Hutu machten Jagd auf Tutsi
Der Abschuss eines Flugzeuges mit Präsident Juvenal Habyarimana an Bord hat am 6. April 1994 den Völkermord in Ruanda ins Rollen gebracht. Radikale Hutu gaben den Tutsi die Schuld am Tod des Hutu Habyarimana und töteten in der Folge Hunderttausende Tutsi und gemäßigte Hutu, die sich weigerten, sich dem Morden anzuschließen.
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Wer für das Attentat verantwortlich war, ist bis heute ungeklärt. Für Habyarimanas Hutu-Volksmehrheit war es aber der offizielle Startschuss dafür, das „Tutsi-Problem“ ein für alle Mal zu lösen. Es ging nicht um einen einfachen Sieg über die Minderheit, es ging darum, diese komplett auszurotten. Das Vorhaben wurde von langer Hand durch eine gut funktionierende Propagandamaschinerie vorbereitet.
Bestialisches Gemetzel
Im Radio wurden die Tutsi als „Inyenzi“ (wörtlich „Kakerlaken“) beschimpft. Der Journalist Hassan Ngeze rief den Hörern des Senders Radio Television Libre des Mille Collines zu: „Wir werden jetzt damit beginnen, den inneren Feind zu beseitigen. Er wird verschwinden.“ Todeslisten wurden angelegt, mit den Namen von Tutsi und oppositionellen Hutu.

Reuters/AVD/CMC/Corinne Dufka
Gemordet wurde mit allen erdenklichen Waffen
Regierungsnahe Interahamwe-Milizen, Armee und Präsidentengarde, aber auch Zivilisten begannen schließlich damit, diese Menschen systematisch mit Gewehren und Granaten, Macheten, Äxten, Speeren und Knüppeln hinzumetzeln. Die Massaker überzogen das gesamte Land. Männer, Frauen und Kinder wurden getötet - auf den Straßen, in ihren Häusern und selbst in Kirchen und Schulen, in denen sie sich sicher glaubten. Oft gingen den Morden Folter, Verstümmelungen und Vergewaltigung voraus. Die Zahl der Todesopfer wird von den Vereinten Nationen (UNO) auf etwa 800.000 beziffert, andere Stellen sprechen von einer Million.
Weltöffentlichkeit hat zugesehen
Der Weltsicherheitsrat sah dem Völkermord tatenlos zu: Die UNO-Truppen im Land wurden nach der Ermordung belgischer Blauhelme sogar stark verringert. „Weder das UNO-Sekretariat noch der Sicherheitsrat, die Mitgliedsstaaten oder die Medien haben den Vorboten dieser Katastrophe genügend Aufmerksamkeit gewidmet“, gab der damals für UNO-Friedenseinsätze zuständige Untergeneralsekretär Kofi Annan später zu. „Nachbarn brachten ihre Nachbarn um und Zufluchtsstätten wie Kirchen und Krankenhäuser wurden zu Schlachthöfen. Die internationale Gemeinschaft hat in Ruanda versagt.“

Reuters/Jeremiah Kamau
Millionen flohen vor der Gewalt außer Landes
Französischen Truppen wurde eine Nähe zu den Tätern vorgeworfen. Sie seien „Akteure“ und „Komplizen“ bei den Massakern gewesen, sagte Ruandas Präsident Paul Kagame am Samstag. Der Elysee-Palast wies die Vorwürfe zurück. 2010 hatte der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy jedoch bei einem Versöhnungsbesuch in Ruanda „schwere Fehleinschätzungen“ eingestanden. Frankreich und die internationale Gemeinschaft hätten nicht genug unternommen, „dieses abscheuliche Verbrechen zu verhindern und aufzuhalten“, sagte Sarkozy damals.
Infolge der Gräueltaten flohen mehr als zwei Millionen Ruandesen in die Nachbarländer Burundi, Tansania, Uganda und Kongo (damals Zaire). Im Juli nahmen die von der Tutsi-Minderheit dominierten Rebellen der Patriotischen Front Ruandas (RPF) unter Kagame die Hauptstadt Kigali ein und stürzten die Regierung. Der Hutu Pasteur Bizimungu wurde Staatspräsident, Kagame Vizepräsident. 2000 wurde Bizimungu zum Rücktritt gezwungen, Kagame übernahm das Präsidentenamt und herrscht seither autoritär über den ostafrikanischen Staat.
Rassismus der Kolonialzeit
Die Ursachen für die Eskalation lagen bereits in der kolonialen Vergangenheit. Schon die deutschen Kolonialherren (1899 bis 1919) interpretierten die Sozialbeziehungen rassistisch. Unter belgischer Kolonialherrschaft (1919 bis 1962) wurde die ethnische Zugehörigkeit in Personalausweisen eingetragen. Spannungen zwischen der Hutu-Mehrheit, die überwiegend aus Bauern bestand, und der traditionell als Viehhirten tätigen Tutsi-Minderheit waren auch davor schon sporadisch vorgekommen.

