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„Notstandshilfe auf null gesetzt“

Die Ausgaben sinken um bis zu eine Milliarde Euro, die Armut steigt, und die Einkommensverteilung wird ungleicher. So lautet das Ergebnis einer Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung, in der die Einführung des deutschen Hartz-IV-Modells in Österreich simuliert wurde. Die Untersuchung aus dem vergangenen Jahr könnte ob der Reformpläne der Regierung aktueller kaum sein.

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Für die Studie, die das damals von der ÖVP geführte Finanzministerium im Frühjahr 2016 in Auftrag gegeben hat, wurde nämlich ein Szenario verwendet, das sich zum Teil im aktuellen Regierungsprogramm finden lässt. Die Koalition plant, die Notstandshilfe abzuschaffen und in das Arbeitslosengeld zu integrieren, wobei die Unterstützung degressiv gestaltet werden soll, also im Laufe der Zeit abnimmt. Außerdem gilt: Je länger jemand Beiträge eingezahlt hat, desto länger darf er die Leistung auch beziehen.

Kritiker befürchten, dass mit der Abschaffung der Notstandshilfe auch die Möglichkeit des unbegrenzten Bezugs fällt. Betroffene, die keine Arbeit finden, würden in die bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) gedrängt werden, und der Staat kann dann auf das Vermögen zugreifen - Hartz IV eben, moniert die Opposition seit der Präsentation der Regierungspläne.

Armut steigt durch Hartz IV

Das ist auch die Ausgangslage, mit der ein Forschungsteam des Europäischen Zentrums rund um Michael Fuchs gearbeitet hat. „Um Hartz IV auf Österreich zu übertragen, haben wir die Notstandshilfe auf null gesetzt. Stattdessen erhalten Personen, die keinen Job finden, nach dem befristeten Arbeitslosengeld die Mindestsicherung“, erklärt Fuchs im Gespräch mit ORF.at. Je nach Variante gibt es ein Einsparungspotenzial für den Staat von bis zu einer Milliarde Euro. Die Kehrseite sei aber, dass das Risiko, von Armut betroffen zu sein, signifikant steige.

Antrag auf Mindestsicherung

APA/Barbara Gindl

Für den Bezug der Mindestsicherung ist das Vermögen relevant

Konkret würde die Zahl der armutsgefährdeten Menschen bei einer bundesweiten Niederösterreich-Variante (seit 2017 ist die Mindestsicherung für Haushalte in Niederösterreich mit maximal 1.500 Euro im Monat begrenzt, Anm.) um zwei Prozentpunkte auf rund 1,3 Millionen steigen. Im Durchschnitt verliert jeder Haushalt, der früher die Notstandshilfe bezogen hat, pro Kopf und Jahr 2.300 Euro. Selbst bei der länderspezifischen Basisvariante ohne Vermögenstest würde die Gruppe der Armutsgefährdeten um 86.000 Personen zunehmen, der Einkommensverlust pro Kopf beträgt 1.300 Euro jährlich.

Arbeitslosengeld aktuell

Wer seinen Job verliert und bestimmte Voraussetzungen erfüllt, erhält heute maximal ein Jahr lang 55 Prozent des früheren Einkommens - danach unbefristet die Notstandshilfe, die 92 Prozent des Arbeitslosengeldes ausmacht.

Durch die Umstellung auf die Mindestsicherung würde laut Simulation das Einkommen fast aller Notstandshilfeempfänger-Haushalte sinken. Der Grund: In der Regel ist die BMS niedriger als die Notstandshilfe, die sich wie das Arbeitslosengeld auf das letzte Einkommen bezieht, und die Einkommensanrechnung wesentlich strenger. Außerdem ist das Vermögen für den Bezug der BMS relevant. Denn während bei der Notstandshilfe Eigentum erlaubt ist, gibt es die Mindestsicherung nur noch für vollkommen Besitzlose. Ausgenommen ist nur ein kleiner Teil an Barmitteln, Eigenheime und beruflich benötigte Autos.

Weniger Bezieher, weniger Kosten

„Die Zahl der Haushalte, die zuerst die Notstandshilfe bezogen haben, würde bei der Mindestsicherung drastisch sinken“, erklärt Fuchs. Während im Jahr 2017 noch 277.000 Haushalte die Notstandshilfe zumindest für einen Monat bezogen haben, wären es bei einer Deckelung der BMS und einem Abschöpfen von Vermögen (Niederösterreich-Variante) nur noch 108.000. Dadurch wären die Staatsausgaben zwar geringer, Mehrkosten durch die steigende Armut (zum Beispiel Gesundheit) können aber anfallen. Für die Studie wurden diese aber nicht berücksichtigt.

Ob eine Einführung des deutschen Hartz-IV-Modells mehr Menschen in den Arbeitsmarkt bringen würde, bezweifelt der Sozialwissenschaftler. „Darüber wird in Deutschland seit Einführung der Reform diskutiert. Aber je nach Ideologie gibt es unterschiedliche Ergebnisse.“ Allerdings ließe sich eher ein „Abschreckungs- als ein Fördereffekt“ identifizieren. Einer Einführung von Hartz IV sei somit „mit einiger Skepsis zu begegnen“, sagt Fuchs.

Hartinger-Klein: „Dauerhaft Anspruch“

Ob es überhaupt so weit kommt, ist ohnehin fraglich. Denn in den vergangenen Tagen versuchte Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) den Vorwurf, die Regierung wolle Langzeitarbeitslose in die Mindestsicherung drängen, entkräften. „Menschen, die unverschuldet auch sehr lange keinen Job finden, werden dauerhaft Anspruch auf Arbeitslosengeld haben“, sagte sie.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) im ZIB2-Interview

Beate Hartinger-Klein (FPÖ), Ministerin für Gesundheit, Soziales und Arbeit, spricht im ZIB2-Interview über die Neugestaltung des Arbeitslosengeldes. Ein Hartz-IV-Modell wie in Deutschland lehnt sie ab.

Eine Bestätigung durch Bundeskanzler Sebastian Kurz blieb allerdings bisher aus. „Es gilt immer das, was im Regierungsprogramm steht und was wir gemeinsam verhandelt haben“, stellte der ÖVP-Chef am Donnerstag bei der Regierungsklausur klar. Es werde ein „Arbeitslosengeld neu“ geben, das gerechter werde: Wer lange einbezahlt hat, soll länger profitieren, wer nur kurz eingezahlt hat, soll das Arbeitslosengeld auch nur kurz bekommen. Bestehe kein Anspruch, gebe es ja noch die Mindestsicherung.

Übrigens sorgte die 30.000 Euro teure repräsentative Studie, die die Daten der europäischen Haushaltsstatistik (EU-SILC) verwendet, im vergangenen Sommer nicht nur bei der SPÖ für Empörung. Auch der neue Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) befand damals, „mit den Hartz-IV-Visionen aus dem Finanzministerium hat sich die ÖVP vom Volk verabschiedet“ und unterstellte Kurz’ Team „weltfremde Elitenpolitik“.

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