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Streit über „Diciotti“

Italien reagiert verärgert auf das ergebnislose Treffen von zwölf EU-Staaten in Brüssel, darunter Österreich, zu einer möglichen Verteilung der Geflüchteten an Bord des Schiffes „Diciotti“, die seit vier Tagen in Catania auf die Landung warten. „Wenn sich Europa taub stellt, werden wir einfach weniger zahlen“, drohte Innenminister Matteo Salvini am Freitag neuerlich.

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„Wir können Italiens Beitrag proporzmäßig reduzieren und dabei das berücksichtigen, was die EU alles für uns nicht tut, nicht nur in Sachen Einwanderung“, sagte Salvini in einem Radiointerview. Italien werde nicht bereit sein, jedes Jahr 20 Milliarden Euro an die EU zu zahlen, wenn es zu keiner fairen Umverteilung der Geflüchteten komme, hatte Vizeregierungschef Luigi di Maio, Vorsitzender der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, die zusammen mit Salvinis Lega die Regierung in Rom bildet, bereits am Vortag gedroht.

Conte: „Italien Konsequenzen ziehen“

Europa habe eine gute Gelegenheit verloren, die „Prinzipien der Solidarität und der Verantwortung“ zur Geltung zu bringen, so Premier Giuseppe Conte. Er sprach von einer Kluft zwischen den Worten der EU-Mitglieder, die sich beim EU-Gipfel im Juni zur Solidarität mit Italien im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik bekannt hatten, und den Tatsachen. „Italien wird Konsequenzen ziehen“, sagte Conte.

Flüchtlinge auf der Diciotti

APA/AFP/Giovanni Isolino

Rund 150 Menschen sitzen auf der „Diciotti“ fest

EU-Treffen ergebnislos

Italien verlangt von anderen EU-Staaten, dass diese ebenfalls Flüchtlinge aufnehmen. Die EU-Partner lehnten die Forderung der italienischen Regierung mit der Begründung ab, dass die Zahl der in diesem Jahr in Italien eingetroffenen Geflüchteten stark gesunken sei. Es bestehe daher keinerlei Bedarf zur Umverteilung.

Diplomaten zufolge fanden sie keine Lösung, weil sie das anders als Italien nicht für das vordringliche Thema hielten. Sie hätten vielmehr strukturelle Lösungen für die Schiffe im Mittelmeer finden wollen. Dort werden immer wieder Menschen aufgegriffen, die mit kaum seetüchtigen Booten über das Mittelmeer in die EU gelangen wollen.

Schiff "Diciotti" im Hafen

AP/ANSA/Orietta Scardino

Die „Diciotti“ liegt im sizilianischen Hafen Catania vor Anker

Zuvor hatten Sprecher der EU-Kommission gesagt, dass es sich um ein informelles Treffen handle, bei dem man zwar nach Lösungen für die Geflüchteten suche, allerdings keine Entscheidungen treffen werde. Neben Österreich waren Deutschland, Italien, Griechenland, Malta, Spanien, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Irland und Portugal zu dem Treffen geladen.

Opposition setzt Regierung unter Druck

Das ergebnislose Treffen in Brüssel löste in Italien Diskussionen aus. „Salvini ist auch von seinen Freunden der Visegrad-Gruppe im Stich gelassen worden. 150 Personen werden an Bord eines Schiffes als Geiseln Salvinis gehalten. Das ist skandalös“, so der sozialdemokratische Senator Andrea Marcucci.

„Italiens Forderungen sind von den EU-Partnern nicht angenommen worden. Unser Land ist isolierter denn je. Innenminister Matteo Salvini hat nichts erreicht“, so die Forza-Italia-Fraktionschefin in der Abgeordnetenkammer, Maria Stella Gelmini.

Salvini wegen Aufhetzung verklagt

Inzwischen ist Salvini wegen seines Einwanderungskurses ins Visier einer Gruppe von Bürgern und Bürgerinnen aus Treviso geraten, die ihn wegen „Aufhetzung zu Rassismus“ angezeigt haben. Dabei bezogen sich diese auf ein Gesetz aus dem Jahr 1993, das jegliche Form von Rassismus und ethnischem Hass mit schweren Strafen ahndet.

Als erschwerender Umstand wurde hervorgehoben, dass Salvini in seiner Rolle als Innenminister und Vizepremier den in der Verfassung verankerten Werten die Treue geschworen habe. Unter anderem bezogen sich die Kläger auf die Aufforderung Salvinis nach einer Erhebung der Zahl der in Italien lebenden Sinti und Roma.

Hungerstreik auf der „Diciotti“

Auf der „Diciotti“, die vor vier Tagen im Hafen von Catania auf Sizilien festgemacht hatte, warten noch immer 150 erwachsene Geflüchtete. Einige von ihnen sind am Freitag in den Hungerstreik getreten. 27 Minderjährigen hatte Salvini erlaubt, das Schiff der italienischen Küstenwache zu verlassen.

Auf Anordnung der Gesundheitsbehörden gingen am Samstag zudem 16 Personen von Bord und wurden in ein Spital eingeliefert - es gäbe Fälle von Tuberkulose und Lungenentzündung, hieß es. Die anderen müssen auf Geheiß Salvinis so lange an Bord bleiben, bis andere EU-Länder sich zu ihrer Aufnahme bereiterklären. „Niemand wird in Italien ohne meine Erlaubnis an Land gehen“, sagte Salvini.

Seit Jahresbeginn seien 19.526 Geflüchtete in Italien eingetroffen, darunter 3.718 Tunesier, sagte Salvini. „Tunesien ist nicht im Krieg und erleidet keine Hungersnot. Ich bin mit Tunesien in Kontakt, einem Land, das ich so bald wie möglich besuchen werde, um zu begreifen, wie man dort helfen kann“, so Salvini.

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