„Eine Reparatur ist nicht notwendig“
Ab Herbst müssen erwerbstätige Langzeitstudierende Studiengebühren zahlen. Grund ist ein Fehler im Gesetz, das Berufstätige - unter bestimmten Voraussetzungen - bisher von Beiträgen befreit hat. Zwar hatte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) dem Gesetzgeber eine Frist bis Ende Juni eingeräumt, um das Problem zu lösen. Doch dieser wird die Gebührenbefreiung wegen Erwerbstätigkeit auslaufen lassen.
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„Eine Reparatur ist aus Sicht des Wissenschaftsressorts nicht notwendig, da ab 30. Juni 2018 aufgrund des VfGH-Urteils eine generelle Gleichstellung zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Studierenden erfolgt“, teilte das Büro von Wissenschaftsminister Heinz Faßmann auf ORF.at-Anfrage mit. Außerdem sei im Regierungsprogramm ohnehin eine gesamthafte Neuregelung der Studienbeiträge geplant.
APA/Georg Hochmuth
Der VfGH hat entschieden: Entweder wird die Bestimmung im Universitätsgesetz repariert oder aufgehoben
Tatsächlich hatten die Höchstrichter im Dezember 2016 entschieden, das Gesetz wegen Gleichheitswidrigkeit mit Ende Juni aufzuheben. Allerdings betrifft die Ungleichbehandlung ausschließlich die Gruppe der berufstätigen Studentinnen und Studenten. Und die Reparaturfrist sei eine Empfehlung des VfGH gewesen, den Fehler zu korrigieren, sagt Hannah Lutz von der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH) gegenüber ORF.at. „Wer neben dem Studium arbeiten muss, hat es ohnehin schwer. Darauf müssen Gesetze Rücksicht nehmen.“
Gesetz widerspricht Gleichheitsgrundsatz
Konkret geht es um den Paragrafen 92 im Universitätsgesetz (UG). Bisher war es berufstätigen Langzeitstudierenden, die die vorgesehene Studienzeit überschritten haben, möglich, einen Antrag auf Erlass der Studiengebühren (363,36 Euro pro Semester) zu stellen. Vorausgesetzt, im Jahr wurden Einkünfte von mindestens der 14-fachen Geringfügigkeitsgrenze (6.000 Euro) erzielt. Die Befreiung soll jenen zugutekommen, die aufgrund ihrer beruflichen Belastung weniger Zeit für ihr Studium aufwenden.
Studiengebühren in Österreich
Wer die Mindeststudienzeit plus zwei Semester überschreitet, muss Studiengebühren in Höhe von 363,36 Euro zahlen. Allerdings gibt es Ausnahmeregelungen, etwa bei einer Erwerbstätigkeit.
Doch diese Bestimmung wurde Mitte Dezember 2016 vom VfGH als gleichheitswidrig erklärt. Grund war eine Beschwerde einer berufstätigen Jusstudentin der Uni Wien. Trotz unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit konnte sie die Gebührenbefreiung nicht beanspruchen, da ihre Gesamteinkünfte nach Abzug von Sonderausgaben unter die notwendige Grenze fielen. Die Verfassungsrichter sehen darin „unsachliche Auswirkungen der Regelung infolge Abstellens auf ein Jahreseinkommen im einkommensteuerrechtlichen Sinn”.
Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, dass bestimmte Berufstätige auf einen Steuervorteil verzichten sollen, um in den Genuss einer Gebührenbefreiung zu kommen, „wenn die Regelung ansonsten diese Begünstigung jedem erwerbstätigen Studierenden mit noch so hohem Einkommen zugesteht.“ Um den Fehler zu beheben, räumte der VfGH dem Gesetzgeber daher eine Reparaturfrist ein. Diese wurde aber trotz mehrerer studienrechtlicher Novellen bisher nicht genutzt - weder unter der SPÖ-ÖVP-Koalition noch unter der jetzigen Regierung.
