Anwalt argumentiert mit „Formalfehler“
Weniger als sechs Monate nach der Veröffentlichung des bisher größten Offshore-Datenlecks, Panama-Papers, mit über elf Millionen Dokumenten über die Geschäfte in Steueroasen gibt es neue Enthüllungen über die Verwicklungen bekannter Persönlichkeiten in Offshore-Gesellschaften. Diesmal ist der Schauplatz auf den Bahamas. Prominentester Fall: die ehemalige EU-Kommissarin Neelie Kroes.
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Basierend auf den der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“) vorliegenden Daten der Bahamas-Leaks und den darauf basierenden Recherchen des Internationalen Konsortiums investigativer Journalisten (ICIJ), an dem in Österreich der ORF und der „Falter“ beteiligt sind, war Kroes von Juli 2000 bis Oktober 2009 Direktorin der auf den Bahamas registrierten Mint Holdings Ltd. Von 2004 bis 2010 war die ehemalige niederländische Politikerin allerdings auch als EU-Wettbewerbskommissarin in Brüssel tätig. Danach wurde sie bis 2014 Kommissarin für die digitale Agenda.
Strikter Verhaltenskodex für EU-Kommissare
Der Verhaltenskodex der EU-Kommission sieht eindeutig vor, dass Positionen, die in den vergangenen zehn Jahren vor Amtsantritt in der Kommission in ähnlichen Institutionen, Ausbildungseinrichtungen, Unternehmen und anderen Leistungen wie Beratung ausgeübt wurden, genannt werden müssen. Das hatte Kroes zumindest 2010 im Rahmen ihrer persönlichen finanziellen Interessen nicht getan. Der seit 2010 geltende geänderte Verhaltenskodex sieht zudem vor, dass mindestens einmal jährlich die persönlichen Interessen deklariert werden müssen.

Europäische Kommission
Kroes ließ gegenüber dem ICIJ und dem britischen „Guardian“ über ihren Anwalt schriftlich ausrichten, dass sie ihren Direktorenposten nicht angegeben habe, weil er nie ausgeführt worden sei. Dass ihr Name noch in den Unterlagen der Gesellschaft aufschien, sei ein „Formalfehler“, der erst 2009 entdeckt und dann korrigiert worden sei, so der Anwalt. Es habe sich um einen „administrativen Fehler“ gehandelt.
Gesellschaft „ging nie in Betrieb“
Seinen Angaben zufolge wurde die Gesellschaft im Jahr 2000 gegründet, mit dem Ziel, Gelder aufzustellen, um Teile des früheren US-Energieriesen Enron zu kaufen. Laut „Guardian“ handelte es sich dabei um einen potenziellen Einstieg im Wert von sieben Milliarden Dollar - zu Teilen auch finanziert von den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Deal kam aber nie zustande. Im Dezember 2001 meldete Enron Insolvenz an.
Die Gesellschaft Mint Holdings sei nie in Betrieb gegangen, deshalb habe diese „Verbindung (von Kroes, Anm.) auch nie beendet werden“ können. In der Stellungnahme von Kroes betonte ihr Anwalt, dass seine Klientin nie als Beraterin in den geplanten Enron-Deal involviert gewesen sei. Und wenn der Enron-Deal doch nicht geplatzt wäre? „Was auch immer passiert wäre, wäre passiert. Aber entscheidend ist, dass dieser Deal nie zustande kam“, so der Kroes-Anwalt.
„In gutem Glauben“ und „nach bestem Wissen“
Dass die Bahamas-Verbindung nicht genannt wurde, habe sie in „gutem Glauben“ und „nach bestem Wissen“ gemacht, so Kroes’ Anwalt: „Es wurde angenommen, dass sie nicht mehr Direktorin war, als die Firma nicht länger gebraucht wurde.“ Es sei aber „richtig“, dass Kroes es hätte angeben müssen. Kroes werde nun den Präsidenten der Europäischen Kommission informieren und die volle Verantwortung dafür übernehmen.

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Für die Bahamas sind Offshore-Gesellschaften ein lukratives Geschäft
„Als für die Wirtschaft verantwortlicher Kommissar wäre es entscheidend gewesen, alle geschäftlichen Interessen, die einen möglichen Interessenkonflikt auslösen können, zu bewerten - nicht nur einige davon“, kritisierte Vicky Cann von der NGO Corporate Europe Observatory gegenüber dem ICIJ-Netzwerk. Solche Geheimhaltung könne, auch wenn keine Absicht dahinterstecke, „das öffentliche Vertrauen in die EU-Institutionen untergraben“.
Kein Geld für Direktorenposten
Die Mint Holdings ist nach wie vor aktiv - zumindest nach Angaben des derzeitigen Direktors Amin Badr al-Din. Der jordanische Geschäftsmann, früher Berater der Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate und vor allem im Energiegeschäft tätig, sagte gegenüber dem „Guardian“, dass die Gesellschaft erst einige Jahre später in Betrieb gegangen sei - etwa im Jahr 2005. Unklar bleibt, welchen Geschäftszweck die Gesellschaft derzeit verfolgt.

