Fadenscheinige Kündigung als Zündfunke
Aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen im Textilsektor ist es im Billiglohnland Myanmar zu Protesten gekommen. Die Gewerkschaften verlangten von der Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung Sang Suu Kyi Anfang März eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns von 3.600 Kyat (etwa 2,50 Euro) auf 5.600 Kyat (etwa 3,86 Euro) - pro Tag. In mehreren Fabriken kam es zu Ausschreitungen.
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Der Zorn der überwiegend weiblichen Arbeitskräfte in den Fabriken, die hauptsächlich Ware für europäische Modeketten und Labels fertigen, schwoll von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt an. Die Fabriken konzentrieren sich auf einen Industriecluster am Rand von Rangun. Er war aus dem allgemeinen Bewusstsein ausgeblendet - bis im Februar in einer Fabrik, die exklusiv für die schwedische Marke H&M produziert, die Revolte ausbrach.
Geld für Überstunden einfach nicht bezahlt
Die Firma gehört wie viele andere der chinesischen Firma Hundred-Tex, die die Arbeit dorthin ausgelagert hat, da ihr die Löhne im eigenen Land ohnehin zu hoch sind - aber auch vormals starke Produktionsländer wie Vietnam und Kambodscha mit Monatslöhnen zwischen 85 und 145 Euro pro Monat (Sechstagewoche) inzwischen zu „teuer“ im Vergleich zu den durchschnittlich 60 Euro in Myanmar.

AP/Gemunu Amarasinghe
Textilfabrik in den Außenbezirken der Metropole Rangun
Der Konflikt in der Fabrik entzündete sich an ausständigen Zahlungen für Überstunden, die über 14 Stunden Tagesarbeitszeit sechs Tage die Woche hinausgingen. Dabei ging es um umgerechnet rund 59.000 Euro bzw. etwa einen Wochenlohn pro Betroffenen. Niemand bestritt die Forderung, bezahlt wurde sie mit Billigung der Behörden nie. Als schließlich jener Gewerkschaftsvertreter, der auf die Bezahlung drängte, wegen „unerlaubten Fernbleibens vom Arbeitsplatz“ gekündigt wurde, hatte die Belegschaft genug.
H&M verurteilt „jede Form von Gewalt“
Nach der Kündigung kam es in mehreren Fabriken in der Umgebung der ehemaligen Hauptstadt Rangun zu Protesten. In einer Fabrik schlugen Arbeiter im Zorn über Entlassungen und ausbleibende Gehälter Maschinen, Fahrzeuge und Überwachungskameras kaputt. Bereits zuvor war ein chinesischer Fabriksmanager von einer Menge wütender Arbeiter bedrängt und geprügelt worden. Die Produktion in der Fabrik stand mehrere Wochen lang still.
Für H&M ist der Fall brisanter als andere. Sonst argumentieren westliche Konzerne oft, dass man selbst ja gerne für bessere Arbeitsbedingungen in den Fabriken sorgen würde, diese aber an jedem Tag für einen anderen Konzern fertigen und man deshalb alleine keine Mindestlohnregelung durchsetzen könne. Die betroffene Fabrik arbeitet jedoch exklusiv für H&M. Der Konzern sagte zu den Vorfällen, man beobachte die Lage, stehe im Dialog mit allen Beteiligten, verurteile aber „jede Form von Gewalt“.
Firma fordert Schadenersatz von Staat
Für China waren die Vorfälle sogar ein Grund, um offiziell einzuschreiten. Diplomaten forderten, die Verantwortlichen des „Angriffs“ müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Hundred-Tex will nach eigenen Angaben vom Staat Myanmar Ersatz für angeblich versursachte Schäden im Ausmaß von umgerechnet 71.000 Euro. Myanmar hielt sich bedeckt. Offenbar aus Sorge vor einer Eskalation gab es etwa nach den Vorfällen keine einzige Verhaftung.
Wirtschaftlicher Holzweg?
Myanmars Bekleidungsindustrie wird das Geschäftsjahr 2016/17, das im März endete, mit einem Rekord beenden. Das Handelsministerium erwartete vor der Bekanntgabe offizieller Zahlen Exporte von mehr als 1,8 Milliarden Dollar (etwa 1,7 Mrd. Euro), ein Großteil davon nach Europa. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das ein Plus von mehr als 85 Prozent. Rund 400.000 Menschen arbeiten in den etwa 400 Textilfabriken des Landes.
Suu Kyis Regierung setzt bewusst auf die Billiglöhne, um das Land wirtschaftlich auf Touren zu bringen. Kritiker sehen darin aber einen Holzweg: Die gesamte Wertschöpfung behalten sich andere vor, containerweise werden die Teile - von den Stoffen bis zum Reißverschluss und kleinsten Knopf - nach Myanmar geliefert, wo allein die billige Arbeitszeit der Näherinnen zählt, um die Kleidung schließlich zum Diskontpreis in Europa an Kundinnen und Kunden bringen zu können.
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