Themenüberblick

Mit dem Fahrrad nach Norwegen

Wind, Schneeregen, Temperaturen unter dem Gefrierpunkt: Das ist die derzeitige Wetterlage in Storskog im äußersten Nordosten Norwegens. Der kleine Ort ist vor allem als Norwegens einziger Grenzübergang zu Russland bekannt und hat seit Neuestem mit Tausenden Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan zu tun, die auf diesem Weg nach Europa gelangen wollen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

In den vergangenen Jahren wurden in Norwegen jeweils nur ein paar Dutzend Ankünfte von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten gezählt. Seit der EU-interne Konflikt über die Aufteilung von Flüchtlingen auch mit Grenzzäunen, Grenzkontrollen und Grenzschließungen ausgefochten wird, nimmt die Zahl der Flüchtenden auf der „arktischen Route“ ständig zu. Bisher kamen Schätzungen zufolge rund 1.500, großteils aus Syrien stammende Asylsuchende über die russische Grenze.

Zahlen mehr als verdoppelt

Erstmals in der Landesgeschichte sieht die Regierung in Oslo Bedarf an einem Asylzentrum: Eine ehemalige Kaserne bei Kirkenes, in der Nähe des Grenzübergangs, soll als Registrierungszentrum und Notunterkunft dienen, zitierte die norwegische Nachrichtenagentur NTB zuletzt aus dem Regierungsbeschluss. Laut norwegischen Behördenangaben kommt derzeit rund ein Viertel aller neu ankommenden Flüchtlinge in oder bei Storskog über die Grenze.

Für heuer erwartet Norwegen 20.000 Asylgesuche, doppelt so viel wie im Vorjahr. Noch stärker sind die Zuwächse in Finnland, wo man heuer mit insgesamt 30.000 Schutzsuchenden rechnet. Bisher hat das Land rund 18.000 registriert, 11.000 davon kamen laut Regierungsangaben allein im September. Ein Gutteil davon kam ebenfalls nördlich des Polarkreises ins Land, über die Grenzstation in Tornio, und damit vom EU-Mitgliedsland Schweden ausreisend.

Keine offenen Arme

Dass Flüchtlinge inzwischen lieber in Finnland und Norwegen als etwa in Schweden um Asyl ansuchen, wirft ein Licht darauf, wie schwerwiegend die derzeitige Rechtsunsicherheit in Europa für Schutzsuchende geworden ist, denn weder in Norwegen noch in Finnland werden die Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen. Norwegens konservativ-rechtspopulistische Regierungskoalition etwa will so viele Flüchtlinge wie möglich nach Russland abschieben, wo sie „ausreichend gut versorgt“ seien.

Norwegen hat außerdem ein umstrittenes Asylverfahrensrecht, bei dem bisher innerhalb von 48 Stunden die meisten Anträge in einem Schnellverfahren als „aussichtslos“ abgelehnt wurden. Finnland wiederum lässt Asylanträge von Irakern und Somaliern derzeit erklärtermaßen unbearbeitet liegen. Zudem häufen sich vor allem in Finnland ausländerfeindliche Übergriffe gerade in grenznahen Regionen, bei denen Flüchtlinge vom Mob auch unter Androhung von Mord vertrieben werden.

Fluchtwege großteils im Dunkeln

Wie die Menschen die rund 5.000 Kilometer zwischen der syrischen Grenze und dem Norden Europas überwinden, ist großteils unbekannt. Die „östliche Landroute“ war EU-Behörden bisher vor allem als Weg von Zigarettenschmugglern geläufig. Die Beamten an den betroffenen Grenzstationen berichten vor allem von Gruppen, die sich auf eigene Faust durchschlagen. Nicht wenige kommen auf Fahrrädern in Storskog an, weil eine Rechtslücke im russischen Recht dadurch den Übertritt erleichtert.

Zahlen, wie viele der Flüchtlinge schon länger in Russland lebten, variieren. Dass die östliche Landroute für Asylsuchende mit dem Umweg bis über den 66. Breitengrad hinaus nun zur arktischen/polaren Route wird, ist jedenfalls ein weiteres Signal dafür, wie unvorhersehbar und zersplittert die Fluchtwege durch den europäischen Asylstreit geworden sind - von Süden bis nach Norden, ebenso wie von Westen bis nach Osten, was jüngste Zahlen aus dem französischen Calais ebenso wie aus Mazedonien belegen.

Links: