Themenüberblick

Mobilisierung für Wahl entscheidend

Rund 100 der derzeit 766 Abgeordneten im Europaparlament halten von der EU wenig bis gar nichts - das Spektrum reicht von Euro-Skeptikern über Rechtspopulisten bis zu Rechtsextremen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Deren politische Gegner - verschiedenster Couleur - warnen davor, dass diese Gruppe bei der nächsten Wahl zum EU-Parlament im Mai wieder größer wird - mit entsprechenden Folgen für die EU-Gesetzgebung. Die warnenden Stimmen dürften in den nächsten Wochen noch lauter werden, da die Chance, dass diese rechten Gruppierungen erstmals eine eigene Fraktion im EU-Parlament bilden, größer ist als je zuvor.

Schon beim Wahlkampf wird es für Sozialdemokraten und Konservative eine Herausforderung, neben emotionalen Negativkampagnen gegen Brüssel mit proeeuropäischen Themen zu punkten. Der gewichtige Präsident des Europaparlaments, der Sozialdemokrat Martin Schulz, sagte bereits vor wenigen Wochen, dass die Mitte-rechts- und Mitte-links-Parteien in ihrem Wahlkampf auf diese Entwicklung eingehen müssten. Es gehe nicht um die Frage „Europa ja oder nein“, sondern um die Frage, „welches Europa wir wollen“.

In Österreich möchte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit seinen Spitzenkandidaten Andreas Mölzer und FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky mindestens 20 Prozent bei der EU-Wahl am 25. Mai erreichen - mit bis zu fünf Mandaten. Strache sagte, die Wahl könne zum „Denkzettel“ für Rot-Schwarz werden. Das zeige deutlich, wie Strache Europa für die Innenpolitik instrumentalisiere, betont die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle im Gespräch mit ORF.at: „Ein Interesse an der Weiterentwicklung der EU gibt es nicht.“

„Sand ins Getriebe streuen“

Einige rechte Parteien in Europa, darunter auch die FPÖ, planen eine Rechtsfraktion. Dafür sind allerdings mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens sieben EU-Ländern notwendig. „Sind die rechten Parteien in einer Fraktion organisiert, haben sie realpolitisch mehr Einfluss. Sie könnten eine relevante Größe bekommen und Sand ins Getriebe streuen“, erklärt Stainer-Hämmerle. Bisher hätten die national orientierten Parteien nie eine gemeinsame europäische Position gefunden. „Das Argument, dass eine Stimme für die FPÖ eine verlorene ist, würde dann etwas entkräftet“, so die Politologin.

Bei der EU-Wahl 2009 erreichten die Freiheitlichen 12,7 Prozent und damit Platz vier hinter der ÖVP, SPÖ und der Liste Martin. Auch wenn es nicht Platz eins werden sollte, so sei Strache in jedem Fall ein Gewinner, betont der Politikexperte Peter Filzmaier gegenüber ORF.at: „Rot und Schwarz haben kaum mehr Luft nach oben.“

Mobilisierung „riskant für SPÖ“

Den Vorwurf, die nationale Stimmungslage wichtiger zu nehmen als die Europapolitik, könne man aber auch Rot und Schwarz machen, so Stainer-Hämmerle: „Die Europapolitik wird zu wenig ernst genommen. Und im Wahlkampf kann das Rad nicht neu erfunden werden.“ Das Problem von Rot und Schwarz: „Mit einer offensiven proeuropäischen Politik kann man in Österreich nicht punkten“, glaubt Stainer-Hämmerle.

