Russland und Iran im Fokus
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat den gescheiterten Militärputsch für eine riesige „Säuberungswelle“ zum Anlass genommen. Verfolgt er seine Pläne weiter, hat er wohl gute Chancen, sein Ziel - den Umbau des Landes zu einem islamisch geprägten Präsidialsystem - zu erreichen. Parallel zum Umbau im Inneren scheint Erdogan auch seine Außenpolitik neu zu justieren - und dabei dem Westen den Rücken zu kehren.
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Mit der EU ist die Türkei ohnehin auf Konfrontationskurs: Gerade zuletzt setzte eine diplomatische Eiszeit ein, nachdem Bundeskanzler Christian Kern ein Aus der Beitrittsgespräche in den Raum gestellt hatte. Knackpunkt ist aber die geplante Wiedereinführung der Todesstrafe. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker warnte Erdogan vor Kurzem erneut, die Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union würden in diesem Fall sofort gestoppt. Erdogan ist das freilich bewusst - es scheint ihn aber nicht abzuschrecken.
Streit mit USA über Gülen-Auslieferung
Das Verhältnis zu den USA ist vor allem wegen des Predigers Fethullah Gülen angespannt. Die Regierung in Ankara vermutet ihn als Drahtzieher des Putsches und fordert die Auslieferung des im US-Exil lebenden des 75-Jährigen. Die USA-Regierung verlangt aber Beweise für die Verwicklung Gülens in den Putsch, um ihn auszuliefern.
Zudem schossen sich aber vor allem AKP-nahe türkische Medien zuletzt auf die USA ein und behaupteten, die US-Geheimdienste hätten womöglich im Vorfeld von den Putschplänen gewusst. Sowohl US-Präsident Barack Obama als auch US-Außenminister John Kerry sahen sich genötigt zu dementieren.
NATO-Basis in Putsch verwickelt
Nahrung gab diesen Spekulationen die Tatsache, dass es nach dem Putsch auch Verhaftungen auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik gab. So wurde der Kommandeur der Militärbasis, General Bekir Ercan Van, festgenommen, die Basis wurde vorübergehend abgeriegelt und von der Stromversorgung abgeschnitten.
Incirlik ist nicht irgendeine Basis: Sie wird von der NATO und den USA im Kampf gegen die IS-Miliz in Syrien genutzt. Die US-Armee hat etwa 1.500 Soldaten und mehrere Dutzend Kampfflugzeuge und Drohnen dort stationiert. Viele Experten glauben auch, dass dort 50 US-Atomsprengköpfe gelagert werden.
Scharfe Töne
Und für die NATO und die USA ist der Stützpunkt von großer strategischer Bedeutung, schließlich kontrolliert die Türkei den Zugang vom Schwarzen Meer zum Mittelmeer - und damit den Aktionsradius der russischen Schwarzmeerflotte. Zuletzt gab es jedenfalls auch einen Schlagabtausch zwischen den NATO-Partnern. „Es gibt ganz offensichtlich Anforderungen der NATO bei der Achtung der Demokratie“, sagt Kerry mit Blick auf die Ereignisse nach dem Putsch.
Ende der Eiszeit mit Russland
Für die NATO und die USA dürften die Signale der türkischen Regierung nach dem Putsch jedenfalls die Alarmglocken klingeln lassen. Denn die noch davor herrschende Eiszeit zwischen Ankara und Moskau nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets im November 2015 im syrischen Grenzgebiet scheint Geschichte. Schon nach Erdogans Entschuldigung Ende Juni war die Verstimmung gelöst. Stunden nach der Niederschlagung des Putschs telefonierten Erdogan und der Kreml-Chef Wladimir Putin und vereinbarten ein Treffen, das nun über die Bühne geht.
Spekulationen über russische Warnung
Russische Medien wollen auch einen Grund für die schnelle Annäherung kennen: Sie berichten, dass Erdogan von Russland, das über seinen Geheimdienst informiert war, wenige Stunden vor dem Putsch gewarnt worden sei. Und die Spekulationen gehen noch weiter. Laut türkischen Medienberichten wurden jene beiden Piloten, die am Abschuss des russischen Kampfjets beteiligt waren, wegen Verbindungen zu den Beteiligten am Putschversuch festgenommen. Einige Medien behaupten gar, einer der Piloten habe einen Jet der Aufständischen während des Aufstands geflogen. Bestätigung dafür gibt es keine, allerdings wird spekuliert, die Verhaftung der beiden könnte auch eine Versöhnungsgeste an Putin sein.
Alternative zur NATO?
Bei dem Treffen geht es einerseits um eine verstärkte wirtschaftliche Annäherung, im Mittelpunkt steht das Projekt Turkish Stream, mit dem russisches Erdgas durch das Schwarze Meer via Türkei nach Südeuropa gebracht werden soll. Andererseits wird es wohl auch um eine strategische Zusammenarbeit gehen, auch und vor allem im Syrien-Konflikt.
Schon seit einiger Zeit steht zudem die Möglichkeit im Raum, dass sich die Türkei der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) anschließt, das Bündnis tritt offiziell für „Frieden, Sicherheit und Stabilität in ihrer Region Eurasien“ ein. Die SCO, der neben China und Russland die mittelasiatischen Republiken Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan angehören, wurde allerdings vor allem gegründet, um den Einfluss der USA in Zentralasien zurückzudrängen. Eine SCO-Mitgliedschaft der Türkei wäre wohl kaum damit vereinbar, weiter bei der NATO zu bleiben.
Annäherung an den Iran
Und eine weitere neue Annäherung zeichnet sich ab. Bereits im Frühjahr vereinbarte die Türkei mit dem Iran eine engere Kooperation im Kampf gegen den Terror sowie eine Vertiefung der Handelsbeziehungen. Unmittelbar nach dem Putsch sicherte der iranische Präsident Hassan Rouhani seinem Amtskollegen Erdogan die Solidarität seines Landes zu. Auch das wurde als Zeichen einer neuen geopolitischen Achse interpretiert.
Die Nagelprobe für die neue türkische Außenpolitik wird mit Sicherheit der Syrien-Konflikt sein. Teheran und Moskau unterstützen Syriens Staatschef Baschar al-Assad, Ankara sieht in seiner Entmachtung eine Grundvoraussetzung für die Beilegung des Konflikts. Doch auch hier scheinen Annäherungen möglich. Das vorrangige Ziel der Türkei ist es, die Kurden in Syrien in Schach zu halten, bekommt man dafür Unterstützung, wird Ankara wohl auch zu Zugeständnissen bereit sein.
Christian Körber, ORF.at
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