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Gewinneinbrüche und Verlust von Jobs

In der Schweiz werden die negativen Folgen der Franken-Aufwertung immer spürbarer. Es geschah 1291 auf einer Wiese am Vierwaldstättersee: Auf dem Rütli verschworen sich wackere Männer aus der Urschweiz gegen die Habsburger, die „bösen Vögte“ aus dem Ausland. Alljährlich feiern das die Eidgenossen am 1. August mit Grillpartys und Feuerwerken. Diesmal aber ist die Stimmung getrübt.

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Der Schweiz droht ein stürmischer Herbst mit Gewinneinbrüchen und dem Verlust Tausender Jobs. Schuld ist wieder eine ausländische Macht: der Euro. Die Schuldenkrise der Euro-Zone hat die Nachfrage nach dem als „sicherer Hafen“ geltenden Schweizer Franken angefacht und ihn massiv verteuert. Bekam man einst mehr als 1,60 Franken für einen Euro, so gibt es dafür heute nur noch etwa 1,06 Franken.

Waren so teuer wie nie

Schweizer Waren und Dienstleistungen sind so teuer wie nie zuvor. Einige Zeit hat sich die Schweizerische Nationalbank (SNB) gegen die Franken-Aufwertung gestemmt. Immer wieder kaufte sie für Milliarden von Franken Euro auf, um wenigstens einen Mindestkurs von 1,20 zu verteidigen. Ihre Devisenbilanz blähte sich dadurch immer gefährlicher auf.

Ein halbes Jahr ist es nun her, dass Nationalbank-Präsident Thomas Jordan die Notbremse zog: „Die SNB hat beschlossen, den Mindestkurs von 1,20 Franken pro Euro per sofort aufzuheben und ihn nicht mehr mit Devisenkäufen durchzusetzen.“ Innerhalb von Minuten stieg die Währung mit der allegorischen Frauenfigur Helvetia als Symbol auf Parität zum Euro - und das obwohl die SNB sofort Strafzinsen auf Einlagen ab zehn Millionen Franken (9,4 Mio. Euro) einführte.

Einzelhandel entgehen Milliarden

Dieser Tag, es war der 15. Jänner 2015, ging als Franken-Schock in die Geschichte der Finanzwirtschaft ein. Seine negativen Folgen für die Schweizer Volkswirtschaft werden immer deutlicher: So schoppen - ungeachtet aller politischen Appelle an den Schweizer Patriotismus - Hunderttausende Eidgenossen statt daheim lieber in benachbarten Euro-„Billigländern“.

Lebensmittel, Drogerie, Bekleidung, Sportwaren, Einrichtungsgegenstände - nach einer Erhebung der Universität St. Gallen haben allein diese Branchen bereits neun Milliarden Franken (8,5 Mrd. Euro) durch den „Einkaufstourismus“ nach Deutschland, Österreich, Frankreich oder Italien verloren. Zu den Nutznießern gehören Supermärkte und Kaufhäuser sowie Restaurantbetreiber im süddeutschen Grenzgebiet von Weil am Rhein bis Konstanz. Nie zuvor haben Schweizer zudem so viel per Internet im Ausland eingekauft wie in den letzten sechs Monaten.

Tourismus leidet schwer

Unüberhörbar stöhnt die Tourismusbranche. Immer mehr Schweizer machen Ferien im billigen Rest der Welt. Immer weniger Euro-Verdiener urlauben in der schönen Schweiz. Viele Hotels kämpfen ums Überleben. „Man kann noch so gute Arbeit leisten, aber den Kostennachteil, der durch die Aufwertung entstanden ist, wird man nicht aufholen“, sagte Philippe Frutiger, Chef der Giardino-Hotelgruppe, der „Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag“. „Noch 2008 konnte ein deutscher Gast seinen Aufenthalt in der Schweiz zum Kurs von 1,63 Franken (pro Euro) begleichen - jetzt stehen wir nahe der Parität.“ Für Euro-Besitzer habe sich die Hotelrechnung in der Schweiz damit um rund 57 Prozent verteuert.

Rückgang der Exporte

Die wohl schlimmsten Folgen des Franken-Schocks drohen nun aber in der Industrie, die weitgehend auf Exporte angewiesen ist. Um 2,6 Prozent gingen die Ausfuhren in der ersten Jahreshälfte zurück, wie die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) mitteilte. Edelschmuck und Luxusuhren waren zwar kaum betroffen, aber sieben Branchen erlitten Einbußen, darunter Pharma und der Maschinenbau. Dabei waren zunächst noch ältere Auftragseingänge abgearbeitet worden. Neubestellungen seien „massiv zurückgegangen“, heißt es bei der Exportförderung Switzerland Global Enterprise. Die Exportstimmung habe besonders bei kleinen und mittleren Unternehmen „ein Rekordtief“ erreicht.

30.000 Jobs in Gefahr

Als direkte Folge der Franken-Stärke geht das Wachstum des Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP) zurück. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) in Bern hat die Prognose für 2015 von 2,1 Prozent auf 0,8 Prozent gesenkt. Valentin Vogt, Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, geht sogar von nur noch 0,4 Prozent aus und sagt: „Ich bleibe darum auch bei meiner Prognose, dass wir mit einem Euro-Kurs von 1,05 Gefahr laufen, 30.000 Stellen zu verlieren.“

Im Vergleich zur Euro-Zone spielen sich die Schweizer Sorgen und Nöte allerdings noch auf einem sehr hohem Niveau ab: Die Arbeitslosigkeit etwa beträgt nur 3,1 Prozent und ist damit deutlich unter dem Durchschnitt der Euro-Länder (11,1 Prozent), während die Löhne und Gehälter in der Eidgenossenschaft am obersten Ende rangieren.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) fürchtet aber, dass bis Anfang 2016 jeder zehnte Job in der Industrie wegfallen wird und fordert Gegenmaßnahmen. „Es darf nicht sein, dass die Arbeitnehmer in der Schweiz die Opfer der Währungsspekulationen und des schlechten Krisenmanagements in der Eurozone werden“, sagt SGB-Chefökonom Daniel Lampart. Die Nationalbank müsse den Franken-Kurs wieder aktiv steuern, um Löhne und Jobs zu schützen.

Thomas Burmeister, dpa

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