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Nur wenige überlebten das Gemetzel
Aber mit der aufgezwungenen klaren Zuordnung zu einer „Rasse“ eskalierten die Streitigkeiten immer mehr. Schon 1959 kam es zu einer ersten Tutsi-Flüchtlingswelle in die Nachbarländer. In einem Ausstellungsraum der Genozidgedenkstätte in Kigali steht denn auch in großen Lettern an der Wand geschrieben: „Wir haben es uns nicht ausgesucht, kolonisiert zu werden.“ Die „tiefen Spaltungen und die daraus resultierende Gewalt“ habe es nie zuvor in so einem Ausmaß gegeben.
Überforderte Gerichte
Vor dem Völkermord wurde der Anteil der in Ruanda ansässigen Tutsi auf etwa elf Prozent geschätzt. Mindestens drei Viertel, vielleicht auch über 90 Prozent wurden in nur 100 Tagen getötet. Mit der juristischen Aufarbeitung des Grauens waren die Gerichte des Landes überfordert.
Deshalb wurden etwa zwei Millionen Fälle vor sogenannten Gacacas - Dorfgerichten, die bis dahin lediglich für kleinere Familienstreitigkeiten eingesetzt worden waren - verhandelt, doch dieses Prozedere zog sich über mehr als ein Jahrzehnt hin. Mehrere Verantwortliche wurden zudem vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) für Ruanda verurteilt.
Bis heute sitzt das Trauma des Völkermordes tief und spaltet die ruandische Gesellschaft. Die staatliche Versöhnungskommission geht von mehr als 300.000 Waisenkindern und 500.000 Witwen aus. Hinzu kommen traumatisierte Überlebende, verstümmelte Zivilisten und Millionen Mittäter, die friedlich miteinander auskommen müssen. Eine Leugnung des Völkermordes ist strafbar, Schulbücher wurden auf Spuren von ethnischem Hass durchkämmt.
Wirtschaftsaufschwung dank Baubooms
Heute gilt Ruanda mit seinen 11,4 Millionen Einwohnern als afrikanisches „Musterland“. Seine Wirtschaft ist eine der stabilsten auf dem Kontinent. Korruption ist im Vergleich zu anderen afrikanischen Staaten ein geringes Problem, Kriminalität ebenfalls. Mit einem Programm aus dem Jahr 2000 will Kagame Ruanda bis 2020 wettbewerbsfähig machen, IT-Parks bauen und die Infrastruktur verbessern. Weite Landesteile sind bereits an das Glasfasernetz angeschlossen, allerorts werden Funkmasten errichtet.

Reuters/Noor Khamis
Gläserne Bürotürme dominieren heute die Skyline der Hauptstadt Kigali
Dennoch ist das fruchtbare Tropenland noch weitgehend von der Landwirtschaft abhängig, 93 Prozent der Bevölkerung arbeiten in diesem Bereich. Energieknappheit und zum Teil schlechte Transportwege überschatten die Entwicklung. 60 Prozent leben unter der Armutsgrenze. Die Analphabetenrate liegt bei 30 Prozent. Zudem werfen Menschenrechtsorganisationen der ruandischen Regierung und ihren Sicherheitsbehörden die Verfolgung und Einschüchterung von Oppositionellen vor. Die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt, und die Gerichte erfüllen keine internationalen Standards.
„Ein Licht der Hoffnung“
Der 20. Jahrestag des Völkermords am 7. April wird landesweit begangen. Im Kigali Memorial Centre und im Nationalstadion sind Veranstaltungen mit internationalen Ehrengästen geplant. An Massakergedenkstätten wie Kirchen und Schulen gibt es ebenfalls Zeremonien.
Eine Woche lang dürfen keine Hochzeiten stattfinden, Nachtklubs bleiben geschlossen, überhaupt sind alle lauten öffentlichen Treffen verboten. Seit Jänner wird eine „Flamme der Hoffnung“ durch das „Land der tausend Hügel“ getragen. Ildephonse Karengera von der Nationalen Kommission für den Kampf gegen Genozid (CNLG) sagte: „Wir sind durch die Finsternis gegangen, aber heute gibt es ein Licht der Hoffnung: Ruanda ist wieder eins.“
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