Mehrheit der Studierenden arbeitet nebenbei
Mit einer Rechtsanwaltskanzlei hatte die ÖH bereits im vergangenen Jahr einen Vorschlag für eine Gesetzesreparatur ausgearbeitet. Darin ist festgehalten, dass Betriebsausgaben und Werbekosten, die zu einer Unterschreitung der Einkommensgrenze führen können, für die Ermittlung der Jahreseinkünfte nicht berücksichtigt werden. Damit wäre das Problem gelöst worden, sagt Lutz, doch die Regierung habe auf den Vorschlag nicht reagiert, „obwohl Arbeit neben dem Studium schon die Regel ist“.
Grafik: ORF.at; Quelle: IHS
Das geht auch aus der vom Institut für Höhere Studien (IHS) durchgeführten Studierenden-Sozialerhebung hervor. Im Sommersemester 2015 waren mehr als 60 Prozent der Studenten und Studentinnen „regelmäßig oder gelegentlich erwerbstätig“ - quer durch alle sozialen Schichten. Bei den Studierenden, die über 26 Jahre alt sind, ist der Anteil der Berufstätigen am höchsten, bei den unter 21-Jährigen am niedrigsten. Auffällig an der Erhebung ist: Je niedriger der formale Bildungsgrad der Eltern, desto höher ist das Arbeitspensum der Studierenden.
Während sieben Prozent der berufstätigen Studierenden aus Akademikerhaushalten einem Vollzeitjob nachgehen, sind es bei jenen, deren Eltern die Pflichtschule absolvierten, 19 Prozent. Überhaupt gaben 74 Prozent bei Mehrfachnennung an, zu arbeiten, „weil es zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten unbedingt notwendig ist“. Sie sind es übrigens auch, die häufig mit Vereinbarkeitsschwierigkeiten konfrontiert sind.
Studiengebühren für Faßmann nicht primär
Von ihnen können freilich nicht alle einen Antrag auf Erlass der Studiengebühren stellen. Laut Daten aus dem Wissenschaftsressorts und weiteren ORF.at-Recherchen wurden im Wintersemester 2016 mehr als 23.000 Langzeitstudierenden die Beiträge wegen Erwerbstätigkeit erlassen, das macht etwa 7,5 Prozent bei 308.000 Inskribierten aus. Von diesen Erwerbstätigen studierten 8.893 an der Uni Wien, weitere 2.892 an der TU Wien und 2.663 an der Linzer Universität. Niedriger sind die Zahlen an den Kunstunis, an denen generell weniger Menschen inskribiert sind.
Grafik: ORF.at; Quelle: IHS
Dass das Auslaufen der Gebührenbefreiung für Erwerbstätige nur der erste Schritt sei und der Regierung als unmittelbares „Einfallstor“ für allgemeine Studiengebühren dient, wie die ÖH vermutet, sei aber keineswegs der Fall, so das Ressort von ÖVP-Wissenschaftsminister Faßmann. Im Programm sei zwar von „moderaten“ Beiträgen die Rede, aber zunächst wolle man die Umsetzung der Hochschulfinanzierung angehen. Danach könne man überlegen, wie es mit dem Thema Studiengebühren weitergeht.
Eine ähnliche Position vertritt Eva Blimlinger, Präsidentin der Universitätenkonferenz (uniko). Persönlich sei sie zwar gegen Studiengebühren, wie sie gegenüber ORF.at sagt. Wenn es sie aber gebe, müssten alle „Eventualitäten“ berücksichtigt werden. Auf die Frage, ob eine Erwerbstätigkeit als „Eventualität“ gelten könnte, antwortet Blimlinger: „Tatsache ist, dass viele Unis bereits mit Beiträgen von Berufstätigen rechnen. Wichtig ist mir, dass die Einführung allgemeiner Studiengebühren keine Priorität hat und eine Gesamtlösung angestrebt wird.“
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