Themenüberblick

Gnadenlos blutrünstig, brandaktuell

Die Krimis und Thriller dieser Saison sind auffallend knallhart und brutal - zumindest einige der lesenswertesten. Und sie beschäftigen sich, durchwegs gut recherchiert, mit aktuellen Themen.

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Korruption und Killerattacken in China

Qui Xiaolongs China-Krimis sind an dieser Stelle schon oft empfohlen worden. In dieser Saison ist der bisher spannendste erschienen, „Schakale in Shanghai“. Inspektor Chen Cao (man muss die vorigen Bände nicht kennen) wird von seinem Posten als Chefermittler mit einer Beförderung „weggelobt“, aber das reicht seinen korrupten Feinden nicht - sie wollen seinen Ruf zerstören und trachten ihm nach dem Leben. Wie immer ist auch dieses Buch voll von chinesischer Alltagskultur und Politik. Lehrreich und unheimlich packend.

Qiu Xiaolong: Schakale in Shanghai. Zsolnay, 318 Seiten, 20,50 Euro.

Paranoid ist nie paranoid genug

Paranoid ist nie paranoid genug, heißt es. Und das trifft auch auf Michael Lüders atemlosen Thriller „Nevers say anything“ zu. Eine Journalistin gerät darin in einen angeblichen Anti-Terror-Einsatz in Afrika, dem zahlreiche Zivilisten zum Opfer fallen. Sie überlebt und will den Vorfall aufklären. Doch, wie es scheint, macht sie sich dadurch zur Zielscheibe der Geheimdienste, allen voran der NSA. Lüders ist Orientalist und ein gefragter Politkommentator. Nichts, was in diesem Buch steht, könnte so nicht wirklich passieren. Das erhöht den Thrill enorm.

Michael Lüders: Never Say Anything. C. H. Beck, 367 Seiten, 15,40 Euro.

Bücher auf einem Steg

ORF.at/Michael Baldauf

Eine blinde Samurai-Ermittlerin

Andreas Pflüger hat Drehbücher für viele „Tatort“-Folgen geschrieben, „Endgültig“ ist sein zweiter Roman. Die Geschichte wird atemlos erzählt und changiert zwischen beinhartem Actionfilm, Thriller, psychologischer Studie und Superheldenstory. Denn die blinde Ermittlerin kann mit ihrer Samurai-Disziplin mitten in Deutschland die besttrainierten Kämpfer mit einem einzigen gezielten Fingerschlag ausschalten. Hier fließt literweise Blut, während die Vergangenheit der Hauptpersonen psychoanalytisch aufgearbeitet wird. Sehr spannende Lektüre für alle, denen realistische Plots nicht wichtig sind.

Andreas Pflüger: Endgültig. Suhrkamp, 459 Seiten, 20,60 Euro.

Der katholische Mief der 50er Jahre

Benjamin Black ist das Synonym, das der irische Erfolgsautor John Banville (Man Booker Prize) für Krimis verwendet, die er sehr zur Freude seiner Fans regelmäßig schreibt. Nun hat Kiepenheuer und Witsch (mit einiger Verspätung) „Tod im Sommer“ übersetzt, in dem Inspektor Quirke einmal mehr in den Mief katholischer Kinderheime in den 50er Jahren eintaucht. Diesmal geht es um einen Gönner, der vielleicht gar keiner war, einen Zeitungsverleger, dessen Tod es aufzuklären gilt. Blacks Romane leben von ihrer historischen Akkuratesse und ihrer atmosphärischen Dichte.

John Banville alias Benjamin Black: Tod im Sommer. Kiepenheuer & Witsch, 270 Seiten, 15,50 Euro.

