Auch Spaß muss sein - und Liebe
Die Romane dieser Saison sind breit gestreut. Vom klassischen Liebesroman bis zur literarischen Sprachspielerei, vom Abenteuerroman bis zur Erforschung des Seelenlebens reichen die Erkundungen, zu denen die Bücher einladen.
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Best Männerfreundschaft forever
Jude, JB, Willem und Malcolm sind unzertrennlich, seit sie Zimmergenossen auf dem College waren. Auf den ersten hundert Seiten von „Ein wenig Leben“ wird die Männerfreundschaft vierer Hipster in New York auf solide und recht unaufgeregte Weise beschrieben. Doch dann brechen die Abgründe auf, die jenem Leben zugrunde liegen, und die erbarmungslose Wucht dieses Epos über Trauma und Erlösung lässt einen nicht mehr los. „Wenn Sie in diesem Frühjahr einen Roman lesen, lesen Sie diesen“, meinte Literaturkritiker Denis Scheck. Den Rat kann man getrost auf den Sommer ausdehnen. (neuf, ORF.at)
Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben. Hanser, 960 Seiten, 28,80 Euro.
Zauberhaft düstere Kurzgeschichten
Der deutsche Schriftsteller Clemens Meyer, der vor knapp zehn Jahren gleich mit seinem ersten Buch „Als wir träumten“ einen Bestseller landete, der später auch verfilmt wurde, zeigt mit seinem neuen Werk, dass er auch auf begrenztem Raum ein Meister der Erzählung ist. „Die stillen Trabanten“ ist eine Sammlung von Kurzgeschichten – jede für sich düster und zauberhaft zugleich. Wenn die Nacht am dunkelsten ist, lässt Meyer die Figuren der neun Erzählungen zum Leben erwachen – und das so intensiv, dass jede der Geschichten einen Eindruck hinterlässt, als hätte man einen 200-Seiten-Roman über sie gelesen. (beer, für ORF.at)
Clemens Mayer: Die stillen Trabanten. Erzählungen. S. Fischer, 272 Seiten, 20,56 Euro.

ORF.at/Lukas Krummholz
T. C. Boyle auf der Spur der „Terranauten“
T. C. Boyle, der Literatur unterrichtende Ex-Punk und Millionenbestseller aus den USA, hat wieder zugeschlagen. Diesmal handelt er in seiner Geschichte ein Experiment ab, das so ähnlich tatsächlich stattgefunden hat. Eine Handvoll Menschen werden in einem Ökotop eingesperrt und versuchen, ohne Kontakt zur Außenwelt zu überleben. Erforscht werden soll so, ob in klimatisierten Glashäusern auf fremden Planeten eine Zukunft der Menschheit vorstellbar ist. Boyle macht daraus eine kurzweilige Reality-TV-Geschichte a la „Big Brother“. Auch im Glashaus wird nackt geduscht. (hadl, ORF.at)
T. C. Boyle: Terranauten. Hanser, 608 Seiten, 26,80 Euro.
Abgründe einer Dorfidylle
Sommer 1984, ein Dorf in der englischen Provinz. Alles beginnt ganz harmlos: mit dem Gefühl der Dorfbewohner, dass jemand in ihrem Haus war, mit Spuren von Schuhen auf der Stiege, Fingerabdrücken auf dem Badezimmerspiegel. Es verschwinden Dinge, woanders tauchen welche auf. Bis schließlich eine von ihnen weg ist: Anna, die harmloseste, unscheinbarste von allen. Die Dorfbewohner beginnen sich zu bewaffnen, sie haben Angst vor dem unsichtbaren Einbrecher, Angst um Anna und immer mehr auch voreinander. Harriet Cummings’ Debüt ist spannend, stilsicher und raffiniert – den Abgründen dieser Dorfidylle entkommt man nicht. (neuf, ORF.at)
Harriet Cummings: Eine von uns. Deuticke, 368 Seiten, 20,60 Euro.
Sprachmelodie eines Opernsängers
Es gibt Künstler, die alles können. Startenor und Publikumsliebling Rolando Villazon ist nicht nur ein herausragender Sänger und Regisseur, er ist ebenso begnadeter Zeichner und – Schriftsteller. So quirlig der Tenor auf der Bühne ist, so lebhaft, animierend und berührend ist auch seine literarische Sprache. Im Mittelpunkt seines beinahe schon poetischen Werks stehen Menschen, denen Kunst und Fantasie wichtiger zu sein scheint als alles andere. Dabei gibt der Sänger auch so einiges von sich selbst preis. (stup, für ORF.at)
Rolando Villazon: Lebenskünstler. Rowohlt, 384 Seiten, 20,60 Euro.
Geschmuggelt aus Nordkorea
Erschütternde Geschichten aus dem Alltag in Nordkorea erzählt der literarische Dissident Bandi, ein entschiedener Gegner des totalitären Regimes. Sein Buch ist die Sammlung von sieben Texten, die in den 90er Jahren geschrieben und erst jetzt unter riskanten Umständen aus dem Land geschmuggelt wurden. Der Autor klagt an und macht keinen Hehl aus seiner Wut auf das Regime. „Denunziation“ ist ein Blick auf das Leid einfacher Nordkoreaner und ein ebenso mutiges wie beeindruckendes Stück Literatur. (neuf, ORF.at)
Bandi: Denunziation. Erzählungen aus Nordkorea. Piper, 224 Seiten, 20,60 Euro
Alles über die Affären der Großstädter
Viktor ist Kulturmanager, Fahrradfahrer, fünffacher Familienvater und ein notorischer Betrüger mit unzähligen Geliebten. Demnächst wird er 50 und muss sich nicht nur mit den ersten Alterswehwechen, sondern auch mit der Angst vor dem Auffliegen seiner amourösen Abenteuer herumschlagen. Doris Knecht erzählt hier die Geschichte eines Antihelden und schildert im bewährten Knecht-Jargon witzig und unbarmherzig, aber nie allzu boshaft, wie schwierig das Beziehungsleben heutzutage sein kann. (ppfo, für ORF.at)
Doris Knecht: Alles über Beziehungen. Rowohlt Berlin, 288 Seiten, 20,60 Euro.
Epos vom Meister des „Was wäre, wenn“
Bücher wie dieses sind für den Strand wie geschaffen: Auf gleich 1.200 Seiten lässt Paul Auster in die Frage nach der Macht des Zufalls eintauchen. Im Zentrum steht die Kindheit und Adoleszenz von Protagonist Archi Ferguson im Amerika der 50er und 60er Jahre, die der New Yorker Starautor intensiv mit der Zeitgeschichte – Kennedy, Studentenrevolte und Bürgerrechtsbewegung – verwebt. Nicht nur einmal, sondern gleich in mehrfacher Variation: Vier mögliche Lebens- und Abenteuergeschichten werden parallel zueinander entwickelt. (ppfo, für ORF.at)
Paul Auster: 4 3 2 1. Rowohlt, 1.264 Seiten, 30,80 Euro.
Trichternetzspinnen in Oberlaa
Migrationsliteratur? Das Label passt sicher nicht im klassischen Sinne: Radek Knapp hat auch diesmal kein problem- oder stereotypbeladenes Drama geschreiben, sondern eine außerordentlich amüsante Geschichte vom Ankommen, Bleiben und Sich-nicht-unterkriegen-Lassen. Mit dem sympathischen wie leichtlebigen Ich-Erzähler Walerian durchlebt man abenteuerliche Schuljahre und erste Gelegenheitsjobs. Ähnlichkeiten mit Knapps eigener Biografie sind nicht zu übersehen – und tiefe Einblicke ins Wiener Leben garantiert. Inklusive Trichternetzspinnen im Gemeindebau. (ppfo, für ORF.at)
Radek Knapp: Der Mann, der Luft zum Frühstück aß. Deuticke, 128 Seiten, 16 Euro.

