Symbol für Dekadenz
Manchmal schafft es ein Modetrend einfach nicht, sich durchzusetzen. Wie der Pyjama beispielsweise. Der Zweiteiler machte bereits in den 1920er Jahren mit Coco Chanel Furore und wird seither immer wieder aus der Schublade geholt. Manche Designer glauben weiter fest daran, das Kleidungsstück, das hauptsächlich zum Schlafen getragen wird, zum It-Teil machen zu können.
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Jogginghosen, Turnschuhe und multifunktionale Shirts zum Schwitzen dürfen schon seit einigen Saisonen außerhalb des Fitnessstudios getragen werden, sagen die Modeexperten. Athleisure brachte sportliche Gebrauchskleidung auf die Laufstege, und bald darauf wurden komfortable Anziehsachen auf der Straße nicht nur gesellschaftsfähig, sie wurden zum Symbol eines gesunden und körperbewussten Lifestyles.
Der Bequemlichkeit scheinen jedoch keine Grenzen gesetzt zu sein, den Herbst- und Winterkollektionen der Designer Valentino, Dolce & Gabbana und Fendi nach zu urteilen, geht es sogar noch ein wenig gemütlicher. Der Pyjama wurde heuer (wieder einmal) zweckentfremdet, und ihm wird Trendpotenzial zugeschrieben. Simone Marchetti, Moderedakteur bei der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“, meinte bereits zu Beginn dieses Jahres, der Schlafanzug werde „das neue Schwarz“.
Coco Chanel machte es vor
Den Pyjama außerhalb des Schlafzimmers auszuführen ist nichts allzu Neues. Moderevolutionärin und Designerin Coco Chanel trug ihren „Beach Pajama“ („Strandpyjama“) bereits in den 1920er Jahren. Vor allem Marc Jacobs und Dolce & Gabbana gaben sich viel Mühe, endgültig durchzusetzen, was Chanel einst ins Leben gerufen hatte.
Anfang des Jahres deklarierten Designer wie Alexander Wang und Gucci den Damennachtanzug zu einem straßentauglichen Luxusobjekt. Seither scheinen sich Modebloggerinnen und bekannte Persönlichkeiten wie Heidi Klum, Rihanna und Selina Gomez auch tatsächlich ein wenig mit dem Pyjama – als Ganzkörperoutfit oder zumindest als Oberteil – angefreundet zu haben.
Modeindustrie gibt nicht auf
Immer wieder versuchte die Modeindustrie, dem Schlafanzug ein neues Image zu verpassen. Erste Gehversuche in diese Richtung machte Calvin Klein 1994. Weniger mit einem zweiteiligen Pyjama, als vielmehr mit einem seidig fließenden Nachthemd. 1995 brachte Dolce & Gabbana seine Frühlings- und Sommerkollektionen unter dem Titel „Pyjama-Party“ auf den Laufsteg. Danach wieder im Frühjahr 2009. Marc Jacobs setzte bereits vor drei Jahren das Statement, dass der Pyjama nun alltagstauglich sei - und trat nach seiner Damenherbstmodenschau 2013 selbst in einem kupferfarbenen Zweiteiler auf den Laufsteg.
Immer bereit zum Power-Napping
Auch Louis Vuitton erhob in der Herbstkollektion 2013 fließende Nachthemden und geblümte Nachtanzüge zum Must-have. Bisher alles für die Frau. Heuer sollen sich nun auch die Männer so auf der Straße zeigen, wie sie sich betten.
Neben Dolce & Gabbana sind unter anderem auch Fendi, Kenzo, Valentino, Gucci und Tommy Hilfiger davon überzeugt, dass der Look weder Frauen noch Hugh Hefner vorbehalten sein soll. Der Mann im seidenen Pyjama soll keineswegs verschlafen aussehen, sondern elegant und anmutig, gleichzeitig aber so, als wäre er jede Sekunde für einen Power-Nap gewappnet.
High-Fashion only
Ganz anders interpretiert es Noah Johnson gegenüber dem „New York Magazine“: Während Athleisure dafür stehe, es sich leisten zu können, Wellness als eine der obersten Prioritäten in sein Leben zu stellen, stehe der Pyjama für „obszönen Reichtum“ und einen hohen sozialen Status - vor allem Exemplare von Edelmarken.
Aus diesem Grund zweifelt Ö3-Modeexpertin Romana Nachbauer daran, dass sich dieses Kleidungsstück tatsächlich durchsetzen könnte: „Es gibt zu wenige wirklich schöne, gut geschnittene Teile, und kaum jemand ist bereit, 300 Euro für ein Pyjamaoberteil auszugeben, das aus Seide ist und dann auch schön fällt“, so Nachbauer im Gespräch mit ORF.at.
Kostümdesigner Salvador Perez hingegen glaubt, dass der Pyjamalook durchaus tragbar ist – man solle ihn nur nicht erzwingen. „Wenn der Pyjama aus fester Seide oder Satin besteht, kann er wie ein fabelhafter Hosenanzug aussehen“, so Perez zur „Los Angeles Times“. Fabelhaft ist mit Sicherheit – neben den angenehmen Stoffen – der weite Schnitt. Weniger fabelhaft ist hingegen der Preis für diese hochwertigen Stoffe. Außerdem braucht es eine ganze Menge Mut, um sich damit auf die Straße zu trauen.
Mit Konditionierung ans Ziel
Das italienische Duo Dolce & Gabbana ist jedoch davon überzeugt, dass sich ein Trend mit dem simplen Prinzip der Wiederholung langfristig durchsetzen kann. „Es gibt Dinge, die sich innerhalb von Sekunden in einen Trend verwandeln, andere verschwinden mindestens genauso schnell“, so Stefano Gabbana gegenüber der „Los Angeles Times“.
Die Taktik der Modemacher scheint simpel: „Wenn der Pyjama immer und immer wieder in den verschiedenen Kollektionen gezeigt wird, gewöhnen sich die Leute daran. Und jetzt ist es das, was jeder haben möchte“, schildert sein Kollege Domenico Dolce weiter. Der Pyjama wurde bereits großteils aus den Betten der Männer verbannt und durch T-Shirts, Unterhosen oder oder einfach nichts ersetzt. Auch Nachbauer glaubt eigentlich nicht, dass es noch viele Menschen gibt, die sich in einem traditionellen Schlafanzug ins Bett legen.
Aus dem Bett verbannt, auf den Laufstegen der Edelmarken wenig überzeugend und trotz seiner „15 Minuten Ruhm“ in den 20ern, ist und bleibt der Pyjama ein Kleidungsstück, das so stark mit der schläfrigen Schlafzimmeratmosphäre behaftet ist, dass es sich wahrscheinlich nicht so bald einen Platz im Kleiderschrank sichern wird.
Yasmin Szaraniec, für ORF.at
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