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Bestrafung und Versöhnung

Das traditionelle Justizsystem Gacaca hat in Ruanda nach dem Völkermord von 1994 maßgeblich zur Aussöhnung zwischen Tutsi und Hutu beigetragen. Nach dem Ende der Gewalt musste die neue Regierung des ostafrikanischen Landes nach Wegen suchen, der Lage in den vor Häftlingen überquellenden Gefängnissen Herr zu werden.

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Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) hatte zwar großen symbolischen Charakter, aber nicht die Kapazität, den Opfern und dem am Boden liegenden Land Gerechtigkeit zu garantieren. Schätzungen hatten zudem ergeben, dass es 200 Jahre dauern würde, um ordnungsgemäße Gerichtsverfahren gegen alle Verdächtigen durchzuführen.

Dorfgerichte für Familienstreits

Ursprünglich diente das Gacaca-System dazu, Familienstreits und Unstimmigkeiten innerhalb einer Gemeinde unter der Führung der Dorfältesten beizulegen. Getagt wurde draußen, oft saßen die Parteien dabei auf dem für Ruanda typischen Gacaca-Gras, das in Ruandas Berglandschaft wächst und den Gerichten den Namen verlieh.

1,2 Millionen Fälle

Von 2002 an wurde die uralte Tradition dazu genutzt, den Genozid, dem über 800.000 Tutsi und moderate Hutu zum Opfer gefallen waren, aufzuarbeiten. Über 1,2 Millionen Fälle wurden in dieser Zeit in etwa 12.000 Gacaca-Gerichten behandelt. Das Urteil fällten die Inyangamugayo, ehrenwerte Bürger, die von der Bevölkerung zum Richter gewählt wurden. Bei den Verfahren standen die Täter den Opfern direkt gegenüber.

Genozid-Verdächtige vor einem traditionellen "Gacaca" Gericht

Reuters/Themistocle Hakizimana

Verhandlung gegen Ex-Hutu-Kämpfer in ihren typischen rosafarbenen Uniformen

„Sie mussten ihre Taten vor Angehörigen der Opfer erklären“, sagte Eric Mahoro, der Direktor der Menschenrechtsorganisation Never again Rwanda. „Es ging nicht nur darum, zu bestrafen, sondern auch darum, zuzuhören und die ganze Geschichte von Morden und Massakern zu erfahren.“ Das sei zwar für viele äußerst schmerzhaft gewesen, habe aber auch zur Versöhnung beigetragen.

65 Prozent Schuldsprüche

Etwa 65 Prozent der Angeklagten wurden schuldig gesprochen und je nach Schwere ihrer Tat zu langjährigen Gefängnisstrafen, Reparationszahlungen oder gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Die anfängliche Euphorie wich landesweiter Ernüchterung. Oftmals kam das notwendige Quorum von 100 erwachsenen Anwesenden nicht zusammen, weil an den Verfahren Desinteresse bestand.

Häufig wurden die Leiden der Tutsi nicht von den Hutu anerkannt, Hutu fühlten sich kollektiv angeprangert, Entschädigungen für Opfer konnten nicht gezahlt werden, und Drohungen gegen Zeugen waren nicht wirksam zu unterbinden. Im Juni 2012 stellten die Gacaca-Gerichte ihre Tätigkeit offiziell ein. Noch heute sieht man zahlreiche ehemalige Hutu-Kämpfer in ihren rosafarbenen Uniformen auf Feldern oder im Straßenbau arbeiten.

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