„Zum ‚Brexit‘ gibt es nichts zu sagen“
Eigentlich hätte auf dem EU-Gipfel in Brüssel in der Vorwoche Phase zwei der Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien beginnen sollen. Zwar bekam die politisch unter Druck stehende britische Premierministerin Theresa May erneut kein „Go“, aber immerhin ein Zugeständnis: Die EU will zumindest „intern“ bereits Vorbereitungen auf Phase zwei über die künftigen Beziehungen starten.
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Damit hoffen die EU-27 auf einen Durchbruch bei den „Brexit“-Verhandlungen im Dezember. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, dass es doch etwas übertrieben wäre, von einer Sackgasse bei den „Brexit“-Gesprächen zu reden. Ausreichende Fortschritte in den drei Kernbereichen sah er wie auch die EU-Staats- und -Regierungschefs nicht. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gab sich dazu wortkarg: „Über den Brexit sage ich nichts, weil es nichts zu sagen gibt.“
„Unsere Arbeitshypothese ist nicht der ‚No Deal‘“
Angesichts einer drohenden Rebellion in den Reihen ihrer Torys hatte May ihre Kollegen auf dem Gipfel um vorzeigbare Ergebnisse in den kommenden Wochen gebeten. Britische Regierungsvertreter verwiesen darauf, dass in ihrer Partei radikale Austrittsbefürworter Zulauf erhielten, die sich einen „harten ‚Brexit‘“ - also ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU ohne Einigung - vorstellen können.

APA/AP/Geert Vanden Wijngaert
Handshake zwischen May und Tusk - Einigkeit gibt es zwischen Briten und EU aber noch lange nicht
In diesem Zusammenhang wies Juncker Berichte über einen solchen „No Deal“ zurück. Kein Mitglied der britischen Regierung habe ihm ein solches Szenario bisher erläutern können. „Das ist eine britische Art, eine kollektive öffentliche Pädagogik zu betreiben. Niemand weiß, was ‚No Deal‘ im Zusammenhang mit ‚Brexit‘ bedeuten würde. Aber was die Kommission angeht: Unsere Arbeitshypothese ist nicht der ‚No Deal‘.“ Er verachte ein solches Szenario, so Juncker.
Summe „Zeile für Zeile“ klären
In der strittigen Finanzfrage hielt sich May zum Ende ihres Aufenthalts in Brüssel zurück. Man werde die Frage, wie viel Großbritannien zu zahlen habe, schrittweise - „Zeile für Zeile“ - klären. Dabei betonte May, die konkrete Zahl werde am Ende des ausgehandelten „Brexit“-Deals stehen und stehe auch in Zusammenhang mit der künftigen Partnerschaft zwischen EU und Großbritannien. Dabei schloss May aber nicht aus, dass die Summe höher werden könnte, wenn ihr Land wünsche, an bestimmten Projekten der EU weiter teilzunehmen.
Hoffen auf kurz vor Weihnachten
Die Befunde der anderen Staats- und Regierungschefs fielen recht unterschiedlich aus: Der belgische Regierungschef Charles Michel mahnte etwa „Klarheit“ von der britischen Regierung ein. Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite sagte, die Staats- und Regierungschefs hofften nun, „dass es einen Erfolg im Dezember gibt“. London müsse dafür „von Worten zu Taten“ übergehen. Für beide Seiten sei es an der Zeit, „zu echten Verhandlungen zu kommen und nicht über Rhetorik in den Medien zu verhandeln“.
Doch es wurde auch Zuversicht geäußert: „Ich habe (...) eigentlich überhaupt gar keinen Zweifel, wenn wir geistig alle klar sind“, sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Sie sehe „null Indizien dafür, dass das nicht gelingen kann“. Großbritannien habe schon deutliche Signale gegeben, nur „noch nicht genug, um Etappe zwei (der Verhandlungen, Anm.) zu beginnen“. Aus Merkels Sicht könnte das aber im Dezember gelingen.
Noch viel Arbeit sieht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: „Wir haben den Weg (...) noch nicht zur Hälfte geschafft“, sagte er. „Auf finanziellem Gebiet bleibt Großbritannien noch eine große Anstrengung“, so Macron. Der gute Wille der Briten sei aber spürbar. Szenarien, wonach die Briten im März 2019 ohne vertragliche Regelung aus der EU aussteigen könnten, hält Macron für wenig wahrscheinlich. „Dass es Lärm gibt und Bluff, liegt in der Natur der Sache und der Medien“, so Macron.
„Ihr bester Auftritt bisher“
Es gab auch ausdrückliches Lob für Mays Rede beim Abendessen am Vortag: „Ich denke, es war ihr bester Auftritt bisher. Sie will Fortschritte erreichen“, sagte Maltas Regierungschef Joseph Muscat. Auch von der EU-Seite gebe es die Bereitschaft dazu. Nachsatz: „Aber ich denke, es hat nicht wirklich etwas geändert.“ Auch vom irischen Staatschef Leo Varadkar wurde May mit Lob bedacht, er sprach von einem sehr starken Auftritt. Von mancher Seite wurden ihr auch „Konstruktivität“ und „Versöhnlichkeit“ beschieden.
Zu Beginn des zweiten und letzten Gipfeltages war May noch anwesend - da trafen sich die Chefs der EU-28 zum Arbeitsfrühstück, bei dem es in erster Linie um Reformen der EU ging. Dabei geht es darum, die Union effizienter zu machen und raschere Entscheidungen herbeiführen. Der luxemburgische Premier Xavier Bettel - trotz Verhandlungen bis in die Nacht gut gelaunt - erwartete sich „ein gutes englisches Frühstück“.
Kern sieht „Auf und Abs“
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) erkannte aufseiten der Briten „Auf und Abs“ in Sachen „Brexit“. Die Unruhe werde mit fortschreitendem Zeitverlauf wohl noch zunehmen, sagte er. Für den Verhandlungsprozess sei das „nicht vorteilhaft“, so Kern. Was eine Lösung und den Start in die zweite Phase betrifft, ist Kern für den Gipfel im Dezember zuversichtlich. Lobende Worte fand Kern für EU-Chefverhandler Michel Barnier. Dieser mache einen "exzellenten Job. Die EU-Staaten seien ihm gegenüber alle loyal eingestellt.
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Valentin Simettinger, ORF.at, aus Brüssel