„Massive Zwangsmaßnahmen“
Die Hausdurchsuchung im Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) wirft dieser Tage zahlreiche Fragen auf. Sie dürfte auch bald die Gerichte beschäftigen. Der Anwalt eines suspendierten Verfassungsschützers kündigte am Samstag gegenüber Ö1 die Einbringung einer Beschwerde dagegen an. Er hält sowohl die Hausdurchsuchung als auch den Einsatz von Polizisten in Kampfmontur für überzogen.
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Der Anwalt argumentierte, dass die Weitergabe von Reisepassmustern für Nordkorea an Südkorea vom Polizeikoordinationsgesetz gedeckt und damit legal sei. „Die Weitergabe erfolgte zum Zwecke der Verhinderung von Passfälschungen im Vorfeld der Olympiade.“ Ein zweiter Anwalt sagte, dass der Vorwurf der Nichtlöschung von personenbezogenen Daten „nicht schwerwiegend“ sei. Deshalb wären die „massiven Zwangsmaßnahmen“ nicht notwendig gewesen.
Referatsleiterin als Zeugin
Unklarheit herrscht unterdessen weiter, was den Umfang der beschlagnahmten Daten betrifft. Laut jüngsten Recherchen von ZIB2, „Standard“ und „profil“ wurden im Zuge der Hausdurchsuchung zahlreiche Datenträger sichergestellt. Laut einem Sicherstellungsprotokoll, das von einem Exekutivbeamten und der Leiterin des Extremismusreferats unterzeichnet wurde, seien zwei Mobiltelefone, ein Stand-PC, drei USB-Sticks, acht Floppy-Discs, 397 Seiten Schriftverkehr sowie insgesamt 315 CDs und DVDs sichergestellt worden, berichten „profil“ und „Standard“.
Christian Pilnacek und Ulla Kramar-Schmid im Gespräch
Christian Pilnacek, Generalsekretär im Justizministerium, und ORF-Redakteurin Ulla Kramar-Schmid im Gespräch in der ZIB2.
Die als Zeugin geführte Referatsleiterin habe Passwörter und Handycodes übergeben müssen. Ein Teil der CDs sei im Protokoll eigens gekennzeichnet worden. Bei der Position „1 Kuvert mit 19 CDs“ finde sich der Zusatz „aktuelle Fälle - Beweismittel“. Die Position „1 CD-Spindel mit 21 CDs“ trage den Zusatz „Fall K. - Beweismittel!!“. Bei dieser Person handle es sich um eine Frau, die der Wiener Neonazi-Szene zugerechnet wird.
„Weitere Sicherstellungen“ eingeräumt
Der Generalsekretär des Justizministeriums, Christian Pilnacek, hatte in der ZIB2 erklärt, man habe noch keine genaue Aufstellung, was sichergestellt wurde. Um welche Dateien es sich handle, werde „Gegenstand der Berichterstattung“ sein, die das Justizministerium in Auftrage gegeben habe. Dieser Bericht soll Anfang nächster Woche fertig sein.
Pilnacek bestätigte aber, dass es neben den privaten Dateien der Leiterin des Extremismusreferats „weitere Sicherstellungen“ gegeben habe, „die jeweils bezogen auf mögliche Verdachtsfälle notwendig waren“.
„In normaler Streifenadjustierung“
Mediale Darstellungen, dass die Beamten der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) die Hausdurchsuchung im Kampfmontur durchgeführt hätten, wies Pilnacek als „Mystifizierung“ zurück. Die Beamten seien „in normaler Streifenadjustierung“ aufgetreten, sie hätten standardmäßige Unterziehschutzwesten und Polizeierkennungswesten sowie die Dienstpistole verdeckt unter der Kleidung getragen.
Für die Hausdurchsuchungen bei Mitarbeitern und im BVT war laut dem Generalsekretär nicht eine anonyme Anzeige entscheidend, sondern die Aussagen von vier Zeugen. Diese wurden von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) selbst vernommen, woraus sich ein konkreter Tatverdacht ergeben habe. Das Bundesministerium für Inneres (BMI) sei verpflichtet, bei Verdacht diesen zur Anzeige zu bringen, so Pilnacek.
19 GB Daten kopiert
Freitagnachmittag hatte Pilnacek bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz dementiert, dass bei der Hausdurchsuchung im BVT Unterlagen über Extremismusermittlungen des Verfassungsschutzes beschlagnahmt wurden, was er in der ZIB2 wiederholte. Zwar seien die Daten der Leiterin der Extremismusstelle beschlagnahmt worden, das seien aber Ordner gewesen, die mit privat gekennzeichnet waren. Grund für die Beschlagnahmung sei ein Naheverhältnis der Referatsleiterin zu einem der Beschuldigten. Über 19 GB seien bei der Razzia auf USB-Sticks kopiert worden, so Pilnacek bei der Pressekonferenz.

APA/Helmut Fohringer
Pilnacek hat laut eigenen Angaben noch keine genaue Aufstellung, was sichergestellt wurde
Er könne angesichts der Medienberichte grundsätzlich nicht ausschließen, dass in den Daten auch Falldaten enthalten seien, so Pilnacek weiter. Zugriff auf die kopierten Daten hätten alleine die fallführende Staatsanwältin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und der zuständige IT-Experte, die die Daten auch gemeinsam gesichert hätten. Die gesicherten Daten würden in einem eigens abgesicherten Raum der Korruptionsstaatsanwaltschaft verwahrt. Dorthin gebracht wurde das Material aber von der Polizei.
