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Geschlechterbiegung in Babyrosa

Während vor zwei Jahren noch der Lumberjack mitsamt Rauschebart den männlichen Alltagslook bestimmt hat, wollen einige Designer heuer des Mannes sanfte Seite zum Vorschein bringen. Bei Versace und Fendi etwa schlägt sich Androgynität in einem Overkill an flauschigen Mohair-Westen, Plüschpatschen und Teddybär-Pullovern nieder und verwandelt den einstigen Holzfäller in einen kindlich wirkenden Jüngling.

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Was für den modebewussten Mann in der kalten Jahreszeit an Outfits kreiert wurde, scheint auf den ersten Blick wenig spektakulär. Dominant sind bei den Designern wie Galliano, Prada und Calvin Klein vor allem der vom britischen Feldmarschall Sir Bernard „Monty“ Montgomery im Zweiten Weltkrieg populär gemachte Dufflecoat, klassische Militärmuster und schillernde Metallic-Akzente.

Auf den vergangenen Modeschauen stachen auch das von Burberry zu seinem Markenzeichen ernannte Check-Karo-Muster und das seidene Halstuch hervor. Was den männlichen Models außerdem noch über die Schultern gestülpt wurde, war aber keinesfalls durchschnittlich.

Gender-Bending mit Niedlichkeitsfaktor?

Pinkfarbene Plüschmützen und aufgestickte Teddybären bei Gucci, zartrosa Wollpullover bei Versace und überdimensionale grellgelbe Wuscheltaschen bei Fendi: Einige der aktuellen Herbst- und Winterkollektionen für den Mann werfen Fragen auf. Sind diese Looks als sogenanntes Gender-Bending (wörtlich Geschlechterbiegung) zu begreifen oder fallen sie in die Kategorie androgyn? Oder werden hier etwa Zugänge zu einer „neue Männlichkeit“ präsentiert?

Flauschig-kindlich als Gegenpol

Der in Los Angeles ansässige Londoner Modeblogger Landy definiert im Gespräch mit ORF.at Gender-Bending als „einen kompletten Stilmix des anderen Geschlechtes und dessen Lifestyle“.

Teddy bears are woven into a cardigan from the men’s #GucciFW16 collection. #AlessandroMichele

A photo posted by Gucci (@gucci) on

Seiner Ansicht nach spiegelt sich in den flauschig-kindlich wirkenden Outfits weniger ein Zusammenwürfeln modischer Attribute von Frau und Mann wider, vielmehr seien sie ein Gegenpol zu den in den vergangenen Saisonen präsentierten, depressiven Kreationen: „Es ist eine Reaktion auf die düsteren und dunklen Motive, die in den letzten Jahren in der Mode vorherrschten“, so Landy.

Landy

Landy

Landy ist seit zehn Jahren leidenschaftlicher Fashionista

Nicht alles, was pink ist, muss sofort in die Kategorie Gender-Bending fallen. Obwohl die Kreuzung von weiblichen und männlichen Silhouetten bereits seit den 1960er und 1970er Jahren geläufig gewesen sei, steckten diese modischen Tendenzen besonders in den USA immer noch in den Kinderschuhen, so Landy. Persönlichkeiten wie David Bowie und Prince sowie Grungelegende Kurt Cobain bewiesen, dass das Tragen von Kleidern oder ein Übermaß an Glanz und Glitzer nicht nur transsexuellen Männern vorbehalten sein muss. Zwar konnten sich Unisex und eine gewisse Androgynität in der Mode durchaus durchsetzen, Transgendertendenzen und geschlechterübergreifende Schnitte sind im Alltag jedoch eher die Ausnahme.

Ein bisschen weniger Mann sein

Progressive Designer wie Rick Owens und Vivienne Westwood nahmen in ihren Winter- und Herbstkollektionen 2016 von stereotypen Motiven Abstand, um weniger klischeebehaftete, aber trotzdem „weibliche“ Entwürfe für den Mann zu kreieren. Selbst bei genauem Hinsehen war schwer erkennbar, ob nun eine Frau oder ein Mann den Laufsteg entlangging.

Zusätzlich zur dieser modischen Überlappung pochen Designer heuer teilweise auch darauf, den Durchschnittsmann dazu zu bewegen, in seiner Kleiderwahl bewusst zu extravaganten Farben und Materialien zu greifen und seine Männlichkeit auch einmal hintanzustellen.

Versace kombinierte Weiß und Wuschelig mit so vielen rosa Schattierungen, dass die außerdem noch glatt rasierten Herren einer männlichen Reinkarnation der Barbie-Puppe verblüffend ähnlich sahen. Landy ist überzeugt: „Eine ,männliche‘ Garderobe ist generell weniger relevant geworden, und die Gesellschaft ist aufgeschlossener und akzeptiert ‚geschlechterfließende‘ Stile.“

Gleichzeitig mit der systematischen Verzerrung der Geschlechterbilder naht auch ein Ende der Trennung von Männer- und Frauenkollektionen, die bei den Modeschauen im September bereits von Designern wie Bottega Veneta und Burberry erstmals zusammengelegt wurden. Auch die Edelmarke Gucci plant, dieses Konzept nächstes Jahr umzusetzen.

„Sesamstraße“ im Schlafrock

Auch Fendis Looks für den Herbst erinnerten stark an die Kinder-TV-Serie „Sesamstraße“ und bewegten sich zwischen Pelzschlapfen, wuscheligen Plüschmützen und opamäßigen Schlafröcken - der Mann als kuschelige Schulter zum Anlehnen, als Projektion des Infantilen oder einfach als Gegenentwurf zu den dunklen Farben und harten Grafiken in der Vergangenheit.

Mit den wenig dezenten Entwürfen könnten Designer auch einen neuen Blick auf Männlichkeit erwirken wollen. Kreativdirektor des französischen Modeunternehmens Lanvin Homme, Lucas Ossendrijver, äußerte sich im „GQ-Magazin“ in Bezug auf Gender-Bending folgendermaßen: „Im Grunde geht es nicht darum, dass ein Mann einen Rock trägt; es geht um die Veränderung der Denkweise bei den Männern – ihr Blick auf die Mode hat sich verändert. Männer sind nicht mehr so über ihre Männlichkeit besorgt.“

Saint-Exupery als Inspirationsquelle

Ähnlich wie bei Fendi im Herbst, soll auch in der Frühjahrskollektion von J. W. Anderson das Kindliche aus dem Mann herausgeholt werden. In Anlehnung an Antoine de Saint-Exuperys „Der kleine Prinz“ wurden die männlichen Models mit abstrakten Kronen, bubenhaften Frisuren und verträumten Grafiken ausstaffiert. Anderson verfolge hier das Ziel, „nicht nostalgisch, sondern kindlich zu sein“, so der nordirische Designer gegenüber der „Vogue“.

Obwohl in kleinen Dosen wiederkehrend, ist es nach wie vor schwer zu formulieren, was Gender-Bending ist und was nicht. Bis die Normen zwischen typisch weiblicher und männlicher Kleidung gänzlich aufgebrochen und gesellschaftlich akzeptiert werden, braucht es noch Zeit. Im Interview mit der Modezeitschrift „Glamour“ sagte Anderson: „Sicherlich nicht in den nächsten zehn Jahren. Das ist ein langer Prozess.“

Trotzdem gingen „vor allem die jungen Generationen heute nun mal viel freier und experimenteller mit der Mode um“, so der Designer weiter. Denn wenn sich modische Geschlechtergrenzen auflösen sollen, müsse man mit seiner Kleidung – egal ob mit typisch weiblichen oder männlichen Attributen – seine ganz eigene Persönlichkeit finden. Und wer den Mut dazu hat, könnte das im Winter durchaus mit ganz viel Plüsch tun.

Yasmin Szaraniec, für ORF.at

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