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Was die Grande Dame antrieb

Anna Sacher war eine für ihre Zeit höchst ungewöhnliche Frau: Unternehmerin, Millionärin, Wissensträgerin. Der Schlüssel zu ihrer Persönlichkeit findet sich in ihrer Kindheit. Die aus vermeintlich kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Fleischhauertochter wuchs tatsächlich in einer wohlhabenden, modernen Patchwork-Familie auf. Früh kam sie mit Kunst, Kultur und einem unerschütterlichen Unternehmergeist in Berührung.

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Am 2. Jänner 1859 wird Anna Maria Fuchs in der Rotensterngasse 13 im 2. Wiener Gemeindebezirk geboren. Ihr Vater ist tatsächlich Fleischhauer, allerdings besitzt er mehrere Geschäfte und Zinshäuser. Vater und Mutter stammen aus Gastwirte- und Weinbauernfamilien, die seit dem 17. Jahrhundert Geschäfte betreiben. Auch die heutige Familie Wieninger mit ihrem bekannten Weingut zählt zur Verwandtschaft.

Die Jung-Schauspielerin Lilly Grad als Anna Sacher

Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH

Die Jungschauspielerin Lilly Grad (neun Jahre) verkörpert Anna Sacher als Kind

Als Anna Sacher in der Wiener Leopoldstadt geboren wird, ist dieser Stadtbezirk der Brückenkopf der großen Einwanderungswelle osteuropäischer Juden nach Wien. Hier kommen sie alle an: der spätere Wegbereiter des Staates Israel, Theodor Herzl, und Sigmund Freud; der Begründer der österreichischen Sozialdemokratie, Victor Adler, und der Vater von Arthur Schnitzler. 50 Jahre später wird sich Anna Sacher einen erbitterten, persönlichen Kampf mit dem antisemitischen Wiener Bürgermeister Karl Lueger liefern, der ihre jüdischen Gäste immer wieder öffentlich verunglimpft.

Pionier- und Unternehmergeist

Anna ist kaum fünf Jahre alt, da stirbt ihr Vater. Ein Jahr später ist ihre Mutter mit dem Fabrikbesitzer Anton Perl verheiratet. Dieser Stiefvater gehört zu genau jenen Aufsteigern in den Wirtschaftswunderjahren der Habsburger Monarchie, die später zu Anna Sachers Stammkunden werden. Der Glaube an den Fortschritt und ihre eigenen unbegrenzten Möglichkeiten ist diesen Männern nicht zu nehmen.

Auch Anna Sacher wagte als Hotelierin immer wieder Neues und war innovativ: Von Künstlern gestaltete Menükarten wurden noch zu ihren Lebzeiten zum Sammlerstück, im Sacher gab es den ersten Eiskasten in der Wiener Hotellerie, auf dem Dach legte sie einen Garten für exotische Früchte an, die noch überhaupt nicht in Wien zu bekommen waren. In den feinen Speisen verarbeitet, wurden sie zum Stadtgespräch.

Eingangsbereich des Hotel Sacher

Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH

1892 übernahm Anna Sacher das Hotel und machte es zu einem der wichtigsten Orte für die Wiener Ringstraßen-Gesellschaft

Die Liebe zu den „anderen Menschen“

Für die Künstlerinnen und Künstler, die bei ihr ein- und ausgingen, hatte die Patronin ein besonderes Herz. Schon als Jugendliche liebte sie diese „anderen Menschen“, die ihr Bruder Johann, ein an der Akademie ausgebildeter Bildhauer und Maler, mit ins Haus brachte. Bruder Alois war Direktor und Besitzer des Theaters in der Josefstadt, außerdem Romancier und Dramatiker.

„Anna Fuchs, persönlich eine Schönheit, war eine unermüdlich fleißige Frau mit einer überragenden kommerziellen Begabung, nicht nur Herrscherin in ihrem Etablissement, sondern auch Grande Dame, die Französisch und Englisch sprach wie Hochdeutsch oder Wienerisch. (...) Viele Geschichten wurden ihr angedichtet, die wenigsten entsprechen den Tatsachen“, schreibt ihr Neffe Hans Fuchs 1967 in der Zeitschrift „Der Adler“.

Beate Thalberg, für ORF.at

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