Das Interesse der Österreicher an der EU-Wahl ist vergleichsweise gering: Nicht einmal jeder zweite Wahlberechtigte - nur 46 Prozent - gab 2009 seine Stimme ab. Auch diesmal sehen Experten das größte Problem in der Mobilisierung - vor allem für FPÖ und SPÖ. „FPÖ-Wähler sind EU-kritisch und EU-ferner und bleiben am ehesten zu Hause“, sagt Filzmaier. Bei der SPÖ könnte der starke Anteil älterer Wähler entscheidend für eine geringe Wahlbeteiligung sein. Filzmaier: „Für die SPÖ wäre es daher riskant, jetzt groß zu mobilisieren, weil diese Wähler dann auch zur FPÖ wechseln könnten.“

Die SPÖ müsse als Kanzlerpartei einen proeuropäischen Kurs fahren. Diese klar europäische Positionierung sei für diese Zielgruppe schwierig. Filzmaier erwartet, dass die SPÖ-FPÖ-Wechselwähler deutlich mehr sind als noch vor fünf Jahren. Ähnlich wie 2009 rechnet er mit einem „korrekten Wahlkampf“ der SPÖ, die „hofft, dass das Thema schnell wieder weg ist“.

NEOS Hauptgegner der ÖVP

Es sei zwar leichter, gegen die EU zu mobilisieren, so die Politologin Stainer-Hämmerle, doch ist auch sie überzeugt, dass FPÖ-Wähler eher von den Wahlurnen fernblieben - „außer es kommt zu einem Schwarz-Weiß-Wahlkampf mit viel Drohpotenzial“. Hier stelle sich die Frage, ob das mit Argumenten entkräftet werden könne. Stainer-Hämmerle: „Die ÖVP als bisher klar positionierte Europapartei hat den Mut verloren, klar proeuropäisch zu agieren.“

Und auch wenn sich Kanzler Werner Faymann (SPÖ) Richtung Pro-Europa gedreht habe, werde er eher versuchen, sich die Euro-Skepsis in der Wahlkampfdebatte offenzulassen, vermutet die Politologin: „Ich traue Faymann und Spindelegger (Finanzminister Michael, ÖVP, Anm.) den Mut nicht zu, wenn die Debatte auf einen europakritischen Diskurs umschwenkt, offensiv das konträre Positive einzunehmen.“

Was die Mobilisierung ihrer Wähler betrifft, hätten es die Schwarzen leichter, betont Filzmaier: „Der Hauptgegner der ÖVP sind die NEOS, von denen sich potenzielle ÖVP-Wähler ebenfalls angezogen fühlen.“ Für NEOS tritt die frühere Chefin des Liberalen Forums (LIF), Angelika Mlinar, bei der EU-Wahl an.

Eugen Freund „kein Hans-Peter Martin“

Ob die Spitzenkandidaten die Mobilisierung für die Wahl vorantreiben, bezweifeln die Experten. Es sei nach wie vor das Schicksal der EU-Kandidaten, dass sie nach „Brüssel weggelobt“ würden, kritisiert Filzmaier. Sie seien in Brüssel anerkannt, stünden in Österreich aber in der zweiten Reihe.

Während die ÖVP mit dem profilierten EU-Politiker Othmar Karas trotz nicht immer einhelliger Meinung mit der Partei in Österreich auf Altbewährtes setzt, entschied sich die SPÖ für einen Überraschungskandidaten. Die bisherige SPÖ-Spitze Hannes Swoboda tritt nicht mehr an. Am Donnerstag wurde stattdessen der bisherige ZIB-Moderator Eugen Freund vom SPÖ-Bundesparteivorstand einstimmig zum Spitzenkandidaten der SPÖ bestimmt. Hinter Freund folgen die bisherigen SPÖ-EU-Mandatare Evelyn Regner und Jörg Leichtfried.

Jedenfalls sei „Eugen Freund kein Hans-Peter Martin“, betonte Swoboda. Martin zog 1999 als SPÖ-Spitzenkandidat ins EU-Parlament ein. Nach jahrelangen Spannungen wurde er 2004 aus der sozialdemokratischen Fraktion ausgeschlossen und erreichte mit seiner Liste Martin 2004 und 2009 - nicht zuletzt mit Hilfe der „Kronen-Zeitung“ großen Zuspruch unter den Wählern.

Links: