Houelllebecq über Houellebecq
Michel Houellebecq, Frankreichs Literaturstar und Skandalautor Nummer eins, im Interview mit ORF.at über seine Rolle im Film „L’enlevement de Michel Houellebecq“ und die Ohnmacht des Bürgers in Europa.
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ORF.at: Monsieur Houellebecq, haben Sie sich beim Anschauen des Films wiedererkannt als Michel Houellebecq oder haben Sie mit dem Regisseur doch an der Rolle gearbeitet?
Michel Houellebecq: (lange Pause) Es ist eine Rolle. Ich bin zwar aufrichtig in dem, was ich im Film sage. Aber eine Rolle ist es dennoch, und sie zeigt Aspekte meiner Persönlichkeit. Es stimmt, ich bin misanthropisch und autistisch veranlagt, doch wenn ich mich wirklich in so einer Situation befunden hätte, hätte ich ganz anders reagiert.
ORF.at: Wie viel Improvisation steckt in dem Film?
Houellebecq: Es gab ein Drehbuch, aber keine Dialoge darin. Das meiste ist improvisiert. Die Gespräche nahmen oft eine überraschende Wendung. Nachdem ich den Film gemacht habe, war mir noch klarer als vorher, dass ich einem großen Dokumentarfilm über mich, wie man ihn mir schon vorgeschlagen hat, niemals zustimmen würde. Die Idee des Dokumentarischen macht mich müde. Für mich ist es wichtig, dass der fiktive Charakter des Spielfilms hinzutritt.
ORF.at: Wie war es für Sie, plötzlich vor der Kamera zu stehen?
Houellebecq: Überall waren Kameras. Im Allgemeinen vier, das war eine clevere Idee, denn so konnte ich leichter vergessen, dass ich dauernd gefilmt wurde.
ORF.at: Gegen Ende des Films sprechen Sie über Europa: Schweden sei eine Diktatur, Europa rückschrittlich und undemokratisch, in Frankreich gebe es keine Meinungsfreiheit. Alles ernst gemeint?
Houellebecq: Ich finde das nicht komisch, es ist doch schrecklich traurig, nicht in einer Demokratie zu leben.
ORF.at: Und warum ausgerechnet Schweden?
Houellebecq: In Schweden ist es karikaturartig zugespitzt, die Lage ist aber allgemein so. Die Meinungsfreiheit ist dabei nur ein Detail. Das Wichtigste ist die Abwesenheit von Demokratie, und das ist dramatisch. Man befragt uns Bürger nie, Gesetze werden gemacht, ohne dass ich dazu gefragt werde. Beim Haushalt ist es dasselbe: Ich zahle Steuern, ohne dass ich weiß, wie viel davon für die Armee ausgegeben wird, wie viel für Bildung und so weiter. In Frankreich wurde der EU-Verfassungsvertrag von Lissabon per Volksentscheid abgelehnt - umgesetzt haben ihn die Politiker dann doch. Zeigt das nicht die totale Missachtung des Volkswillens?
ORF.at: Noch ein anderes Zitat aus dem Film: Staatspräsident Francois Hollande, sagen Sie, würde bestimmt kein Lösegeld für meine Freilassung zahlen. Was macht Sie so sicher?
Houellebecq: Ich bin nicht sicher. Ich habe das im Gefühl, und ich vertraue ihm nicht.
ORF.at: Schon in „Karte und Gebiet“ ging es um Selbstauslöschung. Sie beschreiben darin ihre eigene Ermordung. Im Film sagen Sie, es wäre nicht schlimm, wenn die Entführer Sie jetzt umbringen würden. Ist das ein lustvolles Thema für Sie?
Houellebecq: Nein, aber die Begräbnisszene aus „Karte und Gebiet“ ist ziemlich bewegend, finde ich. Meine Leser sind meine kleine Familie, könnte man sagen. Ich spreche ja auch nicht von mir, sondern von der Figur, die ich für meine Leser bin. Ich bin gar nicht so sicher, ob ich als Autor etwas zu sagen habe. (lacht) Ich habe den Eindruck, dass ich mich langweile, wenn ich keine Romane schreibe. Ich werde alt, und das Leben interessiert mich nicht genug.
ORF.at: Wie wollen Sie sterben?
Houellebecq: Mit Morphium.
Interview: Alexander Musik, ORF.at, aus Berlin
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