Themenüberblick

Spannung aus dem Kopfhörer

„Don Quixote“, John dos Passos in neuer Übersetzung, Orhan Pamuks jüngster, schön erzählter Schinken, Juli Zehs Bobo-Bashing und ein paar höchst spannende Krimis: Da kann man sich ganz schön viel Urlaub nehmen, um die hervorragenden Hörbücher dieser Saison durchzuhören.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Pamuks Schelmenroman

Mit Mevlut hat Orhan Pamuk einen Helden erschaffen, der dem Universum von Mark Twain entsprungen sein könnte. Naiv, aber nicht blöd, erfolglos, aber nicht faul, fromm, aber flexibel in der Auslegung: So treibt der Straßenverkäufer durch die Gassen Istanbuls und durch die Jahrzehnte. Der Wandel der Türkei im 20. Jahrhundert durchdringt das Leben des Mannes vom Dorf, der in der Stadt sein Glück sucht und jede Menge Abenteuer findet. Pamuk erzählt die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven. Mevluts Frau, seine Cousins, seine Freunde kommen zu Wort. Die Vielstimmigkeit passt sich ein in den Gesamteindruck eines literarischen Kaleidoskops. Besonders gut kommt das in der Hörbuchversion zur Geltung, wo jeder Erzähler von einem eigenen Schauspieler gelesen wird.

Orhan Pamuk, gelesen von Stefan Kaminski: Diese Fremdheit in mir. Der Hörverlag, 1.159 Minuten, zwei MP3-CDs, 25,99 Euro.

Hörbücher auf einem Steg vor einem Boot

ORF.at/Michael Baldauf

Ein wahrhaft tragischer Held

Tom Cooper, nicht zuletzt bekannt als Übersetzer von Oscar Wilde und Marc Twain, hat mit Wes Trench einen eigensinnigen Titelhelden geschaffen, der vom Unglück verfolgt zu sein scheint. Der junge Mann versucht, inmitten des Kathastrophengebiets nach dem Hurrikan „Katrina“, sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Das fällt nicht leicht, wenn man als Mitarbeiter auf einem Fischkutter arbeitet, seine Armprothese verloren hat, und ein Ölfilm das Fischen vereitelt. Doch damit ist es längst nicht genug. Souverän eingelesen von Hörbuchroutinier Johannes Steck, der schon Autoren von Jack London bis Thomas Glavinic seine Stimme geliehen hat.

Tom Cooper, gelesen von Johannes Steck: Das zerstörte Leben des Wes Trench. Hörbuch Hamburg, 600 Minuten, acht CDs, 16,59 Euro.

Kein Kampf gegen Windmühlen

Hans Paetsch gilt in Deutschland als „Märchenonkel der Nation“. Er hat mit seiner gleichzeitig warmen und eindringlichen Stimme den vielleicht größten Klassiker der Literaturgeschichte eingelesen: Miguel de Carvantes’ „Don Quixote von la Mancha“. Wer Allgemeinbildung nachholen möchte oder bei wem die Lektüre schon zu lange her ist, dem sei dieses Hörbuch wärmstens empfohlen. Die Heldentaten des Ritters von der traurigen Gestalt sind voll von ironischem Witz und herrlich zeitlos, auch wenn das Buch ein bissiges Gesellschaftsporträt von Cervantes’ Zeit ist.

Miguel de Cervantes, gelesen von Hans Paetsch: Don Quixote von la Mancha. Der Hörverlag, 918 Minuten, zwei MP3-CDs, 27,99 Euro.

Juli Zehs Hörbuch für Tagespendler

Juli Zehs dicker Schinken „Unterleuten“ eignet sich besonders gut, in der Audioversion während des Autofahrens gehört zu werden - am besten, wenn man täglich vom Land in die Stadt pendelt oder umgekehrt. Im Buch wird viel Auto gefahren. Es geht um eine Handvoll Menschen, die von Berlin ins Umland ziehen, weil sie sich davon ein naturnäheres, erdigeres, besseres Leben erwarten. Ein Faktor, den sie dabei vernachlässigt haben: die Landbewohner. Aber auch die Städter kommen hier nicht gut weg. Das Buch ist nah dran an aktuellen gesellschaftlichen Debatten, recht spannend und dennoch eine leichte Lektüre. Da wird man beim Autofahren nicht allzu sehr abgelenkt.

