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Der Asylwerber mit dem Steirerhut

Ali liebt es, zu scherzen. Der 18-Jährige floh vor zwei Jahren aus Pakistan nach Österreich. Mittlerweile spricht er fließend Deutsch: „Sicher muss man Deutsch lernen. Sonst kann man doch den H.C. nicht beeindrucken!“

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Ali kennt nicht nur den freiheitlichen Spitzenkandidaten Heinz-Christian Strache, sondern auch alle anderen bundesweit antretenden Spitzenkandidaten bei der kommenden Nationalratswahl mit Vor- und Nachnamen. Im Gespräch mit ORF.at sind ihm Unterscheidungen wie jene zwischen einer Rede vor dem Parlament und einer Pressekonferenz geläufig. Ali hat in kürzester Zeit den Hauptschulabschluss nachgeholt, in Mindestzeit das Sprachniveau C1 mit „Sehr gut“ erreicht und besucht seit Anfang September eine HTL für Elektrotechnik. Alis Antrag auf Asyl wurde abgelehnt.

Das ganze Leben „illegal“

In seinem rund zehn Quadratmeter großen Zimmer in einer Caritas-WG mit Fenster zum vielbefahrenen Wiener Gürtel erzählt Ali, auf dem Spannteppich vor dem Bett sitzend, die Geschichte seiner Flucht. Als er noch ein Säugling war, floh seine Familie von Afghanistan nach Pakistan. Bis heute weigert sich sein Vater, über die Ereignisse von damals zu sprechen. Ali weiß nur, dass es schrecklich gewesen sein muss in Afghanistan und dass seine Mutter seither mit einer Kalaschnikow umgehen kann.

Mit seinen Eltern und fünf Geschwistern lebte der hagere, großgewachsene Bursch fortan in Quetta, einer pakistanischen Stadt nahe der Grenze zu Afghanistan. Eine Aufenthaltsgenehmigung hatte nur der Vater, der Rest der Familie war „illegal“. Das, sagt Ali, sei in Pakistan kein großes Problem. Die Schule könne man trotzdem besuchen, so genau nehme es die Bürokratie nicht. Nach acht Jahren Pflichtschule reichte es ihm trotzdem - in der Familie wurde auf Bildung kein Wert gelegt, und ihn selbst interessierte Fußballspielen viel mehr.

Asylwerber

ORF.at/Zita Köver

Ali in seinem Zimmer mit Ausblick - auf den Wiener Gürtel

Opfer von gezielter Gewalt

In Pakistan ist die Terrorgruppe Lashkar-e-Jhangvi aktiv. Im Internet lassen sich Presseberichte über regelmäßige Anschläge nachlesen, teilweise mit Dutzenden Toten. Die Terroristen haben es dabei auf Schiiten abgesehen. Eines ihrer Opfer war ein berühmter Boxer. Ali ist Schiit und wurde selbst ein Opfer der Gewalt – fast hätte er sein Leben verloren, wie er erzählt. Den Tätern sei es dabei gezielt um seine Person gegangen. Von einem Asylwerber, der den Wahrheitsgehalt seiner Geschichte beweisen will, erwartet man jetzt einen betroffenen Gesichtsausdruck.

Ali schluckt zwar kurz, dann aber ändert er seine Sitzhaltung ruckartig auf kerzengerade und lacht: „Das war gut! Das war einmal eine neue Erfahrung!“ Ali ist 18. In dem Alter will man kein Weichei sein. Nähere Details zu seinem Fluchtgrund dürfen jedoch nicht veröffentlicht werden, schließlich ist die Berufung des Asylverfahrens noch anhängig. Seine Familie hatte jedenfalls ohnehin schon die ganze Zeit in Angst gelebt, wegen der vielen Anschläge in der Nachbarschaft. Jetzt ergriff Ali die Flucht.

Asylgrund? „So kurz wie möglich“

Über seine Flucht möchte der Bursch nicht viel erzählen. Klug müsse man sein, Geld alleine reiche nicht. Schlepper hätten den 16-Jährigen und eine Gruppe anderer durch die Länder transportiert, über die Grenzen hätten sie alleine müssen. Lastwagen, Mopeds, Fußmärsche, Flussquerungen, alles sei dabei gewesen. Schließlich, in Österreich, trennte sich der Trupp, Ali wurde am 7. Oktober 2011 in der Nähe von Traiskirchen abgesetzt. Dort wiesen ihm Anrainer den Weg.

Die Beamtin bei der Ersteinvernahme war nett: „Sie hat sogar ein paarmal gelacht.“ Aber viel erzählen habe er dort nicht können. Zwei Monate später, beim ersten richtigen Interview über seine Fluchtgründe, sei etwas mehr Zeit gewesen. Ein Frage-Antwort-Spiel sei das über weite Strecken gewesen. Ob er das Gefühl hat, alles Relevante für sein Asylverfahren losgeworden zu sein? „Nein. Ich wollte einiges ausführlicher erklären, aber der Referent hat gesagt: ‚So kurz wie möglich.‘“

Vokabeltraining via Smartphone

Ali bekam zwar nach seiner Ankunft nicht Asyl, aber subsidiären Schutz - also Unterstützung und eine Aufenthaltsgenehmigung, die er nach einem Jahr neu beantragen musste. Eine reine Formalität, habe die Rechtsberaterin einer NGO zu ihm gesagt, solange er sich integriert und sich nichts zuschulden kommen lässt. Ali lernte Deutsch wie verrückt. Während andere in seinem Alter auf ihren Smartphones Fotos vom Samstagabend speichern, ist seines voll mit Vokabeln.

