Themenüberblick

Im Hinterzimmer Österreichs

Was hat Männer wie Frauen, Industrielle und Adel oder gar miteinander verfeindete Künstler ins Sacher gelockt? Patronin Anna Sacher vereinigte unterschiedlichste Gruppen einer Gesellschaft, die damals alles schuf, was heute unser Leben ausmacht: Konsumkultur und Tourismus, Frauenemanzipation und das Aufbrechen sexueller Regeln, modernes Marketing, Klatschpresse, neue Technologien und die Globalisierung der Märkte.

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Ein hervorragendes Restaurant, mit einem Ambiente, das den Besuchern Klasse verleiht, und Anna Sachers Spezialgebiet - das Zurückhalten und gleichzeitige Verbreiten von Geheimnissen - machten das Hotel Sacher zwischen den 1890er Jahren bis in die 1920er Jahre zu einem der attraktivsten Orte in Wien. Hier musste man gesehen werden. Hier gab es die besten geschäftlichen Tipps. Hier traf man die amüsantesten und reichsten Männer, die modernsten und elegantesten Frauen.

Vertiefung mit Doku

„Die Königin von Wien - Anna Sacher und ihr Hotel“: Die Dokumentation bietet nicht nur Hintergrund und Vertiefung zum Spielfilmzweiteiler, sie ist auch für sich selbst packend und abwechslungsreich gestaltet.

TV-Hinweis

Das ORF/ZDF-Historiendrama „Das Sacher“ läuft in zwei Teilen am 27. und 28. Dezember jeweils um 20.15 Uhr in ORF2. Anschließend an Teil eins räumt der von Beate Thalberg gestaltete ORF/ARTE-Dokumentarfilm „Die Königin von Wien – Anna Sacher und ihr Hotel“ um 22.00 Uhr mit manchen Klischees auf.

Gustav Klimt, der teuerste und umstrittenste Maler seiner Zeit, schreibt an seine Geliebte Emilie Flöge am 5. März 1909: „Gestern Abschiedssouper Bloch bei Sacher - dann Cabaret Fledermaus, halb 2 zu Hause.“ Ein pikanter Kurzbrief an die Modeschöpferin und das It-Girl der Jahrhundertwende, wird Klimt doch zur gleichen Zeit ein Verhältnis mit Adele Bloch-Bauer nachgesagt. Im Jahr 1903 erhält Gustav Klimt von Ferdinand Bloch-Bauer den Auftrag, ein Porträt seiner Frau anzufertigen. Die „Goldene Adele“ wird zu einer Ikone des Jugendstils.

Bilginc Duvarci vor der Silberputzkammer im Hotel Sacher

Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH

Anachronismus oder Tradition? Der Silberputzer des Sacher

Die doppelmoralische Monarchie

Was in der doppelmoralischen Monarchie in den Separees des Hotel Sacher tatsächlich los war, wurde vor allem in der Ringstraßen-Gesellschaft und bei Hofe heftig diskutiert. Manchmal wurde einfach nur Frieden geschlossen, nach diplomatischen Lösungen gesucht, große Politik gemacht. Außenminister Ottokar Czernin verhandelte besonders komplizierte Fälle gern im Sacher, Bertha von Suttner empfing dort den amerikanischen Erfolgsschriftsteller Mark Twain. Und manches amouröse Abenteuer führte zu Ehen, Scheidungen oder einfach zu einem - auf gut Wienerisch - Pantscherl.

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Mehr als nur ein Hotel

Das Sacher war - und ist - mehr als „nur“ ein Hotel. Der aktuelle TV-Zweiteiler mit Ursula Strauss und Robert Palfrader von Regisseur Robert Dornhelm belegt das eindrucksvoll.

Anna Sacher schaffte es, dass nahezu alle ihre, zum Teil selbst berühmten, Lieferanten wie Bierkönig Carl Dreher und die Schaumweinmagnaten Schlumberger auch ihre Stammgäste waren. Führende Industrielle wie Stahlbaron Karl Wittgenstein und die reichste Familie Europas, die Rothschilds, und auch besonders viele Banker gingen in ihrem Haus ein und aus.

Szene aus dem Film "Das Sacher"

APA/Herbert Pfarrhofer

Die Hotelfamilie in der ORF-Version, mit Ursula Strauss als Anna Sacher (M.)

Vom Netzwerk vor dem Ruin gerettet

Als Anna Sacher wie viele Unternehmer wegen der Einführung drastischer Luxussteuern Ende der 1920er Jahre auf den Konkurs zusteuerte, retteten diese Beziehungen sie davor, noch zu Lebzeiten den Offenbarungseid leisten zu müssen.

Screenshot des interaktiven Rundgangs durch das Hotel Sacher

picturedesk.com/Interfoto/Sammlung Rauch

Die echte Anna Sacher

Niemand wagte es, ihren Ruin durch Zahlungsmahnungen provoziert zu haben. So löste man es wienerisch: Man ging weiter ins Sacher, zur Frau Anna, die längst pleite war, und machte Geschäfte, besetzte Theaterrollen, verhandelte einen politischen Posten - oder aß ein Paar Würstel und ein Stück Sachertorte, weil Mauscheleien hungrig machen.

Den Nimbus eines geheimnisvollen Ortes, einer Bühne für jedes Anliegen hat das Sacher bis heute nicht verloren. Von Monarchinnen wie Gracia Patricia bis Popstars wie Justin Bieber wurde und wird es gern besucht. John Lennon und Yoko Ono gingen mit Andre Heller 1969 ins Sacher, machten in der Suite Nr. 101 ein „Bag in“, packten sich also in ein Leintuch ein, und warben dort vor der versammelten Presse für den Weltfrieden, persönliche Freiheit und lange Haare.

Beate Thalberg, für ORF.at

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