ORF.at/Lukas Krummholz
Gentech-Abenteuer in Rosarot
Gentechnologie, Obdachlosenmilieu und Zirkusleben, eine Verfolgungsjagd und ein leuchtendes Tier: Ob das gutgehen kann? Ja, weil Martin Suter hier am Werk war – und es von Seite eins weg versteht, die Geschichte mit Tempo, Thrill und Empathie zu erzählen: In der Höhle des Obdachlosen Fritz Schoch steht plötzlich ein rund 30 Zentimeter kleiner rosaroter Elefant, schwenkt den Rüssel und leuchtet wie ein Glühwürmchen. Schuld daran ist ein skrupelloser Forscher, der mit ihm eine Stange Geld verdienen wollte. Fabel-hafte Abenteuergeschichte des Bestsellerautors, mit klarer Gut-Böse-Rollenverteilung, die aber ganz stimmig ist. (ppfo, für ORF.at)
Martin Suter: Elefant. Diogenes, 352 Seiten, 24,70 Euro.
Vom Dorf in die Stadt
Katie erfüllt sich ihren Traum: Sie zieht nach London und findet sogleich einen neuen Job. Einziger Abstrich: Mit einer Tyrannin als Chefin hat sie nicht gerechnet. Damit der Aufregung nicht genug, verliebt sich Katie ausgerechnet in Alex, den Geliebten der verheirateten Chefin. Die britische Autorin Sophie Kinsella, bekannt für die Shopaholic-Reihe, schafft es erneut, mehr oder weniger komplizierte Alltagsprobleme sensibel, leicht und unbeschwert zu behandeln. Eine kurzweilige Strandlektüre. (stup, für ORF.at)
Sophie Kinsella: Frag nicht nach Sonnenschein. Goldmann, 544 Seiten, 10,30 Euro.
Über Männer, Frauen und Cowboys
Die US-Schriftstellerin und Filmemacherin Chris Kraus hat „I love Dick“ bereits 1997 veröffentlicht und damit laut britischem „Guardian“ das „wichtigste Buch des 20. Jahrhunderts über Männer und Frauen“ geschrieben. Jetzt ist der Roman auf Deutsch erschienen und findet mühelos den Übergang ins neue Jahrtausend. Die Dreiecksgeschichte, die die Grenzen zwischen Fiktion, Essay und Tagebuch aufhebt, dreht sich um den akademischen Cowboy Dick, der von einer gewissen Chris peinlich-offensiv verehrt wird, während deren Ehemann, der Geisteswissenschaftler Sylvere, dabei zusieht. Lesevergnügen garantiert. (neuf, ORF.at)
Chris Kraus: I love Dick. Matthes & Seitz, 296 Seiten, 22,70 Euro.
Mit Schostakowitsch in der Falle
In „Der Lärm der Zeit“ erzählt Julian Barnes vom Leben des russischen Komponisten Dimitri Schostakowitsch. Mit präziser sprachlicher Musikalität zeichnet Barnes nach, wie der Künstler durch die Restriktionen des Sowjet-Regimes langsam verkümmert. Man sitzt förmlich mit Schostakowitsch in der Falle, aus der er sich bis ganz zum Schluss nicht befreien kann. Seine Bilder, allen voran das des Komponisten, der im Stiegenhaus mit gepacktem Koffer in der Hand auf seine Verhaftung wartet, gehen zu Herzen. (gril, ORF.at)
Julian Barnes: Der Lärm der Zeit. Kiepenheuer & Witsch, 256 Seiten, 20,60 Euro.
Turbulente Dystopie mit „Prostibots“
Eine Zukunft, nicht fern vom Jetzt: Stan und Charmaine müssen in den verarmten USA in ihrem Auto leben. Banden bedrohen ihr Leben, Arbeit gibt es kaum. Da scheint ein Angebot verlockend: Ein trautes Heim und Sicherheit winken - dafür muss man jeden zweiten Monat in Haft. Doch das ist nicht alles ... Margaret Atwood, Großmeisterin der realistisch-bizarren Dystopie („Der Report der Magd“), spricht auch in „Das Herz kommt zuletzt“ harte Themen an. Doch trotz unfreiwilliger Sterbehilfe, Organhandels und „Prostibots“ kommt der Roman turbulent und sogar witzig daher. (gril, ORF.at)
Margaret Atwood: Das Herz kommt zuletzt. Berlin Verlag, 400 Seiten, 22,70 Euro.
