Tödliche Spannung
Nervenzerreißende Spannung - gepaart mit literarischem Anspruch oder ganz einfach einer ordentlichen Prise Humor: Das haben die Krimis dieser Saison zu bieten.
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Die Schattengeister der Filmgeschichte
Literarischer Roman, Krimi, Horror? Augusto Cruz’ Buch „Um Mitternacht“ ist nicht leicht einzuordnen - aber definitiv ein unheimlicher langsam seine Spannung steigernder Text, den vor allem Filmliebhaber nicht mehr aus den Händen legen werden wollen. Es geht um einen der vielen verschollenen Filme der Stummfilmära - den legendären Horrorstreifen „Um Mitternacht“. Ein uralter Sammler, an Alzheimer erkrankt, möchte ihn unbedingt noch einmal sehen, bevor sein Geist Abschied nimmt. Ein Ex-FBI-Agent ermittelt. Ein Fluch und ein Schattenwesen, jede Menge Horrorgestalten, Menschen, die Schimären sind, und die Geister der FBI-Geschichte schwirren durch dieses äußerst lesenswerte Buch. Carlos Ruiz Zafon hat verstaubte Bibliotheken spannungsvoll aufgeladen - Cruz tut das mit Filmarchiven.
Augusto Cruz: Um Mitternacht. Suhrkamp, 393 Seiten, 23,60 Euro.
Beziehungsdrama, Gesellschaftsroman, Krimi
Mit literarischem Anspruch legt auch Dror Mishani seinen neuen Krimi rund um den israelischen Inspektor Avraham an. Eine Kindergärtnerin steht hier im Zentrum der Geschehnisse - sie wird brutal zusammengeschlagen. Mishani beherrscht die Kunst, vieles von dem, worüber man im Krimigenre oft seufzt, beiseitezuwischen. Bei ihm gibt es keinen Kommissar, der stringent und so gut wie unfehlbar auf die Lösung des Falls zuläuft. Sein Avraham darf zweifeln, straucheln, scheitern. Und neben der Krimihandlung baut Mishani „Die Möglichkeit eines Verbrechens“ zu einem klarsichtigen Beziehungs- und Gesellschaftsroman aus.
Dror Mishani: Die Möglichkeit eines Verbrechens. Zsolnay, 333 Seiten, 20,50 Euro.

ORF.at/Thomas Hangweyrer
Kampf gegen die Zeit - und eine Technologie
Wer in einem Krimi keine große Literatur sucht, sondern stattdessen atemlose Spannung, dem sei das neue Buch des Thriller-Großmeisters Sebastian Fitzek empfohlen: „Das Joshua Profil“. Über Max bricht der Wahnsinn herein. Seine Tochter wird entführt - und er via Kopfhörer ferngesteuert. Alles scheint mit der Vergangenheit verknüpft, obwohl es im Gegenteil um die Zukunft geht - und nicht nur um die von Max und seiner Tochter. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, bei dem es ums Überleben geht und um eine dunkle neue Technologie, die es aufzuhalten gilt. Die Grundidee dahinter mag im Rückblick auf die Lektüre arg konstruiert wirken. Und dennoch: ein Buch, das man nur unter Zwang aus den Händen legt.
Sebastian Fitzek: Das Joshua Profil. Lübbe, 430 Seiten, 20,60 Euro.
So böse kann humorvoll sein
Eigenständigkeit ist im Krimifach ein seltenes Gut. Wer wirklich eigenständige Krimis lesen will, dem sei der Vorarlberger Autor Christian Mähr empfohlen. Besonders „Alles Fleisch ist Gras“ ist ein Buch, dessen Bilder noch lange nachwirken - und das 2014 naheliegenderweise auch als ORF-Landkrimi verfilmt wurde. Nun ist ein weiterer Krimi Mährs erschienen: „Knochen kochen“. Diesmal will ein Biologe eine seltsame Seuche erforschen, die im 16. Jahrhundert Mitglieder seiner Familie das Leben kostete. Aber für deren Knochen interessieren sich plötzlich auch andere. Auf so böse Weise so humorvoll zu sein - allerdings mit feiner Klinge, nicht mit Schenkelklopfern - das ist die Besonderheit an Mährs Schreibstil.
Christian Mähr: Knochen kochen. Deuticke, 415 Seiten, 20,50 Euro.
Ein Kommissar, fünf Frauen und ein Mord in Wien
Im Genre der beliebten historischen Wien-Krimis zählen Ulrike Ladnars Bücher zu den beschaulicheren: Blutige Morde und Gewaltexzesse sind ihre Sache nicht. Umso mehr beherrscht sie es, der Stadt kurz vor dem Fin de Siecle eine dichte, sinnliche Stimmung zu verleihen, wie man sie in dem Genre selten findet. Ein Bankier wurde ermordet, fünf Frauen aus seinem Bekanntenkreis sind der Tat dringend verdächtig. Was die Arbeit für Kommissar Winterbauer sehr erschwert, ist der Umstand, dass er allmählich eine Schwäche für jede von ihnen entwickelt.
