Nach eigenem Ermessen
Die FPÖ plakatiert im Wahlkampf: „Asylbetrüger müssen gehen.“ Die restlichen Parteien formulieren es andersherum, aber es läuft auf dasselbe hinaus: Wem Asyl zusteht, der soll auch Asyl bekommen. Nur - wem steht Asyl zu, wem nicht, wer ist ein „Betrüger“, und wie kann man das ordentlich recherchieren?
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Ali ist ein aufgeweckter Kerl, der selbst dann noch scherzt, wenn es um ernste Themen geht. Der 18-jährige Asylwerber sagt, dass keiner von ihnen zum Spaß nach Österreich kommt. Es fiel ihm schwer, die Heimat zu verlassen. Es ist mühsam, eine fremde Sprache lernen zu müssen. Und die Feindseligkeit in der Fremde kommt an: Das Auftreten von FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache mache ihm Angst. Dennoch: Ali will in Österreich bleiben - er fürchtet sich davor, sagt er, in seine Heimat Pakistan zurückzukehren, wo ein Anschlag auf ihn verübt worden sei.
In so einem Fall ist es am österreichischen Asylwesen, ihm Schutz zu gewähren, ihn als Flüchtling anzuerkennen - oder aber ihn zurückzuschicken. Zuerst wird man nach dem Grenzübertritt von der Polizei einvernommen. Dabei darf nur kurz nach dem Asylgrund gefragt werden, ein paar Sätze als Antwort genügen. Hier fängt die Krux an. Ab diesem Moment scheiden sich die Geister, ob in Österreich Asylrecht im besten Sinne gehandhabt wird oder alles Richtung Abschiebung drängt.
ORF.at/Zita Köver
Der 18-jährige Ali, auf dem Boden sitzend in seinem WG-Zimmer bei der Caritas
Das Gewicht der ersten paar Sätze
Das beginnt mit der Frage, ob diese eine erste Antwort zur Begründung für eine Entscheidung in Erwägung gezogen werden darf. Caritas-Rechtsexpertin Katrin Hulla sagt: Nein. Das sei auch nicht sinnvoll. Die Menschen kämen gestresst nach einer langen Flucht, würden vielfach unter den Folgen einer Traumatisierung leiden, seien oft nur wenig gebildet und könnten aus all diesen Gründen ihr Anliegen nicht stringent vorbringen, schon gar nicht in ein paar Sätzen. Es sei problematisch, ihnen später etwas vorzuhalten, was in dieser Situation gesagt wurde.
Dem widerspricht Elmar Samsinger. Er repräsentiert die andere Seite im Asylverfahren. Seit 15 Jahren entscheidet er in zweiter Instanz über Asylfälle, zuerst für den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS), später für den neu gegründeten Asylgerichtshof. Im Interview - in dem er seine eigene Meinung wiedergibt und nicht den Gerichtshof vertritt - pocht er vor allem auf seine Erfahrung. Es gibt kaum etwas, das er in all den Jahren nicht schon einmal gehört hat.
Die Polizistin, die lacht
Samsinger besteht darauf: „Alles, was ein Asylwerber sagt, kann auch gegen ihn verwendet werden.“ Jeder, der nach Österreich komme, habe das monatelang geplant. Dass hier plötzlich jemand gestresst vor den Polizisten stehe und etwas Unüberlegtes sage, sei sicher nicht die Regel. Und dann, so Samsinger, müsse man den Behörden schon einmal erklären, warum später, nach Gesprächen mit anderen Asylwerbern und Rechtsberatern, plötzlich neue Asylgründe dazukämen.
Ali war in Traiskirchen bei der Ersteinvernahme. Die Polizistin sei richtig nett gewesen, erzählt er, sie habe sogar ein paarmal gelacht. Später hat er das nicht wieder erlebt. Beamte, meint er, würden ihm zwar nicht wirklich böse, aber immer sehr ernst und teilweise unwillig gegenübertreten. Nach zwei Monaten folgte schließlich die richtige Einvernahme durch die erste Instanz - das Bundesasylamt. Knapp zwei Stunden hatte er Zeit, seine Situation zu schildern.
„So kurz wie möglich“
Ob er alles anbringen habe können, was er für wichtig gehalten habe in Bezug auf seinen Asylgrund? „Nein. Ich wollte einiges ausführlicher erklären, aber der Referent hat gesagt: ‚So kurz wie möglich.‘“ Asylrichter Samsinger erklärt das damit, dass es gerade in erster Instanz aufgrund der vielen Verfahren vor allem darum gehe, mögliche Asylgründe zu ermitteln, und nicht um Dinge, die mit dem Asylverfahren nichts zu tun haben.
