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Militär mit „Freibrief zu kämpfen“

Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hat erstmals seit der eskalierenden Gewalt gegen die muslimischen Rohingya in Myanmar zu den Vorwürfen gegen ihre Regierung Stellung genommen - und sich verteidigt: „Ich bin nur eine Politikerin. Ich bin nicht so wie Margaret Thatcher. Aber ich bin auch keine Mutter Teresa“, sagte sie gegenüber der britischen BBC.

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In dem Interview wehrte sie sich am Donnerstag gegen internationale Kritik, für Gewalt gegen die muslimische Minderheit in der Provinz Rakhine mitverantwortlich zu sein. „Ich glaube nicht, dass es sich dort um ethnische Säuberungen handelt. Ethnische Säuberung ist ein zu hartes Wort, um zu beschreiben, was dort passiert.“ Der UNO-Menschenrechtsrat hatte zuletzt die Entsendung einer Untersuchungskommission in die Region beschlossen.

Eine Region, die „Schwierigkeiten“ macht

Als Staatsrätin ist Suu Kyi seit einem Jahr praktisch die Regierungschefin des südostasiatischen Landes. Die etwa eine Million Rohingya werden in Myanmar schon seit Jahrzehnten unterdrückt. In den vergangenen Monaten hat das Militär seine Gangart aber nochmals verschärft. Mehr als 70.000 Rohingya sind inzwischen ins Nachbarland Bangladesch geflohen. Laut unbestätigten Berichten gab es auch mehr als 1.000 Tote.

Karte zeigt Rakhina Küstengebiet in Myanmar

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: bbc.com

Suu Kyi äußerte sich nach längerem Schweigen zum ersten Mal wieder in einem Interview mit einem ausländischen Sender. Einen Anlass dafür sah sie ihren eigenen Worten nach nicht: Sie sage immer dasselbe, seit 2013 Rakhine von Neuem „Schwierigkeiten“ mache. Das sei jedoch nicht gehört worden, „weil ich nicht jene Äußerungen getätigt habe, die die Leute hören wollten, nämlich die eine oder andere Gruppe zu verdammen“.

„Zwei Seiten einer Bruchlinie“

Dass die Gewalt gegen die Rohingya, denen sogar die myanmarische Staatsbürgerschaft verwehrt ist, staatlich gesteuert werde, wies Suu Kyi zurück: „Ich glaube, es gibt dort viel Feindseligkeit - es geht auch um Muslime, die Muslime töten, wenn sie glauben, dass sie mit den Behörden kooperieren.“ Es gehe „nicht nur um ethnische Säuberungen, wie Sie das nennen. Es geht um Gruppen auf zwei Seiten einer Bruchlinie.“

Ex-Militärgefangene überlässt Militär das Feld

Suu Kyi war unter der Militärregierung insgesamt 15 Jahre in Hausarrest gewesen. 1991 bekam sie den Friedensnobelpreis und wurde vor allem im Westen zu einer Ikone gewaltfreien Widerstands. Nach dem Wahlsieg ihrer Nationalen Liga für Demokratie (NLD) ist sie seit April 2016 de facto Regierungschefin und zudem Außenministerin. Das Militär hat aber mehrere wichtige Ministerien behalten, womit Suu Kyi offenbar leben kann.

Das Vorgehen des Militärs in Rakhine sieht Suu Kyi nicht in ihrer Verantwortung: Zwar hätten die Soldaten „keinen Freibrief zu vergewaltigen, zu plündern und zu foltern“, aber „einen Freibrief hineinzugehen und zu kämpfen. Das steht in der Verfassung. Militärische Angelegenheiten sind der Armee zu überlassen.“ Suu Kyis Vater Aung San führte das Land mit seiner zuerst rechts-, dann linksgerichteten nationalistischen Burma Independence Army (BIA) in den 1940er Jahren in die Unabhängigkeit.

Geduld der UNO zu Ende

Anfang Februar war die UNO nach längerem Zögern auf eine harte Linie gegenüber Myanmar eingeschwenkt. Schilderungen aus der abgeriegelten Unruheregion Rakhine ließen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vermuten, wurde dabei in einem Bericht betont. Massenvergewaltigungen, Prügel und Tötungen, auch von kleinen Kindern und Babys, durch die Sicherheitskräfte Myanmars seien seit Oktober an der Tagesordnung. Zahlreiche Menschen seien verschwunden.

„Verheerende Grausamkeit“

Der Bericht stützt sich auf mehr als 200 UNO-Interviews mit Überlebenden in Bangladesch. Seit Ausbruch der Unruhen im Oktober flohen Zehntausende Rohingya dorthin. Besonders erschütternd waren die Schilderungen über getötete Kinder: So sei ein acht Monate altes Baby mit einem Messer getötet worden, weil es zu schreien begann, als die Mutter von Sicherheitsbeamten vergewaltigt wurde. Ein fünf Jahre altes Mädchen habe ein ähnliches Schicksal erfahren.

„Die verheerende Grausamkeit, der die Rohingya-Kinder ausgesetzt waren, ist unerträglich“, sagte UNO-Menschenrechtskommissar Said Raad al-Hussein. Die jüngste Welle der Gewalt sei beispiellos. Polizisten und Soldaten hätten auch Hunderte Häuser der Rohingya in Brand gesetzt. Oftmals seien die Bewohner zuvor darin eingesperrt worden, um sie zu töten. Unabhängige Berichte aus Rakhine selbst gibt es nicht. Die Region ist seit Oktober von der Armee abgeriegelt.

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