Österreich als „Aschenbecher Europas“
Wenige der zwischen ÖVP und FPÖ verhandelten Themen haben bisher so viele Reaktionen ausgelöst wie ihre Raucherreglung für die Gastronomie. Am Montag hatten die Regierungsverhandler durchsickern lassen, dass das für 2018 geplante allgemeine Verbot in der Gastronomie wieder abgeblasen wird. Das Unverständnis bei Medizinern ist groß, die Krebshilfe startete eine Petition.
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Innerhalb eines Tages unterzeichneten über 50.000 Menschen die Onlinepetition „Don’t Smoke“. Die Aktion, bei der auch anonym abgestimmt wird, wurde am Montag neu gestartet, nachdem die Regelung der künftigen Regierungskoalition bekanntgeworden war. Damit dürfte im Wesentlichen das derzeitige System mit abgetrennten Räumen für Raucher bestehen bleiben. Neu ist, dass Jugendliche unter 18 diese Sektoren nicht betreten dürfen. Außerdem wird es auch ein Rauchverbot in Autos geben, wenn Kinder und Jugendliche unter 18 im Wagen mitfahren.
Ab 75 Quadratmetern
Ausnahmen vom Rauchverbot gibt es auch in der „getränkegeprägten Kleingastronomie“, wenn die Gaststätte nicht über einen abgetrennten Nebenraum verfügt, die Grundfläche des Gastraumes weniger als 75 Quadratmeter beträgt (bisher 50 Quadratmeter), keine an Ort und Stelle zubereiteten Speisen verabreicht werden, die Gaststätte durch deutlich sichtbare Hinweisschilder im Eingangsbereich als Rauchergaststätte gekennzeichnet ist und der Betrieb der Rauchergaststätte den Behörden angezeigt wurde.
Auch am Dienstag blieb unter Medizinern die Kritik aufrecht. Das Rote Kreuz beklagte einen „schweren gesundheitspolitischen Fehler“. Es sei nicht nachvollziehbar, warum etwas, das in zahlreichen europäischen Ländern tadellos funktioniere, in Österreich nicht möglich sein sollte, so Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer in einer Stellungnahme.
„Politischer Populismus“
Kritik kam auch von der Interessenvertretung der österreichischen Pharmaindustrie: „Wir geben Milliarden für die Gesundheitsversorgung von Patienten aus. Darunter sind viele, die durch präventive Maßnahmen gar nicht krank geworden wären. Gerade beim Nikotinkonsum ist es erwiesen, dass dieser ursächlich für eine Reihe von Krankheiten ist“, sagte Pharmig-Präsident Martin Munte in einer Aussendung.
Das Argument, der Gastronomie entgingen damit Umsätze, sei keineswegs haltbar, zeigten doch Vergleiche mit Nachbarländern wie Italien, dass es zu keinen signifikanten Umsatzrückgängen durch ein Rauchverbot gekommen sei. „Das ist politischer Populismus, der Österreich als rückschrittliches Land abstempelt“, kritisierte Pharmig-Generalsekretär Jan Oliver Huber.
Fachärzte warnen
Der Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) warnte vor möglichen Konsequenzen: Die Rücknahme der bereits 2015 beschlossenen Novelle werde nachweislich Menschenleben und viel Geld kosten, hieß es in einer Aussendung am Dienstag. Niederösterreichs Gebietskrankenkasse, die das „Rauchfrei Telefon“ betreibt, kritisierte die Regelung. Österreich bleibe der „Aschenbecher Europas“, hieß es in einer Aussendung. Arnold Pollak, der ehemalige Chef der Universitätskinderklinik, erinnerte an Gefahren für Föten. Erwachsene könnten Raucherlokalen eventuell ausweichen, Ungeborene seien einer Passivrauchbelastung schutzlos und intensiver ausgeliefert.
Kritik aus eigenen Reihen
Unmut kommt auch aus der ÖVP selbst: Die Einigung sei „für alle keine gute Entscheidung“, so der steirische Gesundheitslandesrat Christopher Drexler (ÖVP) gegenüber der „Presse“. Unzufrieden zeigte sich auch die Tiroler Landesrätin Beate Palfrader (ÖVP). Die Bezirksvorsteherin des achten Wiener Gemeindebezirks, Veronika Mickel (ÖVP), schrieb am Dienstag auf Facebook: „Wir bleiben rauchfrei.“ Sie forderte weitere Verhandlungen zu dem Thema. Wirte, die ihren Raucherbereich mit Hinblick auf das kommende Verbot abgebaut hätten, würden nun nämlich erneut mit einer neuen Regelung konfrontiert, so Mickel.
NEOS ortet „Tauschgeschäft“
Auch NEOS äußerte sich am Dienstag kritisch zum Aus für das generelle Verbot. NEOS-Chef Matthias Strolz machte bei FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache eine „gewisse Wissenschaftsfeindlichkeit“ aus, so Strolz bei einer Pressekonferenz. Er verstehe den Rückzieher der ÖVP nicht, da habe es wohl ein „Tauschgeschäft“ gegeben, so Strolz.
Gelassen sah der Klubchef der Liste Pilz (LP), Peter Kolba, die Maßnahme. Zwar sei die Maßnahme aus gesundheitlicher Perspektive eindeutig abzulehnen. Die aufgeregte Diskussion könnte aber von anderen Maßnahmen der künftigen Regierung ablenken. Enttäuscht über die Koalitionspläne zeigte sich die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz. Wien überlegt laut der für das Marktamt und damit Kontrollen in Gastlokalen zuständigen Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) eine Klage gegen das Ende des Rauchverbots - sobald die Details zur neuen Regelung feststehen - mehr dazu in wien.ORF.at.
Gastronomie für „ein bisschen Freiheit“
Freude hingegen gab es in der Wirtschaftskammer: „Ja natürlich freuen wir uns“, so Mario Pulker, Obmann des Fachverbandes Gastronomie, gegenüber Ö1. Die Gastronomiebetriebe seien nicht dafür da, „den Nichtraucherschutz oder die Gesundheit der Menschen in den Vordergrund zu stellen“, sondern „den Menschen einen gemütlichen Abend zu verschaffen“ und ihnen „ein bisschen Freiheit zu gewähren“, sagte Pulker.
Intention der Wirtschaftskammer sei es immer gewesen, auf den Jugendschutz zu schauen, sagte er, „und nicht den mündigen Bürgern das Rauchen zu verbieten in der Gastronomie, wo sie hinkommen, um sich zu entspannen und Freizeit zu genießen“. Gesundheitsschutz könne nicht „auf dem Rücken der Gastronomie stattfinden“, so Pulker. Begrüßt wurde die Einigung auch vom Verband der Pfeifen- und Cigarrenfachhändler Österreichs (VCPÖ). In der „emotional und sehr unsachlich geführten Diskussion“ sei das funktionierende Nebeneinander von Nichtrauchern und Rauchern außer Acht gelassen worden, hieß es in einer Aussendung.
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