Ulrike Ladnar: Das Geheimnis der fünf Frauen. Gmeiner Verlag, 470 Seiten, 13,40 Euro
Einsiedlertod in eisiger Alpen-Kulisse
Commissario Grauner, unterstützt vom neapolitanischen Kollegen Saltapepe, bekommt es bei der Aufklärung eines Mordfalls mit großtuerischen Bauern, einem Bürgermeister mit Allmachtsfantasien und einem adligen Museumsdirektor zu tun, die allesamt Dreck am Stecken haben. Was wusste das Mordopfer, ein eigenbrötlerischer Einsiedler, der die Leute im Schnalstal schon seit Langem mied und warum wurde er nahe des Ötzi-Fundortes ermordet? Der Fall in eisiger Alpen-Kulisse und inmitten unangenehmer Einheimischer führt die Ermittler nicht nur weit in die Vergangenheit, sondern konfrontiert sie mit eigenen längst vergangen geglaubten Erlebnissen.
Lenz Koppelstätter: Der Tote am Gletscher. Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, 10,30 Euro.
Skurril-witziger Krimi mit Tiefgang
Der abgetrennte Finger auf dem Sushiband verheißt Marthaler nichts Gutes. Er wird zum Opfer seiner unbändigen Gier werden. Auf der anderen Seite steht ein junger Träumer, der seine Nahrungsmittel aus dem Müll taucht und so die Welt vor Turbokapitalismus und prekären Arbeitsverhältnissen retten will. In seinem vierten Salzburg-Krimi rund um Franco Molls Ermittlergruppe bildet Franz Zeller die Problemzonen unserer Gesellschaft ab und versinkt dennoch nicht in Trübsinn. Die plastisch gezeichneten Figuren leben im Thriller-Ambiente auch ihre privaten Nöte aus, vom Kampf gegen das Übergewicht bis hin zur Sehnsucht nach einem Partner.
Franz Zeller: Sterben ist das Letzte. Knaur 288 Seiten, 9,30 Euro.
Der depressivste Krimi
Genau das Gegenteil von skurril-witzig ist Friedrich Anis „Der namenlose Tag“. Das Buch ist möglicherweise der depressivste Krimi aller Zeiten. Sein pensionierter Kommissar Jakob Franck war Zeit seines Lebens für das Überbringen der Todesnachrichten verantwortlich. Einmal stand er sogar nach dem Suizid eines Mädchens eine ganze Nacht lang im Vorraum, in einer innigen, tröstenden Umarmung mit der Mutter gefangen. Der Vater will nun, 20 Jahre später, plötzlich wissen, dass es gar kein Suizid war. Franck beginnt zu recherchieren und deckt Schicht um Schicht die Geheimnisse des tristen Familienlebens auf. Empfehlenswert ist auch die Hörbuchausgabe.
Friedrich Ani: Der namenlose Tag. Ein Fall für Jakob Franck. Suhrkamp, 301 Seiten, 20,60 Euro.
Friedrich Ani: Der namenlose Tag. Ein Fall für Jakob Franck. Osterwold Audio. Fünf CDs, 375 Minuten, 22,99 Euro.

ORF.at/Thomas Hangweyrer
Falsche Fährten
Kurz bevor der Bestsellerautor Kunihiko Hidaka nach Kanada auswandern kann, wird er in seinem Haus brutal ermordet. Verdächtig machen sich die Ehefrau und der wenig erfolgreiche Schriftstellerkollege Osamu Nonoguchi. Beide haben ein Alibi und kein Motiv. Der ermittelnde Kommissar Kaga kann zwar den Mord rasch aufklären, doch das beharrliche Schweigen des Täters über die Hintergründe der Bluttat, machen Kaga stutzig. Der Kommissar wühlt auf der Suche nach dem richtigen Motiv unablässig in der Vergangenheit und wird dabei auch mit einem dunklen Punkt seiner eigenen Karriere konfrontiert.
Keigo Higashino: Böse Absichten. Klett Cotta Verlag, 255 Seiten, 15,40 Euro.
Goldenes Wienerherz und lodernder Joint
Manfred Rebhandl kann es nicht lassen, es seinen Rock Rockenschaub nicht sein zu lassen. Der Privatermittler mit dem goldenen Wienerherz und dem dauerlodernden Joint im Mundwinkel feiert seinen 50. Geburtstag. Statt einer ordentlichen Party feiert er mit einer Privatvernichtung. Und statt schöner Geschenke gibt es ein Hawaiihemd in der falschen Farbe und eine Leiche in Yogastellung. Rockenschaub ermittelt, und wie immer helfen seine verkorksten Freunde mit - beziehungsweise pfuschen ihm drein, je nach Sichtweise. Und Rebhandl verarscht wie immer gnadenlos alles, was in Wiens Bobo-Universum herumkreucht und -fleucht.
Manfred Rebhandl: Töpfern auf Kreta. Czernin, 266 Seiten, 19,90 Euro.
Ein Deutschrocker in alpiner Gefahr
Es geht österreichisch weiter - mit Joe Fischer. Bei ihm ist es Valerie Mauser, die ihren zweiten Alpen-Krimi lösen muss: „Veilchens Feuer“. Veilchen, so wird Valerie von ihrem übergewichtigen Partner Stolwerk liebevoll genannt. Eine leichte, schmissige Sprache, kurze Kapitel und ein hoher Grad an erzählerischer Dynamik peitschen die Handlung voran, als ein alternder Deutschrocker im Bergiselstadion ein Konzert geben soll und ihm gleichzeitig mit Mord gedroht wird. Veilchen muss alle Register ziehen.
Joe Fischler: Veilchens Feuer. Haymon, 286 Seiten, 9,95 Euro als Taschenbuch und 0,99 Euro als E-Book.
Simon Hadler, Carola Leitner, Johanna Grillmayer, alle ORF.at
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