Er beschreibt das Frage-Antwort-Spiel mit einem Asylwerber: Frage - Antwort - Nachfrage - Antwort - weitere Nachfrage, immer weiter ins Detail, bis hin zur Farbe des Plakats, das jemand bei einer Demonstration gehalten habe: „Wenn seine Geschichte nicht stimmt, hängt er sich irgendwann auf, weil er nicht damit gerechnet hat, dass ich ihn so detailliert frage. Was uns hilft: Die meisten Asylwerber denken nicht so wie wir. Unser systematisches Denken ist ihnen fremd. Ist ein Asylwerber stringent bis zum Ende - dann wird er wahrscheinlich glaubwürdig sein.“
„Haarsträubende“ Einvernahmen
Ein Ansatz, den Rechtsvertreter von Asylwerbern in vielerlei Hinsicht für problematisch halten. Mit dieser Methode würde man sich in irgendwelche Details verrennen. Die Asylwerber, sagt Hulla, antworten auf alles brav, aber kommen nicht dazu, den eigentlichen Sachverhalt zu erklären. „Haarsträubend“ sagt sie, sei die Lektüre solcher Einvernahmeprotokolle mitunter. Die Beamten kämen nicht einmal in die Nähe davon, zu klären, worum es eigentlich geht. Echte Asylgründe würden einfach nicht ermittelt.
ORF.at/Roland Winkler
Ein aktuelles Wahlplakat der FPÖ
Widersprüche und Unschärfen
Hulla erzählt, dass sie selbst erst unlängst 15 Stunden mit einem Iraner zusammengesessen sei, bis ihr klar war, was dem genau wiederfahren war. Er habe an einer „Zeitgitterstörung“ gelitten, einem posttraumatischen Syndrom, das es den Betroffenen schwermacht, chronologisch zu erzählen. Menschen wie ihn müsse man sensibel auf eine Befragung vorbereiten. Nicht, damit sie eine erlogene Geschichte erzählen, sondern damit sie die tatsächlichen Gegebenheiten wiedergeben können. Damit nicht „irgendein Blödsinn“ rauskommt.
Sonst würden genau die, die Asyl am notwendigsten brauchen, keines bekommen: die, denen es nicht gutgeht, die sich nicht gut ausdrücken können. NGOs fordern deshalb eine lückenlose, verpflichtende Rechtsbegleitung der Asylwerber von Anfang an. Viele kommen erst nach einem negativen Bescheid, sagt Hulla, da liege meist schon vieles im Argen. Und die Widersprüche bei der Einvernahme, aufgrund derer man so einen Bescheid bekomme, seien oft keine wirklichen, sondern kleine Unschärfen, wie sie in der Kommunikation vorkommen, vor allem wenn Übersetzer zwischengeschaltet sind.
„Zurück“ in eine fremde Heimat
Ali ist 2011 nach Österreich gekommen, da war er 16. Zunächst erhielt er subsidiären Schutz, also Unterstützung und eine Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr. Jetzt ist er 18, und der Status wurde nicht verlängert. Das Bundesasylamt hatte ihn erneut zu einer Einvernahme geladen. Plötzlich ging es überhaupt nicht mehr um die Ereignisse in Pakistan. Ali war in Afghanistan geboren worden, seine Familie floh nach Pakistan, als er noch ein Säugling war. Dort lebte er bis zuletzt illegal.
Alis offizielle Heimat ist Afghanistan, auch wenn er noch nie bewusst dort gewesen ist. Dorthin soll er zurück abgeschoben werden. Eine Rechtsberaterin hatte Ali schon lange geraten, alles zu tun, um sich in Österreich zu integrieren, das helfe im Verfahren. In Windeseile holte er den Hauptschulabschluss nach, in der Mindestzeit erreichte er das hohe Deutschniveau C1, seit jüngstem besucht er eine HTL.
Die „Ausdehnung“ des Asylbegriffs
Im negativen Bescheid hieß es dann, Ali könne ruhig nach Afghanistan „zurückgehen“, er spreche ja jetzt neben Englisch auch sehr gut Deutsch und könne dort dolmetschen. Nun hat der Bursch mit Hilfe der Caritas Berufung eingelegt, sein Fall wird also vom Asylgerichtshof betreut, der nächsten Instanz nach dem Bundesasylamt. Ali sagt, er habe Hoffnung. Und sammelt weiter Beweise für seine Integration.
Das ist genau einer der Punkte, die Asylrichter Samsinger, der schnell einmal emotional wird, aufregen. Der Asylbegriff werde immer weiter ausgedehnt auf Bereiche, die eigentlich mit Asyl nichts zu tun hätten. Für Entscheidungen über Behandlungsmethoden von Krankheiten in einem der Heimatländer oder darüber, wie gut sich jemand in einer österreichischen Gemeinde integriert habe, sei er einfach überbezahlt.
Lockerheit als „Amtsmissbrauch“
Die Welt sei nicht gerecht. Aber da müsse man über andere Möglichkeiten diskutieren, wie man jemandem aus humanitären Gründen einen Aufenthalt in Österreich ermöglichen könne. Er sei dafür nicht zuständig. Eine legere Handhabung des Asylrechts wäre schlicht „Amtsmissbrauch“. Auch wenn es ihm persönlich oft leidtue: Asyl sei Asyl. „Und ist’s nichts, dann ist’s nichts.“
Dort, wo es tatsächlich um Asyl geht, hat sich die Qualität der Bescheide gebessert, da sind sich Hulla von der Caritas und Samsinger vom Asylgericht einig. Dem Bundesasylamt steht eine gut arbeitende Stelle für Staatendokumentation zur Seite. Dazu gibt es ACCORD, eine international hoch gelobte Abteilung des Roten Kreuzes in Wien, die Recherchen und Quellen für Asylverfahren zur Verfügung stellt.