Die Wälder, der Mensch und die Gier
Über drei Jahrhunderte hinweg erzählt „Aus hartem Holz“ die Geschichte zweier Familien in Nordamerika, der franko-indianischen Sels und der reichen Holzhändlerfamilie Duke. Neben der Schilderung menschlicher Schicksale vom Waldläufer des 17. Jahrhunderts bis zur Ökoaktivistin der Gegenwart macht Annie Proulx auch bewusst, dass die Ausbeutung der Umwelt keine Erfindung unserer Zeit ist. Die schier unendlichen Wälder Nordamerikas und deren Verschwinden sind ebenso Thema wie menschliche Leidenschaften und Schwächen, allen voran Habgier, Ehrgeiz und Resignation. (gril, ORF.at)
Annie Proulx: Aus hartem Holz. Luchterhand, 896 Seiten, 26,80 Euro.
Diktatur und Colonia Dignidad
Nona Fernandez’ großer Roman rollt die Geschichte der Colonia Dignidad in Chile auf. Auf der Suche nach ihrer Jugendliebe Juan taucht Greta in Santiago de Chile ein in das kollektiv verdrängte Grauen von Militärdiktatur, ungesühnten Sexualstraftaten und verschleppten Jugendlichen. Wurde Juan entführt? Wurde er ermordet? Oder war es Selbstmord? Fernandez ist eine der starken Stimmen Lateinamerikas, deren Verbreitung sich der Wiener Verlag Septime mit Verve und Intelligenz widmet. Befreiung durch Literatur. (höch, für ORF.at)
Nona Fernandez: Die Straße zum 10. Juli. Septime, 336 Seiten, 22,90 Euro.
Die Ambivalenz in Person
Emmanuel Carrere vermengt Details aus seinem künstlerischen Werdegang, seiner Familiengeschichte und seinem Privatleben und schafft daraus eine virtuose Mischung aus Roman, Reportage, Essay und Autobiografie. Die Offenheit und Ambivalenz des Hauptcharakters Carrere lassen Leserinnen und Leser schwanken – zwischen Mitfühlen und Kopfschütteln, zwischen Abscheu und Sympathie –, aber ganz sicher lassen sie sie nicht kalt. In der Neuübersetzung von Claudia Hamm kommt das noch einmal deutlicher heraus. (winr, für ORF.at)
Emmanuel Carrere: Ein russischer Roman. Matthes & Seitz, 282 Seiten, 22,70 Euro.
Blumige Sommerlektüre
„Hummeln im Herzen“ und „Glück ist, wenn man trotzdem liebt“ – Petra Hülsmann feiert Erfolge mit ihren Liebesromanen. Blumig geht es auch im neuen Werk der Hamburger Autorin zu. Auch hier ist die Handlung vorhersehbar und tut vielleicht deshalb einfach gut. Die Geschichte um Protagonistin Marie hat dabei durchaus traurige und dramatische Momente und bleibt dennoch positiv, unterhaltsam und erbauend. Eine leichte Sommerlektüre, die wochenlang auf Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste war. (stup, für ORF.at)
Petra Hülsmann: Das Leben fällt, wohin es will. Bastei Lübbe, 511 Seiten, 10,30 Euro.
Unterwegs mit Goethe
Adolf Muschg nimmt Goethes zweite Schweizer Reise 1779 zum Ausgangspunkt für „Der weiße Freitag“. Die Erzählung mischt literarische Spielereien mit autobiografischen Elementen, springt zeitlich vor und zurück und wird schließlich doch eins mit sich. Am titelgebenden Freitag, dem 12. November 1779, überquerte Goethe den Furka-Pass, immerhin 2.429 Höhenmeter – ein Ereignis, das Muschg inspirierte, um den Dichter gedanklich auf die neunstündige Wanderung mit all ihren Gefahren zu begleiten. (haus, für ORF.at)
Adolf Muschg: Der weiße Freitag. C. H. Beck, 251 Seiten, 23,60 Euro.
