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Mediales Abbild einer Gegenkultur

Neue journalistische Erzählweisen, gesellschaftspolitisch relevante Themen und nicht zuletzt eine intensive Auseinandersetzung mit der Bildsprache haben den „Rolling Stone“ zum einflussreichsten aller Musikmagazine werden lassen. Am 9. November vor 50 Jahren ist die erste Ausgabe des „Rolling Stone“ erschienen, wobei heute nicht zu übersehen ist, dass die großen Zeiten des Geschäfts vorüber sind.

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Für Jann Wenner, der den „Rolling Stone“ im Jahr 1967 im Alter von 21 Jahren gegründet hat und der beim US-Magazin immer noch die Fäden zieht, gibt es im Jubiläumsjahr wenig zu jubeln, aber offensichtlich einiges zu managen. Im September erklärte Wenner der „New York Times“, dass der „Rolling Stone“ zum Verkauf stehe. Er sprach hinsichtlich des Strukturwandels in der Verlagsbranche von Herausforderungen, die nicht alleine zu bewältigen seien.

Längst veräußerte Anteile

Die prominent lancierte Verkaufsabsicht schaffte es auf alle großen Nachrichtenplattformen, doch eigentlich waren es alte Nachrichten. Bereits im vergangenen Jahr hat Wenner 49 Prozent des Magazins verkauft und andere Titel seines Verlags komplett. Käufer des Anteils am „Rolling Stone“ war ein Musiktechnologie-Start-up aus Singapur mit einem familiären Naheverhältnis zur Palmölindustrie.

General Stanley McChrystal, 2010

APA/AFP/Getty Images/Alex Wong

US-Militär Stanley McChrystal hat eine „Rolling Stone“-Geschichte sein Amt als Truppenführer in Afghanistan gekostet

Zur vorläufigen Rettung des Lebenswerks waren Wenner offensichtlich alle Mittel recht. Rund ums Jubiläum plagen ihn aber auch ganz andere Sorgen. Die „New York Times“ berichtete Mitte Oktober vom Zerwürfnis Wenners mit seinem Biografen Joe Hagan, weil Wenner mit dem Ergebnis so gar nicht einverstanden ist. Die beiden sprechen laut „New York Times“ kein Wort mehr miteinander. Das Geschäft mit der Rebellion ist mitunter ein sehr eitles.

Abbildung einer Gegenkultur

Anno 1967 ging es Wenner um die mediale Abbildung einer Gegenkultur. Rockmusik bedeutete gesellschaftliche Opposition, die sich hinsichtlich eines liberalen Zugangs zu Drogenkonsum und Fragen des Zwischenmenschlichen ebenso auszeichnete wie durch die vehemente Ablehnung des Vietnam-Krieges. Es galt das Lebensgefühl der gesellschaftlichen Öffnung mittels eines Magazins zu transportieren. Der „Rolling Stone“ hat mit seiner inhaltlichen Ausrichtung den Zeitgeist getroffen, wie kaum ein anderes Magazin – getrieben von einer gewissen Utopie.

Neue Formen des Erzählens

Die neuen Zeiten und deren Utopien verlangten auch nach neuen journalistischen Ausdrucksweisen. Der streng subjektive Gonzo-Journalismus eines Hunter S. Thompson fand im „Rolling Stone“ ebenso eine mediale Heimat wie andere Vertreter des New Journalism, z. B. Tom Wolfe. Auch Lester Bangs und der später als Regisseur erfolgreiche Cameron Crowe waren in den frühen Jahren als Autoren aktiv.

Von der allerersten Ausgabe des „Rolling Stone“ blickte ausgerechnet John Lennon von den Beatles in einer Soldatenuniform. Sein Interesse am Geschäft mit der Rockmusik bekundete Wenner bereits mit der ersten Aufmachergeschichte, in der es um die finanziellen Ungereimtheiten nach dem Monterey-Festival gegangen war.