ORF.at/Zita Köver
Ali spricht bereits hervorragend Deutsch. Das hat ihm nicht unbedingt geholfen.
Am Ende bleibt die „Glaubwürdigkeit“
Das heißt: Ordentliche Informationen, wie es grundsätzlich in einem Land zugeht, welche Parteien es gibt, welche Konflikte ausgetragen werden, liegen vor. Die Quellen sind Dokumente von staatlichen Stellen, von NGOs, UNO-Organisationen und Medienberichte.
Nur - und auch hier sind sich die beiden einig: Man gelangt schnell an einen toten Punkt. Samsinger formuliert es so: Ob jemand tatsächlich ein Verhältnis mit der Tochter des Ministers gehabt habe und deshalb flüchten musste, das decke die beste Länderdokumentation nicht ab. In den meisten Fällen müssten eben die Beamten des Bundesasylamts oder des Asylgerichts die Glaubwürdigkeit des Antragstellers überprüfen.
Copy and paste als Dekoration
Also das, was sie laut Hulla nicht ordentlich tun. Sie schätzt, dass 80 Prozent der Verfahren mangelhaft sind, weil die Einvernahmen nicht sensibel und sachlich genug geführt werden und weil man sich nicht genug Zeit nimmt. In den Bescheiden würden sich dann die gut recherchierten Fakten der Länderdokumentationsstellen finden. Aber die würden ja eben nicht wirklich zu den individuellen Fällen passen.
Das ist auch der am häufigsten genannte Grund, wenn der Asylgerichtshof Verfahren an das Bundesasylamt zurückverweist. Oder der Verfassungsgerichtshof, die nächsthöhere Instanz, an den Asylgerichtshof: Dass in die Bescheide bzw. Urteile Länderinformationen kopiert werden, die mit den einzelnen Vorbringungen nur ganz am Rande zu tun haben. Im Online-Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramts (RIS) sind entsprechende Urteile für jedermann nachzulesen.
Eine verfehlte Debatte beklagen alle
Schlussendlich gibt es sogar noch einen weiteren Punkt, in dem Hulla und Samsinger einer Meinung sind: dass die öffentliche Debatte viel zu polemisch geführt wird und dass sie nicht für politisches Kleingeld missbraucht werden sollte. Samsinger bedauert, dass dabei die Asylbehörden unter die Räder kämen, weil sie wegen der Amtsverschwiegenheit die einzelnen Fälle nicht kommentieren dürfen. Für Hulla wiederum ist es die aufgeheizte Negativstimmung, die dazu führt, dass ein Teil der Beamten des Bundesasylamts den Asylwerbern von vornherein ablehnend gegenübersteht - aber sie möchte keinesfalls alle Beamten über einen Kamm scheren. Diese brauchten kein abgeschlossenes Studium, und viele von ihnen seien ehemalige Fremdenpolizisten.
Der Umstand, dass die Asyl- und Fremdengesetze in den vergangenen Jahren mehrfach novelliert wurden, macht es Beamten, aber selbst Juristen zunehmend schwierig, den Durchblick zu bewahren, kritisiert die Caritas. Hier sei die Politik in der Pflicht - man dürfe es sich nicht so leicht machen, Fehlentwicklungen in diesem Bereich einzelnen Beamten anzulasten, die am Ende der Entscheidungskette stehen.
Nach bestem Wissen und Gewissen
Ali bekommt die öffentliche Grundstimmung zum Thema jedenfalls mit. Vieles, was da berichtet werde, sei einseitig. Es gebe die Drogendealer und Kriminellen, das weiß er selbst. Aber eben auch die vielen anderen. Und von wegen „Verwöhnung“: Das Fußballspielen in einem Verein musste er nach einem Monat aufgeben, weil er sich die vier Euro für das Hin- und Retourticket nicht leisten konnte.
Ob Ali bleiben darf oder nicht, wird der Asylgerichtshof entscheiden. Dass diese Entscheidung nicht in einem gesellschaftlichen Umfeld getroffen wird, das von einem sachlichen Umgang mit dem Thema Asyl geprägt ist, ganz zu schweigen von der vielzitierten „Nächstenliebe“, kann man bedauern - in absehbarer Zeit ändern dürfte sich das nicht.
Ali bleibt jedenfalls die Hoffnung, Katrin Hulla der Kampf für Asylwerber und Elmar Samsinger die Aufgabe, das Asylrecht zu judizieren, nach bestem Wissen und Gewissen und, nicht zuletzt, im Einzelfall nach eigenem Ermessen. Fälschlicherweise positive Entscheidungen würden ihm weit weniger wehttun als negative. Er sei froh, dass er meist nicht weiß, was aus jenen wird, die zurückgeschickt werden.
Simon Hadler, ORF.at
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