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Indizien mit fraglicher Aussagekraft

Selten ist ein Strafprozess in den vergangenen Jahren mit so viel Aufmerksamkeit verfolgt worden: Gut acht Monate verhandelte das Landgericht Mannheim gegen den Schweizer Wettermoderator Jörg Kachelmann wegen des Vorwurfs, seine frühere Freundin vergewaltigt zu haben.

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Am Dienstag, nach 43 Verhandlungstagen, verkündete der Vorsitzende Richter Michael Seidling das Urteil. Doch was in jener Nacht des 8. Februar 2010 wirklich geschah, dürfte auch nach dem Richterspruch Gegenstand von Spekulationen bleiben. Selbst die Staatsanwaltschaft und der Anwalt des mutmaßlichen Opfers räumten ein, dass alle Indizien jeweils einzeln betrachtet genauso für einen Schuldspruch wie für einen Freispruch gewertet werden könnten.

Küchenmesser als Beweisstück

Dass die Öffentlichkeit über weite Strecken von der Beweisaufnahme ausgeschlossen worden war, um die Intimsphäre des Angeklagten, seiner 38-jährigen Ex-Freundin und zahlreicher früherer Kachelmann-Geliebter zu schützen, macht es nicht einfacher, das Urteil des Gerichts nachvollziehen zu können. Wie sehr jedes einzelne Indiz gegen oder für den Wettermoderator interpretiert werden konnte, zeigte sich bei den Plädoyers etwa am Beispiel des kleinen Küchenmessers, das Kachelmann seiner Ex-Freundin in jener Nacht während der angeblichen Tat an den Hals gedrückt haben soll.

An dem Messer mit geriffelter Klinge fanden sich viel zu wenige Hautpartikel der Frau, um ihre Behauptung zu stützen. Weil sie lügt, sagte die Verteidigung und plädierte auf Freispruch. Für die Anklage war das kein Argument. Kachelmann könnte das Messer nach der Tat einfach abgewischt haben, mutmaßten die Staatsanwälte und forderten vier Jahre und drei Monate Haft für Kachelmann.

Verteidiger unterstellen Frau Rachemotive

Dass überdies die Aussagen der Frau zum angeblichen Tatablauf lückenhaft und blass sind, war für die Verteidigung ein weiteres Indiz für das angebliche Lügengebäude der Radiomoderatorin. Sie habe sich nach 13-jähriger Beziehung an Kachelmann für dessen Untreue rächen wollen, meinten Pflichtverteidigerin Andrea Combe und Kachelmanns Staranwalt Johann Schwenn.

Für die Aussagepsychologin Luise Greuel waren diese Aussagelücken aber auch ohne Lügen nachzuvollziehen. Extreme Belastungssituationen könnten zu Gedächtnisausfällen führen und beim mutmaßlichen Opfer damit erklärt werden, dass die Frau unter dem Schock ihres zerstörten Traums von einer Ehe mit Kachelmann stand. Deshalb habe sie andere Details als das Messer an ihrem Hals nicht wahrgenommen.

Schwaches Indiz für möglichen Freispruch

Hat ein Gericht in einer Gesamtschau aller Beweise und Indizien noch letzte Zweifel an der Schuld eines Angeklagten und steht weiterhin Aussage gegen Aussage, muss es ihn nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“, also „im Zweifel für den Angeklagten“, freisprechen. Ein solcher „Freispruch zweiter Klasse“ bedeutet aber auch, dass die Prozessbeteiligten weiterhin Mutmaßungen zu ihrer Schuld und Unschuld werden erdulden müssen.

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