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Eine Caritas-Anwältin berichtet

Die Juristin Katrin Hulla ist Grundsatzreferentin und Rechtsberaterin im Asylzentrum der Caritas. Sie hat zahllose Asylwerber durch ihre Verfahren begleitet. Im Gespräch mit ORF.at erklärt sie, wo es ihrer Meinung nach am meisten hapert: an besseren Einvernahmen der Asylwerber durch die Behörden.

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Hulla vermittelt den Eindruck, ein Haudegen zu sein. Keiner scheint ihr so schnell ein X für ein U vormachen zu können - und sie nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Den Vorwurf, ein naiver „Gutmensch“ zu sein, kann ihr niemand machen. Mitunter spricht sie Sätze aus, die man von einer Caritas-Vertreterin nicht erwarten würde:

„Der Leidensdruck, den mein Klient ausstrahlt, ist meine erste Informationsquelle, die mir ein Gefühl dafür vermittelt, ob eine Geschichte stimmen könnte. Wenn der vollkommen gut gelaunt da sitzt, denke ich mir: Der war nicht in Tschetschenien im Gefängnis. Das ist eine sehr informelle Quelle, aber irgendwie muss man ja zu einem Anfangspunkt kommen. Wenn der sagt, er wurde in Tschetschenien verschleppt, dann weiß ich aus Erfahrung, wie sein Zustand sein müsste.“

Kinderzeichnung in der Erstaufnahmestelle in Traiskirchen

ORF.at/Roland Winkler

Kinderzeichnung in einem Sozialraum in Traiskirchen

Kaum neutrale Informationen

Aber wie macht man nach diesem Anfangspunkt weiter? Im Prinzip gehen die Rechtsvertreter ähnlich vor wie Asylbeamte. Zunächst werden Länderinformationen eingeholt, über Datenbanken wie Ecoi.net, das von ACCORD - einer Rechercheeinheit des Roten Kreuzes - betrieben wird, oder refworld vom UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR). Dort finden sich Zeitungsartikel, Länderberichte von Staatsbehörden, Aussendungen von NGOs und vieles mehr.

Bei den auf solchen Websites wiedergegebenen Dokumenten, so Hulla, müsse man immer die Quelle mitbedenken: Jedes Außenministerium, das Berichte zu Herkunftsländern von Asylwerbern zur Verfügung stellt, verfolgt Interessen - genauso wie jede NGO. Am meisten vertraut sie Informationen von UNO-Organisationen.

Der tote Punkt bei der Recherche

Doch dabei erreicht man rasch einen toten Punkt: Will man über das konkrete Vorbringen des Asylwerbers etwas wissen, kann man schon froh sein, wenn es überhaupt einen Zeitungsartikel zu dem Thema gibt. Oft gibt es nichts. Also muss man sich auf das Gespräch mit dem Asylwerber selbst konzentrieren. Das kann mühsam sein - aber es zahlt sich aus.

Hulla sagt, dass die meisten Asylwerber nicht mehr traumatisiert wären, wenn sie in Österreich ankämen, sondern bereits an den Folgeerkrankungen leiden würden, also schweren Depressionen mit psychotischen Zügen sowie Angst- und Zwangsstörungen. Mitunter hätten diese Menschen ein verschobenes Zeitgitter - also Mühe damit, Sachverhalte chronologisch wiederzugeben.

Schlechte Erzähler der eigenen Geschichte

Sie berichtet von einem Iraner, mit dem sie 15 Stunden zusammensaß, bevor in etwa klar war, was wirklich passiert war. Er hatte zunächst angegeben, zweimal festgenommen worden zu sein. Hulla zweifelte das aus ihrer Erfahrung an: Beim zweiten Mal kommt man nicht mehr heraus. Schließlich war klar, dass es einmal religiöse Uni-Sittenwächter waren und nicht die Polizei, dann klärte sich nach und nach auch die zeitliche Abfolge.

Bei anderen ist das Problem, dass sie sich selbst seltsame Erklärungen ausdenken, warum ihnen etwas widerfahren ist. Menschen mit geringer Bildung und ohne politisches Wissen, die auch noch unter psychischen Störungen litten, hätten dann plötzlich Verschwörungstheorien parat, mit denen sie sich tatsächlich geschehenes Unrecht erklären. Denen könne man helfen, indem man ihnen zusätzliche Informationen über die Lage in ihrem Land gebe.