Staatsanwaltschaft bei Razzien anwesend
Bei allen Hausdurchsuchungen in dieser Causa sei ein Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin anwesend gewesen, sagte Pilnacek weiter. Es gebe auch entsprechende Bewilligungen durch ein Gericht, das damit die Verdachtslage bestätigt habe. Den Betroffenen stehe es frei, Hausdurchsuchung und Sicherstellungen beim Oberlandesgericht anzufechten. Bei der WKStA liege auch die rechtliche Gesamtverantwortung für das Verfahren.
Verdacht des Amtsmissbrauchs
Pilnacek betätigte weiter, dass es bei den Ermittlungen um den Verdacht des Amtsmissbrauchs geht. Einer der Vorwürfe lautet, dass der Verfassungsschutz Ermittlungsdaten nicht gelöscht bzw. nachträglich aufbewahrt hat. Die Vorwürfe gehen sowohl auf das medial bekannte Konvolut von anonymen Anzeigen zurück als auch auf eine Anzeige des Innenministeriums.
Das Innenministerium habe bestimmte Verdachtsmomente an die WKStA herangetragen, sagte Pilnacek, nachdem diese dem Ministerium bekanntgeworden seien. Das Ministerium habe als Dienstbehörde eine gesetzliche Anzeigeverpflichtung und habe daher selbst Anzeige erstatten müssen. Das Justizministerium wurde über die Hausdurchsuchung beim BVT erst nachträglich informiert, wie Pilnacek sagte. Das sei rechtens und vom Gesetzgeber auch so gewünscht gewesen. Denn seit 2016 müsse die Staatsanwaltschaft nicht mehr einzelne Ermittlungsschritte im Vorhinein genehmigen lassen, sondern im Nachhinein über „bedeutende Verfahrensschritte“ berichten.
Kickl stellt BVT-Chef infrage
FPÖ-Innenminister Herbert Kickl stellte am Freitag den bisherigen BVT-Chef Peter Gridling infrage. Angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe könne dieser „ja nicht so tun, als ob das nichts wäre“, so Kickl. Gridling ist derzeit auf Urlaub - auf eigenen Wunsch, wie es heißt. Berichten zufolge soll die Entscheidung dazu sehr kurzfristig erfolgt sein. In wenigen Wochen läuft Gridlings Vertrag aus.
Auch der Generalsekretär im Innenministerium, Peter Goldgruber, ist der Meinung, zum jetzigen Zeitpunkt wäre es „nicht vertretbar“, Griedlings Bestellung, wie offenbar zuvor geplant war, zu verlängern. Gegen drei Beamte des BVT laufen derzeit dienstrechtliche Maßnahmen, so Goldgruber. Kickl kündigte an, in der ersten Hälfte der kommenden Woche eine Entscheidung zu treffen.
Polli: „Es läuft einiges falsch“
Unterdessen meldete sich auch der ehemalige Leiter des BVT, Gert-Rene Polli, zu Wort. Im ZIB24-Interview kritisierte er Machenschaften und Korruption im BVT. „Ja, es läuft einiges falsch, seit Jahren. Es riecht nach Korruption auf der einen Seite und Führungslosigkeit auf der anderen Seite“, sagte Polli, der 2002 unter einer ÖVP-FPÖ-Regierung zum Direktor des BVT bestellt wurde und die Sicherheitsbehörde bis 2008 leitete.
„Führungsmangel und Günstlingsnetzwerk“
Im BVT lasse sich Führungsmangel und die Herrschaft eines Netzwerkes rund um Personen, die sich als Günstlinge sehen, beobachten, so Gert-Rene Polli, ehemaliger Leiter des BVT.
Im BVT, so Polli, gebe es ein „Netzwerk an Günstlingen“, die bis auf ein Parteibuch keine Qualifikation vorweisen könnten. Das hätte aber nichts mit dem derzeitigen Innenministerium zu tun, diese Entwicklung habe ab 2009 eingesetzt - also nachdem Polli das BVT verlassen hatte. Dass die Razzia dazu genutzt werde, um die Sicherheitseinrichtung umzufärben, glaubt Polli nicht. „Es geht im Wesentlichen um das Ausräumen eines Zustandes, der seit vielen Jahren herrscht“, sagte er.
Angesichts der Tatsache, dass es zu einer Razzia in einer „der wichtigsten Sicherheitseinrichtungen“ Österreichs gekommen ist, ortet Polli nun den „den vorläufigen Höhepunkt einer Vertrauenskrise in der Zusammenarbeit europäischer Nachrichtendienste und der heimischen Behörden“.
SPÖ fordert „rasche Aufklärung“
SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim forderte am Samstag „rasche, rückhaltlose und vor allem wahrheitsgemäße Aufklärung“. "Ich gehe davon aus, dass Bundeskanzler Kurz (Sebastian, ÖVP, Anm.) von seinem unmittelbaren Auskunftsrecht, das von den Regierungsparteien selbst im Übrigen als Kontrollfunktion angepriesen wurde, Gebrauch genommen hat und fordere ihn daher auf, der Öffentlichkeit unverzüglich reinen Wein einzuschenken“, so Jarolim.
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