ORF
Bahamas-Leaks
Der „SZ“ wurden Daten aus dem Firmenregister der Bahamas zugespielt. Die 1,3 Mio. Dokumente umfassen 38 Gigabyte und geben Einblick in 175.000 Stiftungen und Briefkastenfirmen, die zwischen 1990 und 2016 in dem Inselstaat registriert wurden. 70 Personen mit österreichischen Adressen scheinen als Direktoren von Gesellschaften auf. Auffallend ist die Häufung der Vorarlberger Adressen.
Kroes sei für ihren Direktorenposten jedenfalls nicht bezahlt worden, so Badr al-Din. Für den Verhaltenskodex der EU-Kommission spielt das keine Rolle. Laut diesem dürfen Kommissare keine andere berufliche Tätigkeit ausüben - egal ob sie gewinnbringend ist oder nicht. Badr al-Din kennt seinen Aussagen nach diesen Kodex nicht.
Ihn verbinde eine langjährige Freundschaft mit Kroes. Als sie Präsidentin der Nyenrode-Universität war, saß er im internationalen Beirat. Das Unternehmen Badr al-Dins war laut einem „Wall Street Journal“-Bericht von April 2000 auch dafür zuständig, dass bei den Waffenkäufen der Vereinigten Arabischen Emirate etwa von dem US-Waffenproduzenten Lockheed einige Erlöse wieder in den VAE reinvestiert wurden. Kroes lobbyierte vor ihrer Zeit in der EU-Kommission für Lockheed - eine Tätigkeit, die sie 2004 zunächst nicht nannte. Ihre Argumentation: Die Bezahlung sei in der Steuererklärung aufgeschienen. Es habe sich um Beratung in Verbindung mit einem bestimmten Projekt gehandelt.
Schwieriger Wechsel in Privatwirtschaft
Schon zu Beginn ihrer Kommissionskarriere war die heute 75-jährige Kroes in der Kritik gestanden. Sie hatte als Konsequenz möglicher Interessenkonflikte den damaligen EU-Kommissar für Binnenmarkt, Charlie McCreevy, ihre Geschäfte übernehmen lassen, wenn es zu Überschneidungen mit früheren Arbeitgebern kommen hätte können. Doch gab es Zweifel an der Objektivität und Unabhängigkeit der früheren niederländischen Transportministerin und Aufsichtsrätin mehrerer Industrieunternehmen.
Steuerparadies Bahamas
Die Bahamas gelten seit Jahrzehnten als Steuerparadies. Immer wieder wurden diese auf grauen und schwarzen Listen nicht kooperierender Staaten geführt. Bis 2018 will das Land dem Abkommen zum automatischen Informationsaustausch nach OECD-Kriterien beitreten. Laut ICIJ-Recherchen erwartet das Land allein in diesem Jahr rund 17,7 Millionen Dollar aus Abgaben von Offshore-Gesellschaften.
Kroes ist inzwischen in die Wirtschaftswelt zurückgekehrt. Sie ist Direktorin oder Vorstandsmitglied mehrerer Unternehmen, sitzt etwa im Verwaltungsrat der US-Softwarefirma Salesforce und berät die US-Bank Merrill Lynch. Außerdem trat sie dem Expertengremium von Uber bei. Ihr Anwalt widersprach jeglicher Kritik an ihren geschäftlichen Aktivitäten. Kroes weise zurück, dass sie durch Verbindungen zum privaten Sektor jemals Interessenkonflikte gehabt habe.
Zuletzt wurde auch der frühere Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso kritisiert, weil er zur US-Investmentbank Goldman Sachs wechselte. Sein Fall wurde an die Ethikkommission der EU-Kommission übertragen. In diesem Zusammenhang sieht Cann von Corporate Europe Observatory auch eine Überprüfung der privatwirtschaftlichen Tätigkeit Kroes’ und des Ex-Kommissars Karel de Gucht notwendig. Vor dem EU-Gerichtshof sollten ihnen und Barroso EU-Pensionsansprüche entzogen werden.
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