Juli Zeh, gelesen von Helene Grass: Unterleuten. Der Hörverlag, 923 Minuten, 2 MP3-CDs, 22,99 Euro.

Subversion feiern im geteilten Berlin

Volker Hauptvogel war Sänger der legendären, sehr frühen Berliner Punkband Mekanik Destrüktiw Komandöh (MDK). Nun hat er über die alternative Szene im eingekesselten Westberlin der späten 70er und der 80er Jahre ein Buch geschrieben, das sogar zuerst als Hörbuch erschienen ist: „fleischers blues“. Hauptvogel palavert vor sich hin, aber die Geschichten haben es in sich. Sicher, die Szene damals war klein, aber die Essenz von Hauptvogels Text kann in fast jede Lebenssituation übertragen werden: Wie man sich durch lustvolle Subversion als Sieger feiern kann, selbst wenn man so weit am Rand der Gesellschaft steht, dass man schon fast von „draußen“ sprechen kann.

Volker Hauptvogel: fleischers blues. Universal Family Entertainment, 4 CDs, 322 Minuten, 23,99 Euro.

New-York-Hörspielklassiker mit zahlreichen Stars

Dieser Sommer bietet sich für einen New-York-Schwerpunkt an. Bevor man am Strand den neuen 1.000-Seiten-Schinken „City on Fire“ von Garth Risk Hallberg liest, könnte man auf der Reise dorthin den Klassiker der New Yorker Gesellschaftspanoramen schlechthin anhören: John Dos Passos „Manhattan Transfer“ aus dem Jahr 1925, in neuer Übersetzung, als großartiges Hörspiel mit Sprechern wie Ulrich Noethen, Axel Prahl und Sophie Rois. Ein bestechendes Stadtporträt aus 50 Perspektiven - vom jungen Einwanderer über den Gewerkschaftsführer und den Mörder bis hin zu einer nach Selbstständigkeit strebenden Frau.

John dos Passos: Manhattan Transfer. Rowohlt, sechs CDs, 340 Minuten, 16,14 Euro.

Der Mord und die Sozialen Neztwerke

Höchste psychologische Krimispannung bietet „Wer war Alice“, der erste Roman eines Journalisten, der sich T. R. Richmond nennt. Ein paar Ex-Studenten treffen einander wieder und feiern ordentlich. Eine von ihnen ist Alice - sie wird nach dem Fest umgebracht. Alle rätseln via soziale Medien wild herum, was passiert sein könnte. Aber einer interessiert sich für den Mord mehr als alle anderen: der ehemalige Professor von Alice, den mit der Mutter der Toten eine Affäre in der Vergangenheit verbindet. Das Buch ist auf der Höhe der Zeit, nicht nur wegen des Facebook- und Twitter-Einsatzes. Krimigerecht abwechselnd gelesen von Walter Kreye, den man aus dem Fernsehen unter anderem (seit 2007) als „Der Alte“ kennt, und Josefine Preuß („Türkisch für Anfänger“, diverse „Tatort“-Rollen).

T. R. Richmond: „Wer war Alice?“ Der Hörverlag, MP3-CD, 495 Minuten, 13,99 Euro.

„Heath Ledger“ als skrupelloser Hardboiled-Killer

Fußballer, Finanzanalyst und Popsänger: Berühmt wurde Jo Nesbo jedoch als Krimischriftsteller mit über 20 Millionen verkauften Büchern weltweit. Nun sind beide bisher erschienenen Romane der „Blood on Snow“-Reihe als Hörbücher erhältlich, „Der Auftrag“ (Teil I) und „Das Versteck“ (Teil II). Hauptfigur ist ein Berufskiller, ähnlich wie in Richard Starks alten „Parker“-Thrillern, und Nesbo beherrscht auch denselben, mittlerweile aus der Zeit gefallenen Genremix: Pulp, Hardboiled, Noir. Ein überaus spannender Retroroman, der im Oslo der 70er Jahre spielt, eingelesen von Simon Jäger, den man auch als Synchronstimme von Schauspielern wie Matt Damon und Heath Ledger kennt.

Jo Nesbo: Blood on Snow. Der Auftrag

Jo Nesbo: Blood on Snow. Das Versteck. Hörbuch Hamburg, vier CDs, 300 Minuten, 13,99 Euro.

Simon Hadler, ORF.at

Links: