Das Leben der Nuller- und Zehnerjahre
Viel junge Literatur aus Österreich, Klassiker in neuem Gewand und tiefgründige, packende Romane aus Deutschland und den USA bieten sich heuer als Weihnachtsgeschenke an.
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Dem Leben den Puls fühlen
Jedes Zeitalter hat seine literarischen Flaneure. Am Puls - und am geografischen Brennpunkt - der Kultur der 10er Jahre befindet sich der 1975 in Nigeria geborene US-Autor Teju Cole. Er lässt einen jungen Psychiater durch die Straßen New Yorks laufen. Der trifft dabei auf Bekannte und Zufallsbekanntschaften, räsoniert über seine Verflossene und vor allem über das Leben. Das Leben bedeutet hier: die kaputten Seelen des Postkapitalismus und Postkolonialismus; Literatur, Film, Politik. So eindringlich, voll Wucht und gleichzeitig elegant hat noch kaum jemand über die Befindlichkeit unserer heutigen Gesellschaft geschrieben.
Teju Cole: Open City. Suhrkamp, 335 Seiten, 23,60 Euro.

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Pollanz’ poetische Musikliteratur
„Kann dieser Roman mehr Leser haben als Felden Einwohner?“ Er kann. Die rhetorische Frage ist eine der fiktiven Facebook-Gruppen in Wolfgang Pollanz’ neuem Roman „Felden“. Von Pollanz’ poetischer Sprache geht eine Magie aus, die durch die Verknüpfung des Buches mit einer beigelegten Audio-CD noch verstärkt wird. Die eindringlichen Songs stammen von Pollanz selbst, gemeinsam mit heimischen Szenegrößen. Buch und CD sind eng miteinander verwoben und ein Abenteuer, das man sich nicht entgehen lassen sollte.
Wolfgang Pollanz: Felden. Ein Roman - oder Keiner weiß, was wirklich los ist. Edition Keiper, 208 Seiten und eine Audio-CD, 23,90 Euro.
Deutsche Balladen - von Schiller bis Tocotronic
„Deutsche Balladen“ benamst Wulf Segebrecht die von ihm herausgegebene Textsammlung. Was nach Pflichtlektüre für Gymnasiasten klingt, ist ein ungemein spannendes Projekt, wie schon der Untertitel andeutet: „Gedichte, die dramatische Geschichten erzählen“. Von Schiller bis Tocotronic, von Achim von Arnim bis Thomas Meinecke hat Segebrecht packende Storys in Versform gesammelt. In dieser Zusammenschau wirken die alten Texte wie neu - und die neuen wie Klassiker.
Wulf Segebrecht: Deutsche Balladen. Gedichte, die dramatische Geschichten erzählen. Hanser, 887 Seiten, 35,90 Euro.
Höchst umstritten: Fiktive Fritzl-Saga
Höchst zwiespältig reagierte die Kritik auf Regis Jauffrets halbfiktiven Roman rund um Josef Fritzl und seine Familie. In Frankreich wurde „Claustria“ überwiegend hoch gelobt, in Österreich überwiegend verrissen - der „Falter“ schrieb von „Dreck“. Von einer feinen Klinge zeugt sein Umgang mit den dramatischen Vorgängen im Amstettner Keller nicht. Das Buch ist gleichzeitig literarisch spannend - und eine Zumutung, die man sich antun wollen muss.
Regis Jauffret: Claustria. Lessingstraße 6 (Ecowin), 528 Seiten, 24,90 Euro.

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Der Höhepunkt einer Ehe
„Die Liebe in groben Zügen“ heißt der an so vielen Orten aufliegende Roman von Bodo Kirchhoff – und blickt man auf den Umfang des Buches, dann kann wohl nicht von „groben Zügen“ die Rede sein. Eher zeigt Kirchhoff eine mitunter sehr ins beobachtende Detail verliebte, exemplarische Geschichte von einem Ehepaar, Vila und Renz, das saturiert lebt, zwischen Deutschland und einem Wohnsitz in Italien pendelt und das, wie es heißt, „viel voneinander weiß, aber nicht zu viel“. Gegen die Dauer des Glücks einer Ehe bzw. einer langen Beziehung spielt Kirchhoff die Sehnsucht nach dem Moment und dem unbedingten Verlangen aus.
Der Höhepunkt einer Ehe bestehe aus seiner Dauer, das ist eine Erkenntnis, der man sich mit diesem Buch stellen kann. Kirchhoff führt in seiner Geschichte der Liebe bis zurück zu Franz von Assisi und zur heiligen Klara. Stets nimmt er seine Leserinnen und Leser fest an die Hand. Mitunter hätte sein Stil auf ein paar blumige Attribute verzichten können – für die Weihnachtsfeiertage ein ideales Werk, in dem man sich verlieren und auch trösten kann.
Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen. Frankfurter Verlagsanstalt, 670 Seiten, 29,80 Euro.
Stürmische See und große Gefühle
Beth ist mit gemischten Gefühlen zu einer Kreuzfahrt mit ihrem Freund Derek aufgebrochen – es ist nicht unwahrscheinlich, dass er ihr bei dieser Reise einen Antrag machen wird. Aber dann taucht Arthur auf dem Schiff auf, ein Mann mit dem Beth in mehr als einer Hinsicht noch immer stark verbunden ist. Arthur, der seinen Lebensunterhalt mit Seancen bestreitet, aber dennoch kein Betrüger ist, versucht sich seiner früheren Assistentin und Geliebten Beth wieder zu nähern. Kennedys Themen, die ganz großen Gefühle, der damit verbundene Schmerz und die Angst vor dem Tod, werden in „Das Blaue Buch“ grandios verhandelt.
A. L. Kennedy: Das Blaue Buch. Hanser, 368 Seiten, 16,99 Euro.
Sich selbst beim Leben zuschauen
„Sicher ist, dass ich im Leben ein paar grundlegende Dinge nie begriffen habe, und ich weiß nicht einmal, welche.“ Diesen Satz notiert sich Richter a. D. Wilhelm Weitling, kurz bevor er durch einen Segelunfall rätselhafterweise fünfzig Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt wird. Staunend verfolgt er aufs Neue seine Kindheit und Jugend, und allmählich wird ihm klar, dass diese Erfahrung seinen Lebenslauf völlig umkrempeln könnte. Humorvolles und kluges „Was-wäre-gewesen-wenn“-Spiel, meisterhaft erzählt.
Sten Nadolny: Weitlings Sommerfrische. Piper, 224 Seiten, 17,50 Euro.
Opa in Frauenkleidern
John-Irving-Fans dürfen sein jüngstes Buch „In einer Person“ nicht verpassen. Wer nur ein einziges Irving-Buch lesen sollte, ist vielleicht mit einem anderen Werk besser beraten - Irving hat schon packender erzählt. Diesmal geht es um einen jungen Mann, der in Vermont lebt und nach und nach seine Sexualität für sich entdeckt, beeinflusst nicht zuletzt von seinem Großvater, der im Laientheater immer die Frauenrollen spielte.
John Irving: In einer Person. Diogenes, 722 Seiten, 25,60 Euro.
Peter Handke und der „Stille Ort“
Ein Propagandist der eigenen Bücher zu sein, das hat er längst nicht mehr nötig: Peter Handke zählt zweifellos zu den wichtigsten europäischen Autoren der Gegenwart. „Versuch über den Stillen Ort“ heißt sein jüngstes Buch - und wie alle seine „Versuche“ ist auch dieser autobiografisch gefärbt. Auch darin streift er wieder seine kärntnerisch-slowenischen Wurzeln und macht deutlich: Der, der hier erzählt, ist auch mit fast 70 Jahren ein überzeugter Suchender und entschiedener Zweifler geblieben. Der, der hier erzählt, schreibt über sich und die Welt aus dem Spannungsverhältnis von Aufbruch und Rückzug (Text: ORF-Bestenliste).
Peter Handke: Versuch über den Stillen Ort. Suhrkamp, 109 Seiten, 18,50 Euro.

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Schule des Außenseitertums
Die US-amerikanische Variante von „Der Schüler Gerber“: Richard Yates bewies seine Erzählkunst einmal mehr mit dem nunmehr auf Deutsch vorliegenden Roman „Eine gute Schule“. Die autobiografisch inspirierte Geschichte über einen Buben aus proletarischen Verhältnissen, der als Stipendiat auf ein Elitecollege kommt, ist beklemmend und dennoch von wütender Energie getragen. Der ewige Außenseiter Yates feiert - düster, aber dennoch - das Außenseitertum.
Richard Yates: Eine gute Schule. DVA, 232 Seiten, 20,60 Euro.
Nullerjahre, Gier und Tomatensuppe
„Haben Sie wegen der Tomatensuppe mit Dirlmeier gesprochen?“ Seit Loriot gibt es in der deutschsprachigen Gegenwartskunst Sätze, die sind so lapidar, dass sie eine halbe Welt zum Einsturz bringen. Nun tritt just Rainald Goetz, der rastlose Chronist, Lesereporter und Arzt am Gesellschaftskörper, in dieses Feld und legt mit „Johann Holtrop“ nicht nur einen nach Ibsen klingenden Roman vor: Goetz rechnet (auch für Nicht-„Goetzianer“ höchst lesbar) ab mit der Gier der Nullerjahre und führt einen Medienmagnaten vor, der „zu seinem eigenen Staunen“ Erfolg hat.
Rainald Goetz: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. 343 Seiten, Suhrkamp Verlag 20,50 Euro.
Der Krieg in unserer Mitte
Kriege finden nicht nur und nicht mehr nur auf dem Schlachtfeld statt, sondern mitten unter uns. Resistance, Zweiter Weltkrieg, Algerien, aber auch das Töten von Tieren und zwischenmenschliche Kämpfe macht der Franzose Alexis Jenni in seinem weit über die Grenzen Frankreichs hinaus viel beachteten Buch „Die Französische Kunst des Krieges“ zum Thema - und zu einem dichten Roman. Was der alte ehemalige Soldat dem jungen Mann erzählt, ist auf den zweiten Blick aktuell - im Hier und Jetzt.
Alexis Jenni: Die Französische Kunst des Krieges. Luchterhand, 766 Seiten, 25,70 Euro.
Das Leben, das vor dem Sterben kommt
Innerhalb einer Nacht bringen sich in Grönland elf Menschen um. Anna Kim rekonstruiert die Leben und das Sterben dieser elf Menschen in ihrem Roman „Anatomie einer Nacht“. Etwa einen Monat, nachdem die Nachricht über elf Suizide, die im Jahr 2008 in ein und derselben Nacht in ein und derselben ostgrönländischen Stadt geschehen sind, durch die internationale Presse gegangen ist, ist Anna Kim an ebendiesen Ort gereist, um darüber zu recherchieren.
Anna Kim: Anatomie einer Nacht. Suhrkamp, 299 Seiten, 20,60 Euro.

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Bedrohliche Nähe
Clemens Setz’ Buch „Indigo“, das es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, ist ein verstörender Roman über eine seltsame Krankheit, die Kinder befällt: das Indigo-Syndrom. Jeder, der sich diesen „Indigo-Kindern“ nähert, wird von Kopfschmerzen und Übelkeit geplagt, weshalb die Kinder an abgesonderte Plätze gebracht werden. An einem dieser Orte, der Internatsschule Helianau, geschehen allerdings seltsame Dinge: Kinder verschwinden mit unbekanntem Ziel, Nachforschungen haben Konsequenzen. „Indigo“ ist ein fordernder Roman, nicht nur auf textlicher Ebene.
Clemens Setz: Indigo. Suhrkamp, 477 Seiten, 23,60 Euro.
Herodot im Herrgottswinkel
Eigentlich sind sie alle Bergbarbaren, die Bewohner und Bewohnerinnen eines kleinen österreichischen Bergdorfes. Aber in einem Herrgottswinkel hängt Herodot - zumindest wird er geradezu angebetet. Und weil es plötzlich einen „hochgschissenen“ Studierten im Dorf gibt, ist nichts mehr wie in der guten alten Zeit. Die 23-jährige Vea Kaiser hat mit „Blasmusikpop“ ein fantastisches Debüt hingelegt, ein Anti-Heimat-Roman, der mit seinem Witz ebenso überzeugt wie durch seine Sprache.
Vea Kaiser: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam. Kiepenheuer & Witsch, 491 Seiten, 20,60 Euro.
Macht, Sex & Intrigen
Lilly, eine junge Europäerin, heiratet den alternden Medientycoon Duncan und schafft damit den sozialen Aufstieg in ein Luxusapartment im 68. Stock eines spiegelverglasten Hochhauses in Chicago. Sie bekommt zwei Kinder, führt einen aufwendigen Lebensstil, ist jedoch mit der zwar selbstgewählten, aber passiven Funktion als „Trophy-Wife“ zunehmend unzufrieden. Olga Flor zwängt ihre Protagonistin damit in eine sehr ambivalente Geschlechterrolle. In konsequent durchgezogener Kriegsrhetorik thematisiert sie aktuelle Machtkämpfe auf verschiedenen Ebenen: Mann gegen Frau, Reich gegen Arm und Medien gegen Realität.
Olga Flor: Die Königin ist tot. Zsolnay, 221 Seiten, 19,50 Euro.
Die beredte Sprachlosigkeit im Dorf
Der 1982 geborene Reinhard Kaiser-Mühlecker, dessen Romandebüt „Der lange Gang über die Stationen“ bereits als Klassiker gelten darf, hat nun mit „Roter Flieder“ seinen ersten Wälzer vorgelegt. Wieder begibt sich der in Oberösterreich aufgewachsene Autor aufs Land und wieder findet er dort Gefühlswallungen unter einer dicken Schale der Sprachlosigkeit. Erzählt wird die Geschichte der Familie Goldberger bis ins 21. Jahrhundert hinein. Kaiser-Mühleckers Kunst ist es, so leise zu erzählen, dass man ganz genau hinhören muss und das Lesen so zu einem besonders intensiven Erlebnis wird.
Reinhard Kaiser-Mühlecker: Roter Flieder. Hoffmann und Campe, 623 Seiten, 25,70 Euro.
Die Abgründe des Salzkammerguts
In die ungeahnten Abgründe ihrer Familiengeschichte wagt sich die junge Hannah vor: Eine längst totgeglaubte Tante soll noch leben, doch niemand im malerischen Heimatort an einem Salzkammergutsee will etwas davon wissen. Hinter der Heimlichtuerei scheint ein Staudamm zu stehen, in dessen Mauern es knackt und reißt … Mit sehr österreichischer Sprache und präziser Beobachtungsgabe macht sich Ulrike Kotzina in ihrem Romandebüt daran, das Bild eines Ortes zu zeichnen, dem nichts unheimlicher ist als die eigene Geschichte.
Ulrike Kotzina: Staudamm. Picus, 219 Seiten, 19,90 Euro.
Außen an Innen - die Welt einer „Illegalen“
Julya Rabinowich, die auch als Simultandolmetscherin bei Psychotherapien für Flüchtlinge gearbeitet hat, erzählt die Geschichte von Diana, einer von vielen, die ihr Zuhause in der ehemaligen Sowjetunion verlassen hat, um für ihre Familie zu sorgen. Theaterregisseurin wollte Diana werden, sie landet aber im Rotlichtmilieu - Gewalt, Ausbeutung, Abhängigkeiten inklusive. Rabinowich arbeitet mit Auslassung und Andeutung, um ihre Bilder zu verstärken, mischt problemlos Textsorten, lässt dem Unbewussten mit zerrissenen inneren Monologen letztlich den Vortritt und verneigt sich damit vor der Psychoanalyse. Rabinowich zeigt erneut, wie spielerisch der bittere Ernst des Lebens beschrieben werden kann.
Julya Rabinowich: Die Erdfresserin. Deuticke, 235 Seiten, 18,40 Euro.
Der Mikrokosmos des Glücks
Suchen wir nicht alle nach dem Glück - oder sonst einer Art der Erfüllung? Sebastian Dimsch, ein kleiner Angestellter einer großen Versicherungsgesellschaft, hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu suchen. Er liest sich durch Selbsthilfebücher und esoterischen Kitsch, um schließlich bei den alten, großen Philosophen zu landen. Wie es der Zufall will, soll er für seine Chefs, die ihn wegmobben wollen, eine „Glücksversicherung“ entwerfen. Was als Rausschmeißprojekt beginnt, stellt bald das Leben aller Protagonisten auf den Kopf. Thomas Sautners Roman „Der Glücksmacher“ ist eine großartige Satire, die ganz nebenbei auch noch glücklich macht.
Thomas Sautner: Der Glücksmacher. Aufbau, 256 Seiten, 20,50 Euro.
Ein schicksalhafter Fehlwurf
Chad Harbach ist der neue Shootingstar der US-amerikanischen Literaturszene. Mit seinem Debüt, „Die Kunst des Feldspiels“, an dem er über zehn Jahre gearbeitet hat, konnte er sowohl Publikum als auch die Literaturkritik für sich gewinnen. Eine mitreißende Geschichte und herrlich gezeichnete Personen: ein Baseball-Jahrhunderttalent, das an einem Fehlwurf zerbricht, ein Rektor, der sich nach über fünfzig Jahren als Frauenschwarm in einen seiner Studenten verliebt und seine Tochter, die Ausreißerin, die einen Neuanfang versuchen will. Vom Baseball-Umfeld sollte man sich nicht abschrecken lassen.
Chad Harbach: Die Kunst des Feldspiels. Dumont, 607 Seiten, 23,70 Euro.

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Reisen als Erschließung von Welten
Dass es beim Reisen um etwas anderes geht, als per Billigjet Destinationen auf der Ich-gehöre-dazu-Checklist unter Arbeitskollegen abzuhaken, zeigt einmal mehr auf einzigartige Weise Christoph Ransmayr. Ob im Himalaya, in der Arktis oder im Mekong-Delta: Der Autor erweist sich gleichermaßen als Poet und Journalist, wenn er sich und dem Leser mit der ihm eigenen Langsamkeit neue Welten erschließt. Gerne lässt man sich von der Begeisterung des Feuilletons für „Atlas eines ängstlichen Mannes“ anstecken.
Christoph Ransmayr: Atlas eines ängstlichen Mannes. S. Fischer, 456 Seiten, 25,70 Euro.
Literarischer Schalk
Wolf Haas festigt mit „Verteidigung der Missionarsstellung“ seinen Ruf, Sprachspielereien auf die Spitze treiben zu können. Im postmodernen Vexierspiegel findet sich der Sprachwissenschaftler „Wolf Haas“, der die Geschichte eines Freundes erzählt, der sich seinerseits verliebt und dabei Epidemien wie die Vogel- und Schweinegrippe anzuziehen scheint. Reichlich absurd verschlingen sich hier Story, Meta- und Metametaebene; ein großer Spaß für alle, die literarischen Schalk und Sprachwitz zu schätzen wissen.
Wolf Haas: Verteidigung der Missionarsstellung. Hoffmann und Campe, 239 Seiten, 20,50 Euro.
King Kong - die Schöne und das Biest
Edgar Wallace verstarb, als er am Drehbuch für „King Kong und die weiße Frau“ arbeitete. Sein erster Entwurf hatte den Produzenten des Films ohnehin nicht gefallen. Fertiggestellt wurde das Skript von Merian C. Cooper und von Delos W. Lovelace schließlich im Nachhinein zum Roman verdichtet. Dieser wurde nun anlässlich des 80-jährigen King-Kong-Jubiläums im kommenden Jahr vom Verlag Walde und Graf neu aufgelegt. Atemberaubender Thrill und ein großer Spaß zugleich: „Kong richtete sich zur größtmöglichen Größe auf und trommelte sich auf die Brust.“
Delos W. Lovelace, Edgar Wallace, Merian C. Cooper: King Kong. Walde und Graf, 207 Seiten, 20,60 Euro.
Hemingway und der große Fisch
Wer kennt sie nicht, die Verfilmungen von Ernest Hemingways Klassiker „Der alte Mann und das Meer“, mit Spencer Tracey und Anthony Quinn in der Hauptrolle des alten kubanischen Fischers Santiago. Die Originalübersetzung des Romans ins Deutsche wurde längst als zu geschwätzig kritisiert. Nun wurde das Buch sehr zum Gewinn aller Hemingway-Fans von Werner Schmitz neu aus dem Englischen übertragen. Zeit für eine Wiederentdeckung.
Ernest Hemingway: Der Alte Mann und das Meer. Rowohlt, 152 Seiten, 19,50 Euro.
Der Sog eines wirren Verhörs
Albert Ostermaier inszeniert in der Erzählung „Die Liebende“ ein Verhör. Eine Frau gibt an, sie verwandle, einer Gottesanbeterin gleich, Sexpartner nach dem Akt in seltsame Gestalten und bringe Liebhaber um. Immer wieder hört sich der einsame Pariser Kommissar die Bänder der Vernehmung an - er verfällt ihrem Sog. Ob auch er schließlich zum Opfer wird? Zuletzt hatte Ostermaier für „Schwarze Sonne scheine“ viel Kritikerlob erhalten.
Albert Ostermaier: Die Liebende. Suhrkamp, 82 Seiten, 15,40 Euro.

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Zwischenmenschliche Desaster und gestörte Tiere
Über zehn Jahre musste die kleine Fangemeinde von Ingomar von Kieseritzky warten, ehe nun ein neuer Roman des Deutschen erschienen ist. In „Traurige Therapeuten“ bleibt er seinen Themen treu: Ein mieselsüchtiger Anti-Held, gescheiterter Heilpraktiker von gestörten Haustieren, zieht sich in ein Sanatorium zurück und rekapituliert sein Leben als einzige Aneinanderreihung von zwischenmenschlichen Desastern. Kieseritzky verwebt Rückblenden, biografische Notizen der irrgeistigen Vorfahren seines Protagonisten und Abhandlungen über neurotische Kleintiere zu einem nicht immer ganz einfach lesbaren Stoff. Kieseritzkys Sprachgewalt und Humor suchen trotzdem ihresgleichen.
Ingomar von Kieseritzky: Traurige Therapeuten. C. H. Beck, 347 Seiten, 20,60 Euro.
Böses Spiel der Identitäten
Der Umgang einer PR-Managerin mit ihrer Putzfrau nimmt eine fatale Entwicklung. Um ihrer verklemmten, sauberen Welt zu entkommen, will sie sich mit dieser verschwistern und an deren vermeintlich authentischer Balkanwelt partizipieren. Auf der anderen Seite zieht es die Putzfrau in die bürgerliche Designerwelt ihrer Arbeitgeberin, und sie erobert sich davon Stück um Stück. Der Rollentausch schreitet unaufhaltsam voran und mündet in einen Alptraum - eine treffende wie bitterböse Parabel auf die sogenannten Ausländer- und Genderdiskurse.
Richard Schuberth: Wie Branka sich nach oben putzte. Drava, 88 Seiten, 16,80 Euro.
Zita Bereuter, Elisabeth Gollackner, Johanna Grillmayer, Andreas Gstettner, Simon Hadler, Gerald Heidegger, Barbara Köppel, Christian Körber, Anna Katharina Laggner, Armin Sattler, Simon Welebil, alle ORF.at
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