorgang könnte den Austritt weiterer Länder aus der EU zur Folge haben, sagte Babis. „Ich denke, dass sie sich bewusst sind, dass die Entscheidung über die Flüchtlingsquoten, die ich als unsinnig betrachte, das Problem der illegalen Migration nicht lösen wird und negative Auswirkungen auf das Image der EU und der EU-Kommission haben wird“, betonte Babis. „Deswegen gehe ich davon aus, dass sie einen derartigen Fehler nicht wiederholen werden“, sagte er weiter zu einer eventuellen Überstimmung der Gegner der Flüchtlingsquoten.
Fico: EU muss sich selbst schützen
Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico erklärte, dass die Quotenentscheidung in Wirklichkeit die EU gespalten habe. „Es gibt kein Menschenrecht, in die EU zu reisen“, so Fico. „Sonst bekommen wir eine Menge Probleme in der EU.“ Die EU müsse sich selbst schützen. Er sei für eine Zusammenarbeit mit Libyen, um das nordafrikanische Land beim Schutz seiner Grenzen zu unterstützen. „Das ist unser Ansatz. Wir weisen Quoten entschieden zurück. Das funktioniert nicht“, so Fico.
„Solidarität“ gegenüber Italien
Doch mangelnde Solidarität wollen sich die Staaten beim Gipfel nicht attestieren lassen, weswegen Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei Geld mit im Gepäck nach Brüssel hatten: Man zahle 35 Mio. Euro in den EU-Afrika-Fonds, teilten die vier Visegrad-Länder nach einem Gespräch mit dem italienischen Premierminister Paolo Gentiloni und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit. Konkret soll das Geld für den Grenzschutz in Libyen verwendet werden.
Juncker begrüßte den finanziellen Beitrag der Visegrad-Staaten. „Ausnahmsweise bin ich heute einmal ein glücklicher Mann“, sagte Juncker in Anwesenheit Orbans. Die Visegrad-Länder brächten damit „Solidarität“ gegenüber Italien zum Ausdruck. Er habe Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei vor ein paar Monaten gebeten, sich zu überlegen, was sie in der EU-Migrationsfrage beitragen könnten, erklärte Juncker. Nun hätten sie „geliefert“.
Tusk warnt vor doppelter Spaltung
Zu Beginn des Gipfels räumte Tusk tiefe Risse in der Europäischen Union ein und mahnte die Mitgliedsstaaten zur Geschlossenheit. Angesichts der Differenzen um seine Aussagen sagte Tusk, hier gebe es eine Trennlinie zwischen Ost und West. Er wolle sich für diese Vereinfachung entschuldigen, aber auch bei der Wirtschafts- und Währungsunion gebe es eine Trennlinie, die zwischen Nord und Süd verlaufe.
Diese Unterschiede in den Haltungen würden von Emotionen begleitet, die es schwer machten, zu einer gemeinsamen Sprache zu finden, so Tusk. Er appellierte an die EU-Regierungen, wieder Einheit herzustellen. Das sei auch mit Blick auf die zweite Phase der „Brexit“-Verhandlungen mit Großbritannien wichtig. Die EU sei immer nur dann stark, wenn sie geeint sei.
Links:
sime, ORF.at, aus Brüssel