„Aus dem Lkw raus zum Interview“

All das vermisst Hulla schmerzlich in den Einvernahmen der Asylbehörden. Schon die allererste Befragung, noch durch Polizeibeamte direkt nach dem Eintreffen in Österreich, werde in den Asylbescheiden berücksichtigt - was eigentlich nicht rechtens sei. Dabei wird man nur ganz kurz nach dem Fluchtgrund gefragt - die Beamten dürfen nicht einmal nachfragen. Vieles komme so nicht zutage - und später heiße es: „Warum haben Sie das nicht schon bei der Erstbefragung gesagt?“

Dann geht es weiter mit der ersten Einvernahme vor dem Bundesasylamt. Hier ist Rechtsbegleitung keine Pflicht - ein Fehler, wie Hulla findet: „Es gibt den Generalverdacht, dass Asylwerber, wenn sie in der ersten Instanz vertreten werden, eine Geschichte erzählen, die der Rechtsberater für sie ausgedacht hat. Dass die ihre Geschichte aufbauschen, auswendig lernen oder was auch immer. Die Vorstellung ist, am besten wäre es: Aus dem Lkw raus zum Interview.“

Einvernahmen - vollkommen am Thema vorbei

Dabei würde Rechtsberatung nur dazu führen, dass die Beamte konzisere Vorbringen bearbeiten könnten. Hulla sagt, ihr stünden die Haare zu Berge, wenn sie manche Protokolle von Einvernahmen lese. In knapp zwei Stunden würden die Beamten mit den Asylwerbern mitunter nicht einmal in die Nähe davon kommen, den wesentlichen Sachverhalt zu besprechen.

Beim leisesten Widerspruch beginne ein kreuzverhörartiges Frage-Antwort-Spiel. Die solcherart Verhörten würden brav antworten - die eigentliche Geschichte trete in den Hintergrund. Und wenn sie über angebliche „Widersprüche“ spricht, muss Hulla lachen. Der Mann erwähne „drei bis vier Personen“, die Frau „drei“, der Sohn „mehrere“. Das sei vielleicht ein Widerspruch, sagt sie - aber ein vollkommen irrelevanter. Doch sie könnten zu negativen Bescheiden führen.

Demonstranten mit Bannern

ORF.at/Roland Winkler

Demo für pakistanische Flüchtlinge in Wien

Verhängnisvolle Übersetzungen

Solche kleinen Ungenauigkeiten seien zudem oft der Übersetzung geschuldet - die vor allem bei der Erstbefragung durch die Polizei immer noch sehr fehlerhaft sei. Im Bundesasylamt und im Asylgerichtshof würden gute Dolmetscher arbeiten. Aber es gebe viele Feinheiten, die trotz gewissenhafter Arbeit zu Problemen führen können. Im Türkischen gebe es etwa eine Unschärfe zwischen dem Wort „erschießen“ und dem Wort „erschlagen“. Zwischen Farsi im Iran und derselben - oder eben nur ähnlichen - Sprache in Afghanistan gebe es so eine Unschärfe zwischen „erster Stock“ und „Erdgeschoß“.

Zeitdruck und Geldmangel seien ein Teil des Problems, so Hulla. Und die oft unsachlich geführte Debatte über Asyl dürfte sich in den Stuben der Asylbehörden ebenfalls widerspiegeln. Dass bei der Gründung des Bundesasylamts viele ehemalige Fremdenpolizisten übernommen wurden, sei nicht unbedingt hilfreich. Die vielen Weiterbildungsmaßnahmen und Coachings durch das UNHCR hätten sich zwar positiv auf die schriftliche Qualität der Bescheide ausgewirkt - aber nicht auf den Inhalt.

Längere, sachlichere Interviews

Denn der Inhalt der qualitätsvollen Informationen der Länderdokumentationsstellen des BAA und des Asylgerichtshofs sowie aus erwähnten Datenbanken mit asylrelevanten Informationen sei zwar interessant und differenziert. Er werde per copy and paste auch gewissenhaft in die Bescheide kopiert. Aber er habe schlicht nichts mit dem eigentlichen Vorbringen der Asylwerber zu tun.

Der ganz große Wunsch Hullas für die Verbesserung von Asylverfahren: längere, sachlichere Interviews, bei denen sich die Beamten selbst mehr zurücknehmen. In Deutschland gebe es ein standardisiertes Verfahren mit einem Set an Fragen - die Ergebnisse dort seien deutlich professioneller. Heute sei es in Österreich so, dass die, die es am nötigsten brauchen, oft nicht Asyl bekommen: nämlich jene, die sich am schwersten damit tun, das Erlebte in Worte zu fassen.

Simon Hadler, ORF.at

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