Ikonenhafte Cheffotografin

Vor allem visuell war der „Rolling Stone“ ein Ereignis. Wenner setzte zunehmend auf die Inszenierung des Titelblattes mit entsprechender Fotografie. Fotografieikone Annie Leibovitz, deren Aufnahme des nackten John Lennon, während er sich in Embryonalstellung an Yoko Ono schmiegt, zu den bekanntesten Covermotiven in der 50-jährigen Geschichte des Magazins zählt, war in den Jahren 1973 bis 1981 die Cheffotografin des „Rolling Stone“ und übte damit starken Einfluss auf die Bildsprache in der Popkultur aus.

Popkulturelle Verwaltung

Doch so viel Einfluss der „Rolling Stone“ ausgeübt haben mag, er muss sich auch den Vorwurf gefallen lassen, zu einem Verwaltungsinstrument der Unterhaltungsbranche verkommen zu sein, der verbissen alte musikalische Werte hochhält. Mit wenigen Ausnahmen sind es nach wie vor die musikalischen Helden aus der Gründungsphase des Magazins, die das Cover zieren. Beatles, Rolling Stones, David Bowie, Bruce Springsteen und Co. sind bestimmend.

Verbindungshaus der Phi Kappa Psi

AP/Steve Helber

Der „Rolling Stone“ witterte an der Virginia Uni einen Vergewaltigungsskandal, was ihm viel an Glaubwürdigkeit kostete

Der „Rolling Stone“ ist in musikalischer Hinsicht mit seinem Publikum alt geworden. Es regiert ein stetes Blicken auf die goldene Ära des Rock and Roll. In der deutschsprachigen Ausgabe noch viel mehr als im US-„Rolling Stone“.

Unhaltbare Geschichten

Mit Kritik war das US-Magazin in den vergangenen Jahren nicht nur hinsichtlich der thematischen Gewichtung das Musikalische betreffend konfrontiert. Grobe journalistische Fehler wie im Jahr 2015 im Zusammenhang mit der Berichterstattung über eine vermeintliche Massenvergewaltigung an einem US-College nagten am Image des alteingesessenen Magazins, das nach wie vor von den glanzvollen Zeiten zehrt. Auch die verzerrt wiedergegebenen Recherchen hinsichtlich Verfehlungen von hochrangigen US-Armeeangehörigen in Afghanistan, die zu prominenten Entlassungen führten, sorgten für große Diskussionen.

Schwindende Definitionsmacht

Wobei der Aufstieg des „Rolling Stone“ auch im unmittelbaren Zusammenhang mit der Ära der großen Major-Plattenfirmen zu betrachten ist. Plattenindustrie und große Musikmedien, allen voran der „Rolling Stone“, übten über Jahrzehnte eine Definitionsmacht sondergleichen aus, die mit dem Niedergang der großen Plattenfirmen abgenommen hat. Die Digitalisierung hinterlässt seit den 2000er Jahren tiefe Spuren.

Der Strom für Rockfans

Wohin sich das mediale Geschäft mit der einst revolutionären Musik entwickelt und welche Zielgruppen dabei bedient werden, zeigt die deutsche Ausgabe seit vielen Jahren eindrücklich. Das lukrative Geschäft der Musikindustrie mit der Wiederveröffentlichung großer Klassiker spiegelt sich in Inhalt wie in den Inseraten. Und vor allem hat die Werbeindustrie in Sachen hochwertiger Männermode einen adäquaten Partner gefunden.

Businesstaugliche Herrenhemden, präsentiert von bärtigen Vierzigern, und teures Lederschuhwerk werden mit einem Hauch von Restrebellion beworben. Wobei die heute gut verdienenden Fans von einst noch einen Schritt weitergehen können, um Rock-and-Roll-Lebensgefühl walten zu lassen, wie mitunter manche Hochglanzwerbebeilagen im „Rolling Stone“ demonstrieren: „Entdecke den ersten Strom, der rockt!“ lautet der Slogan eines deutschen Stromanbieters, der unter der Marke „AC/DC“ verschiedene Ökostromtarife anbietet.

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