Der Klassiker unter den Spionagethrillern

1998 ist Eric Ambler in hohem Alter verstorben - doch er überdauert als zeitloser Klassiker jede Mode, seien es die Skandinavier, Gerichtsmediziner oder die Regionalkrimis. In lakonischer, lockerer und dennoch geschliffener Sprache entwickelte er als maßgeblicher Einfluss den Stil des Noir- und Spionagethrillers. Nun hat Hoffmann und Campe „Die Maske des Dimitrios“ neu aufgelegt, allerdings in der 1997er-Übersetzung von Matthias Fienbork für Diogenes. Ein Schriftsteller folgt darin den Spuren eines toten Mörders. Das hätte er besser nicht getan. Graham Greene nahm hier für „Der dritte Mann“ Anleihen.

Eric Ambler: Die Maske des Dimitrios. Hoffmann und Campe, 336 Seiten, 22,60 Euro.

Vorlage für „Der Dritte Mann“

Apropos Graham Greene. Harry Lime in der Kanalisation: Noch immer wird „Der Dritte Mann“ im Wiener Burgkino gespielt, die „Dritter Mann“-Touren in den Katakomben unter Wien sind ein Renner. Zsolnay hat sich der Romanvorlage zum Film angenommen und sie neu übersetzen lassen (von Nikolaus Stingl - sehr gelungen). Ein Roman? Ja, weil Graham Greene der Meinung war, dass Figuren ein umfassendes Eigenleben brauchen, um im Film bestehen zu können. So wurde der Thriller niedergeschrieben, umfangreicher als der Film - und etwas anders, weil für die letzte Version des Drehbuchs noch einiges geändert werden musste. Das Buch ist nicht der Film, sondern ein spannender Thriller für sich.

Graham Greene: Der Dritte Mann. Zsolnay, 159 Seiten, 19,50 Euro.

Wenn die Wölfe heulen

Geheimnisvoll, dunkel, gruselig, sagenumwogen: So beginnt William Giraldis „Wolfsnächte“. In Alaska verschwinden Kinder, die von Wölfen entführt wurden - so glaubt man zumindest, und das nimmt auch Baileys Mutter an, als dieser verschwindet. Sie bittet den Wolfsforscher Core, die Tiere aufzuspüren und zu töten. Doch Core macht sich daran, die wahren Hintergründe von Baileys Verschwinden herauszufinden. Ein gefährliches Unterfangen - Core gerät in einen Strudel aus Gewalt und Angst. Kein Buch für schwache Nerven. Betörend nicht zuletzt durch die Landschaftsbeschreibungen.

William Giraldi: Wolfsnächte. Hoffmann und Campe, 223 Seiten, 20,60 Euro.

Bücher vor einem Baum

ORF.at/Michael Baldauf

Reingelesen, für interessant befunden

Die Autorin der „Frauenzimmer“-Trilogie, Mirella Kuchling, legt Morde in kleinen Häppchen vor in ihrem Erzählband „13 X Mord“. Rund um den Red-Bull-Ring in Spielberg verschwindet in „Der Waldschrat“ von Harald Hartl ein Mädchen - und es ist nicht der erste Fall dieser Art. „Stalins Säbel“ lautet der Titel eines neuen Krimis aus dem Wieser Verlag, geschrieben von Ivan Ivanji, seines Zeichens Journalist, Tito-Dolmetscher und Autorenkultfigur nicht nur des ehemaligen Jugoslawien. Zwei nackte, seltsam hergerichtete Tote führen die bereits bekannten Ermittler Mayer und Katz in Sabina Nabers „Flamencopassion“ in ein Wiener Underground-Flamenco-Lokal, wo zu deutschen Anti-Kapitalismus-Texten getanzt wird.

Mirella Kuchlig: 13 X Mord. Kriminalgeschichten. Keiper, 142 Seiten, 16,50 Euro.

Harald Hartl: Der Waldschrat. Ein Kriminalroman aus dem Murtal. Keiper, 207 Seiten, 18,70 Euro.

Ivan Ivanji: Stalins Säbel. Wieser-Krimi. Wieser, 256 Seiten, 14,95 Euro.

Sabina Naber: Flamencopassion. Ein Fall für Mayer & Katz. Gmeiner, 375 Seiten, 13,40 Euro.

Simon Hadler, ORF.at

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