Zu gute Deutschkenntnisse für Asyl

Der Beamte beim Bundesasylamt war ein Jahr später sichtlich beeindruckt - doch anders, als Ali das erwartet hatte. Im negativen Asylbescheid stand, dass er ja jetzt viele Sprachen beherrsche und deshalb keine Probleme haben sollte, in seiner „Heimat“ Afghanistan einen Job zu finden. Auch seine körperliche Fitness hatte Ali in der Befragung betont. Nun hieß es: So fit wie er sei, könne er ohnehin jederzeit arbeiten und Geld verdienen.

Über Pakistan und seine Geschichte habe in der zweiten BAA-Einvernahme niemand mehr etwas wissen wollen. Auch wenn er Afghanistan bereits als Säugling verlassen hat und das Land überhaupt nicht kennt - es gilt jetzt als seine Heimat, in die man ihn „zurückschicken“ kann. Was hätte er groß zu Afghanistan sagen sollen, was nicht genau wie er auch jeder andere aus den Medien weiß, fragt sich Ali. Er hofft auf die zweite Instanz, den Asylgerichtshof - und sammelt weiter Zeugnisse, die zeigen, wie gut er sich integriert.

Asylwerber

ORF.at/Zita Köver

Steirerhut und Glaubensbekenntnis

Unwillig, aber nicht böse

In seinem Zimmer liegt sogar ein Steirerhut herum, samt Wanderabzeichen. Den hat er von der Asylpatin eines Kollegen. Ali erzählt, wie er einmal in den Supermarkt gegangen sei und ihn alle Leute so lieb angelächelt hätten. Im Spiegel habe er dann gesehen, dass er den Steirerhut, den er zu Hause aufhatte, noch immer auf dem Kopf trug. Und sonst? Erlebt er so etwas wie Alltagsrassismus?

Ali überlegt lange, sehr lange, und sagt schließlich: „Eigentlich nicht.“ Außer vielleicht, wenn er sich in einer langen Schlange anstellen muss und beobachtet, wie ein Beamter mit Österreichern spricht, mit welcher Mimik und Stimme - und wie sich das ändert, wenn er an die Reihe kommt. Das kommt mitunter vor, aber beschimpft wurde er noch nie. Auch die Asylbeamten und Polizisten würden nicht böse agieren, nur sehr ernst und manchmal etwas unwillig, so, als ob sie ihren Job nicht gerne machen würden.

Der „wunderschönste“ Urlaub in Kremsmünster

Ali mag Österreich, soweit er es eben kennt. Zweimal war er schon auf Urlaub. Einmal in Kremsmünster - „das Wunderschönste, was ich je gesehen habe, ich wollte nicht wieder weg“ - und einmal in einer Waldviertler Gemeinde, bei besagter Patin eines Freundes. Dort sei er von der Dorfgemeinschaft und im Freibad gut aufgenommen worden. Besonders fasziniert hat ihn, den Haushalt einer Einheimischen zu erleben. Darüber, dass Österreicher Eierbecher verwenden, kann er sich heute noch totlachen: „So etwas Unnötiges!“

Und was hat es jetzt mit Strache auf sich? „Der hat mir ein paarmal richtig Angst gemacht. Er sagt, wenn er die Wahl gewinnt, soll es weniger Asylwerber geben. Ich habe einmal eine Rede von ihm im Parlament gehört, das war richtig bedrohlich. Und bei einer Pressekonferenz hat er dann gesagt, dass er kein Problem mit Ausländern hat, die sich hervorragend integrieren. Das glaube ich ihm nicht.“ Er wisse ja selbst, dass es auch kriminelle Asylwerber gibt, sagt Ali, er ärgere sich maßlos darüber. Aber Strache erwähne die anderen nie.

Die „Millionen“ des Asylwerbers

Ali kennt die Zahl, sie ist auf dem Gang in der Caritas-WG plakatiert: Nur 0,25 Prozent der Menschen, die sich in Österreich dauerhaft aufhalten, sind Asylwerber. Die vielen Millionen Euro, mit denen es sich Asylwerber angeblich in der sozialen Hängematte Österreichs bequem machen - Ali sieht nicht viel davon. Sicher, da sind die Deutschkurse und sein Zimmerchen am Gürtel.

Das Paradebeispiel des integrierten Asylwerbers ist jedenfalls einer, der Fußball spielt, am besten in der Mannschaft eines Dorfes. Und Fußball, das war ja schon in Pakistan Alis Leben. Ein Fußballclub in Klosterneuburg hat ihn gleich genommen, aber nach einem Monat war Schluss. Weil er so schlecht spielte? Nein. Ali hat nur eine Netzkarte für Wien. Dreimal die Woche vier Euro für hin und retour Klosterneuburg, das konnte er sich nicht leisten. So viel gibt das „Freizeitgeld“ nicht her.

Simon Hadler, ORF.at

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