Vom Burgenland nach „Chikago“
Anfang der 1920er Jahre machen sich die Schwestern Katica, Anica und Ferenc gemeinsam auf den Weg vom Burgenland nach Chicago. Am anderen Ende der beschwerlichen Reise wartet der Traum von Freiheit, Geld und einer besseren Zukunft. Doch ihre Blauäugigkeit wird den Auswanderern schneller zum Verhängnis als befürchtet, und der „American Dream“ rückt in weite Ferne. „Chikago“ ist in charmantem österreichischen Deutsch verfasst und stellt erneut das Schreibtalent der 1990 geborenen Theodora Bauer unter Beweis. (haus, für ORF.at)
Theodora Bauer: Chikago. Picus, 250 Seiten, 22 Euro.

ORF.at/Lukas Krummholz
Geschichte einer Realität
Österreich Anfang der 30er Jahre, gezeichnet von der Wirtschaftskrise: Marta Karlweis gibt in ihrem letzten Roman Einblicke in das Leben einer exemplarischen Familie des Kleinbürgertums. Trotz einiger Überzeichnungen und eines gewissen Maßes an Ironie präsentiert Karlweis mit ihrem erstmals 1931 erschienenen Roman ein realistisches Bild der damaligen Zeit. Ihre Charaktere sind voll absurder Komik und durchtriebener Bosheit, zusammen lassen sie eine Geschichte von größtem Unterhaltungswert entstehen. (haus, für ORF.at)
Marta Karlweis: Schwindel. DVB, 240 Seiten, 22 Euro.
Literarische Schätze
Bisher unveröffentlichte Erzählungen, Filmexposees und ein Fragment von F. Scott Fitzgerald wurden entstaubt. Sie entstanden zwischen 1920 und 1940, zu einer Zeit, als der Schriftsteller von Alkoholsucht, Ehe- und Geldsorgen geplagt wurde. Fitzgerald zeigt sich dabei von einer ungewohnten Seite und lässt sich von Redakteuren, die Glamour- und Partythemen vermissen, nicht verbiegen. Die Schatztruhe wartet nun darauf, geöffnet zu werden. (stup, für ORF.at)
F. Scott Fitzgerald: Für dich würde ich sterben. Hoffmann und Campe, 496 Seiten, 25,70 Euro.
Menschen sind keine Kuscheltiere
Zwar stellt Eva Menasse ihren neuen Erzählungen in dem Band „Tiere für Fortgeschrittene“ jeweils ein tierisches Vorbild voran, doch geht es um Menschen. Von den Fallstricken der modernen Patchwork-Familie etwa erzählt „Schmetterling, Biene, Krokodil“, worin eine Frau die Kleidung ihrer Stiefkinder vorsichtshalber fotografisch dokumentiert. „Raupen“ hat Pflege, Alter und Demenz zum Thema, in „Haie“ seziert Menasse die Scheinwelt angeblich linksliberaler Bobo-Eltern, die dann doch das muslimische „Problemkind“ aus der Schule mobben. Glänzend! (gril, ORF.at)
Eva Menasse: Tiere für Fortgeschrittene. Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, 20,60 Euro.
Schmuckstück der Weltliteratur als Graphic Novel
Kann H. G. Wells’ „Der Krieg der Welten“ Leser nach über 100 Jahren noch fesseln? Ja, vor allem wenn er als großartig illustrierte, eng an den Roman angelehnte Graphic Novel daherkommt. Die Geschichte spielt im viktorianischen England, das von dreibeinigen Kampfmaschinen vom Mars angegriffen wird. „Der Krieg der Welten“ ist grafischer Hochgenuss gepaart mit Satire - ein böser Seitenhieb auf die Kolonialpolitik des britischen Weltreichs. (neuf, ORF.at)
