„Akteure“ und „Komplizen“
Frankreich wird nun doch nicht an der Gedenkfeier für die Opfer des Völkermordes in Ruanda vor 20 Jahren am Montag teilnehmen. Der französische Botschafter wurde offiziell ausgeladen. Zuvor hatte Paris eine Absage erwogen, nachdem Ruandas Präsident Paul Kagame Frankreich erneut eine Mitschuld an dem Völkermord in dem ostafrikanischen Land 1994 gegeben hatte.
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Er werde Frankreich bei der Veranstaltung in Kigali nicht vertreten, so Botschafter Michel Flesch am Montag. Ihm sei die Akkreditierung für die Zeremonie in der ruandischen Hauptstadt Kigali entzogen worden, so Flesch. Ob auch Begliens Außenminister Didier Reynders als Vertreter seines Landes ausgeladen wurde, ist nicht bekannt.
„Der Wahrheit ins Auge sehen“
Frankreich und Belgien hätten bei der „politischen Vorbereitung“ der Massenmorde 1994 eine „direkte Rolle“ gespielt, sagte Kagame in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit der Zeitschrift „Jeune Afrique“. Französische Soldaten, die für einen humanitären Militäreinsatz in der früheren belgischen Kolonie stationiert waren, seien „Akteure“ und „Komplizen“ bei den Massakern gewesen, so Ruandas Präsident.
Die ruandische Außenministerin Louise Mushikiwabo legte am Sonntag nach: Frankreich müsse „der Wahrheit ins Auge sehen“, sagte sie. Kigali könne die Vergangenheit zum Wohl guter Beziehungen zu Paris nicht einfach verdrängen.
Französisches Militär bildete Hutu-Milizen aus
Dem Völkermord in Ruanda waren mindestens 800.000 Menschen zum Opfer gefallen, die meisten gehörten der Minderheit der Tutsi an. Andere Stellen sprechen von bis zu einer Million Toten. Die dominierende Bevölkerungsgruppe der Hutu hatte nach dem tödlichen Anschlag auf Präsident Juvenal Habyarimana am 6. April 1994 einen wochenlangen Rachefeldzug gegen die Tutsi gestartet.

Reuters/Antony Njuguna
Gedenkstätte in der Kirche Nyamata, in der eines der schwersten Massaker stattfand
Ein ruandischer Untersuchungsbericht kam 2008 zu dem Schluss, dass das französische Militär die für die Massaker verantwortlichen Milizen ausgebildet habe. Einige französische Soldaten sollen sogar selbst gemordet haben. Im Februar 2010 hatte der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy bei einem Versöhnungsbesuch in Ruanda „schwere Fehleinschätzungen“ eingestanden. Frankreich und die internationale Gemeinschaft hätten nicht genug unternommen, „dieses abscheuliche Verbrechen zu verhindern und aufzuhalten“, sagte Sarkozy damals.

APA/EPA/Ian Langsdon
Frankreichs Justizministerin Christiane Taubira reist nicht nach Ruanda
Elysee weist Vorwürfe zurück
Die französische Regierung weist die Vorwürfe der Mitschuld seit jeher zurück. Zunächst erklärte der Elysee-Palast am Samstag, die jüngsten Äußerungen Kagames seien einer „Befriedung“ nicht zuträglich. Am Samstagabend sagte Außenministeriumssprecher Romain Nadal dann, Frankreich sei von Kagames Äußerungen „überrascht“ und werde von einer Teilnahme an den Gedenkfeiern absehen. Ursprünglich hätte am Montag Justizministerin Christiane Taubira in Kigali am Gedenken an den Völkermord teilnehmen sollen.
Reynders sagte im Sender RTBF, er verstehe die französische Reaktion, „weil Frankreich der aktiven Teilnahme am Völkermord beschuldigt wird, auch auf militärischer Ebene“. In Belgien habe eine Untersuchungskommission die Vorgänge „lang und breit“ untersucht und sei zu dem Schluss gekommen, dass die Vorbereitung des Völkermordes „Extremistengruppen in Ruanda selbst zuzuschreiben“ sei.
Eine Woche Staatstrauer
An den Gedenkfeiern in Ruanda wollen am Montag auch UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon und Washingtons UNO-Botschafterin Samantha Power teilnehmen. „Die internationale Gemeinschaft hat die Menschen in Ruanda vor 20 Jahren im Stich gelassen. Derzeit laufen wir Gefahr, der zentralafrikanischen Bevölkerung der das Gleiche anzutun“, sagte Ban am Wochenende bei einem Besuch in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanische Republik. Die Staaten müssten schneller handeln und mehr Truppen in das Krisenland schicken.
Die Gedenkfeiern in Ruanda haben am Dienstag begonnen. An einem Genoziddenkmal in der Hauptstadt Kigali wurde eine Flamme entzündet, die in den kommenden drei Monaten in verschiedenen Orten des Landes Station machen soll. Neben Regierungsvertretern nahmen auch Überlebende des Völkermords an der Zeremonie teil.
„Wir sind uns der Schwierigkeiten und Herausforderungen des Weges, der vor uns liegt, sehr genau bewusst. Der Aufbau einer Nation ist keine einfache Aufgabe, vor allem vor dem Hintergrund eines Genozids“, sagte Mushikiwabo. In den kommenden Monaten sollen landesweit Diskussionen über die Hintergründe der Massaker und die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft organisiert werden. Am 7. April beginnt in Ruanda wie in jedem Jahr eine Woche der Staatstrauer.
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