Zurück zum Publikum
Gemeinsam mit Diana Marincu hat der in Frankreich ansässige rumänische Kunstexperte die zweite Biennale von Timisoara kuratiert. Im Gespräch mit ORF.at gesteht er, wie egal dem elitären Kunstbetrieb früher das Publikum war - und wie sehr sich das geändert hat.
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ORF.at: Es sind hier rumänische Künstler der 60er und 70er Jahre ausgestellt mit ihrer abstrakten, mathematischen Kunst. Gab es damals überhaupt Freiräume für die Avantgarde?
Barak: Ja, 1966 bis ’73 war es etwas toleranter, liberaler. Die Künstler fühlten, dass sie etwas machen konnten, das nicht den Dogmen des Regimes entsprach - und dass sie trotzdem nicht ins Gefängnis kommen. Da entstand viel Abstraktes, Minimalistisches. Wir wollten bei der Biennale daran erinnern, dass es ’68 in Bukarest eine ganz zentrale, wichtige Ausstellung gab, die wir hier genau wie damals zeigen: „Fünf Künstler von Timisoara“. Drei der fünf gründeten danach die legendäre Künstlergruppe Sigma. Vor dieser Ausstellung kannte die niemand.
Sie waren dann damals zur Nürnberg Biennale eingeladen. Zwei der drei kamen nie wieder zurück. Einer ging in die USA, wo er als Minimalist aus Timisoara überhaupt nicht wahrgenommen wurde, auch wenn seine Sachen wirklich Avantgarde waren. Er hörte auf, Kunst zu machen. Der Zweite blieb in Deutschland, auch er hatte keinen Erfolg. Jetzt wird er langsam wiederentdeckt.
ORF.at: Während diese Künstler sehr abstrakt, sehr theoretisch arbeiten, sind die Werke der Jungen sehr konkret politisch und leicht zu lesen - etwa der „pink tank“ von Lea Rasovszky, ein knallbunter Panzer.
Barak: Ja genau, das ist leicht zu lesen. „Make love not war“; und es gibt auch eine Gender-Komponente. Das männlich konnotierte Kriegsgerät als weiblich-pinkes Spielzeug ...
ORF.at: Auch der Tischtennistisch mit den Playmobilfiguren hinter dem Netz - Flüchtlinge vor einem Zaun, ist leicht zu dechiffrieren. Gibt es unter den Jungen eine Bewegung der Öffnung hin zu größeren Zielgruppen?
Barak: Darf ich ihnen etwas gestehen? Als ich in den 80er und 90er Jahren im Kunstbetrieb arbeitete, interessierte uns die Öffentlichkeit einen Dreck. Ich beschäftigte mich mit Kunst und Künstlern, aber das Publikum war mir egal. Das hat sich radikal verändert. 1984 habe ich als Praktikant im Museum Moderner Kunst in Paris gearbeitet und kann mich noch an eine Ausstellungseröffnung erinnern, die von gerade einmal 50 Menschen besucht wurde. Heute kommen 1.000 Besucher zur Eröffnung, ganz egal, was du zeigst.
Sogar mit Presseausweis muss man sich in eine lange Schlange stellen, wenn man in Paris ins Palais de Tokyo gehen will, um aktuelle Kunst zu sehen. Vor zwei Monaten habe ich die Biennale von Montreal eröffnet. Wir hatten 5.000 Besucher an dem Abend. Das waren nicht alles Leute aus der Szene, also Künstler und Kuratoren - sondern da war wirklich Publikum.
Die Kunst heute sucht inhaltlich und formal viel mehr den Anschluss an die Bevölkerung, als das früher der Fall war. Das ist von Schanghai bis Timisoara so. Da hat es einen unglaublichen Wandel gegeben. 2017 gibt es diesen Riesenspalt zwischen Publikum auf der einen und Insidern auf der anderen Seite nicht mehr.
ORF.at: Kommt von daher auch das Motto das Festivals - „Life a User’s Manual“?
Barak: Zu diesem Motto hat mich vor allem Georges Perecs Buch „La Vie mode d’emploi“ aus dem Jahr 1978 inspiriert. Es geht dabei um ein Wohnhaus für zahlreiche Parteien. Über manche Nachbarn weiß man etwas, über andere nicht. Perec schaut in die einzelnen Wohnungen hinein, als ob man von außen die Fassade weggenommen hätte. Das birgt Stoff für ein kuratorisches Konzept! Die Künstler sind wie die Bewohner so eines Hauses. Und wir können uns jeden ihrer Ansätze anschauen und sie vergleichen und Gemeinsamkeiten suchen.
ORF.at/Simon Hadler
Ami Barak in der Straßenbahnremise von Timisuara, die zur Kunsthalle umfunktioniert wurde; links im Hintergrund: David Maljkovic: „After Giuseppe Sambito“
Und: Das Leben ist ja gleich geblieben, seit es die Menschheit gibt. Wir haben Liebe, Hass und so weiter. Das ist seit 10.000 Jahren gleich. Aber was sich verändert hat: Die Entwicklungen überschlagen sich in ihrer Geschwindigkeit, wenn man an Technologie und Kommunikation denkt. Sie machen das Leben komplexer, damit sind wir alle konfrontiert, ob wir das mögen oder nicht, ob wir eher Heidegger oder Hegel anhängen.
Wir alle müssen uns damit auseinandersetzen, auch hier in Timisoara, auch die Künstler. Ein spannender Moment, um zu zeigen, wie diese jungen Künstler damit umgehen. Und dann habe ich das Thema auch deshalb sehr breit angelegt, weil man dadurch sehr viel integrieren kann, wenn auch von einem speziellen Blickwinkel aus. Über all das hatte ich mit meiner Kokuratorin Diana Marincu viele spannende, fruchtbringende Diskussionen.
Dank Marincu habe ich viel über die junge Kunstszene von Timisoara gelernt. Da gibt es etwa Pusha Petrov, die mit ihren Handtaschen-Vagina-Fotos in der Biennale vertreten ist. Sie macht smarte, tolle Sachen. Ursprünglich kam sie aus Bulgarien. Sie hat etwa Schlafzimmer der bulgarischen Community in Timisoara nachgebaut - als Kunstwerke, um die Menschen hier zu verorten. Ausgebildet wurde Petrov in Frankreich. Sie hat unglaublich viel Talent.
Oder Sandor Bartha, der das Kunstwerk mit den Playmobilfiguren und dem Tischtennistisch gemacht hat, wo es um das Thema Flucht und Asyl geht. Lea Rasovszky ist auch unglaublich spannend, nicht nur wegen ihres „pink tank“.
Die Jungen haben es nicht leicht, es gibt keinen wirklichen Markt für Kunst hier in Rumänien. Sie müssen alle nebenher irgendetwas arbeiten, das nichts mit Kunst zu tun hat. Sie leben in Armut. Wobei man in Rumänien schon Armut von Armut unterscheiden muss. Es gibt hier noch viel dramatischere Formen von wirklich existenzbedrohender Armut - die ist aber anderswo zu finden.
ORF.at: Die Armut hat ja direkt mit der in Rumänien immer noch grassierenden Korruption zu tun. Über 400.000 Menschen sind heuer dagegen bei Protestveranstaltungen auf die Straße gegangen. Welche Rolle spielen die Künstler in dieser Protestbewegung?
Barak: Sie sind zwar alle auf die Straße gegangen, eine wirklich sichtbare, zentrale Rolle spielen sie in der Protestbewegung aber nicht. Es sind viele Menschen mit geringer Bildung auf die Straße gegangen, es war kein von oben, von einer intellektuellen Elite durchgeplanter Protest.