H. G. Wells, Thilo Krapp: Der Krieg der Welten. Egmont Graphic Novel, 144 Seiten, 28,80 Euro.
Franzobels Schiffbrüchige
Über Franzobel muss man nicht viel sagen: Sein lakonischer, niemals jedoch zynischer Stil; sein Blick auf die Welt (und alles Abseitige in ihr), der in die Tiefe geht und dennoch ein Augenzwinkern andeutet: All das findet sich auch in „Das Floß der Medusa“, der atemberaubenden (und im Kern wahren) Geschichte einer Handvoll Schiffbrüchiger im frühen 19. Jahrhundert. Das Buch ist zugleich Abenteuerroman und eine Parabel auf die Untiefen des Menschseins. (hadl, ORF.at)
Franzobel: Das Floß der Medusa. Zsolnay, 592 Seiten, 26,80 Euro.
Vor der kubanischen Revolution
Vor zwei Jahren hat Rachel Kushner mit „Flammenwerfer“ einen Weltbestseller gelandet. Weniger bekannt ist ihr 2008 erschienenes Erstlingswerk. In dem nun auf Deutsch vorliegenden Roman „Telex aus Kuba“ erzählt die US-Autorin Geschichten von amerikanischen Plantagenbesitzern, Showgirls und Agenten vor dem Hintergrund der kubanischen Revolution in den 1950er Jahren. Kushner gelingt es, das Leben und den Zeitgeist der amerikanischen Bewohner Kubas vor der Revolution detailgetreu einzufangen. (szar, für ORF.at)
Rachel Kushner: Telex aus Kuba. Rowohlt, 464 Seiten, 19,95 Euro.
Zuversicht in der Trauer
Alles geht gut: Da ist das braune Schaf Bruno, das kein Braten werden darf, der Fischer McKay, der viermal vom Blitz getroffen wird, ein Papa, dem die Zehen abhandenkommen - manchmal gibt es Streit, aber meistens ist alles ganz normal. Bis Saara und ihr Vater eines Tages vom Reifenwechseln nach Hause kommen und Mama tot ist. Warum, warum, warum? Aus mehreren Perspektiven und in feingesponnenen Worten stellt Selja Ahava in ihrem neuen Roman die Frage aller Fragen. Tieftraurig und höchst zuversichtlich zugleich. (behr, für ORF.at)
Selja Ahava: Dinge, die vom Himmel fallen. Mare, 203 Seiten, 20,60 Euro.
Vom Leben im Wirt
Zwischen Fakten und Fiktion, Text und Zeichnungen bewegt sich die österreichische Autorin Brigitta Falkner in „Strategien der Wirtsfindung“. Mit neugierigem Blick werden Parasiten wie etwa Milben, Raupen und anderes Kleinstgetier und auch fleischfressende Pflanzen in ihrem teils zerstörerischen Verhalten und ausgeklügelten Versteckspiel gegenüber ihren oftmals ahnungslosen Wirten analysiert. An eine Graphic Novel erinnernd nutzt Falkner auch die Kraft ihrer Illustrationen, um den Leser ebenjene „Strategien der Wirtsfindung“ sinnlich erleben zu lassen. (baue, ORF.at)
Brigitta Falkner: Strategien der Wirtsfindung. Matthes & Seitz, 204 Seiten, 39,10 Euro.
Stavarics Doppelpack
Michael Stavaric ist einer der begabtesten, wenn nicht der begabteste Sprachspieler in Österreich. Wie ein Boxer tänzelt er leichtfüßig dahin, um dann aus der Deckung einen Uppercut nach dem anderen zu landen. Diesmal ist es eine Links-rechts-Kombination, weil gleich zwei neue Bücher von ihm erschienen sind: „Gotland“, ein wuchtiger Roman über einen Mann, der sich nach dem Tod der streng katholischen, übermächtigen Mutter auf die Suche nach Gott macht, und „in an schwoazzn kittl gwicklt“ (in Anspielung auf H. C. Artmann), eine zweisprachige, humorvolle Gedichtsammlung in Wienerisch und Hochdeutsch. (hadl, ORF.at)
Michael Stavaric: In an schwoazzn kittl gwicklt. Czernin, 112 Seiten, 17 Euro.
Michael Stavaric: Gotland. Luchterhand, 352 Seiten, 20,60 Euro.
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