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„Eine Konstante, willens, sich anzupassen“

Seit 64 Jahren sitzt Queen Elizabeth II. fest auf dem britischen Thron - ein Rekord im britischen Königshaus. Vor knapp drei Wochen feierte Europas dienstälteste Monarchin ihren 90. Geburtstag. Grund genug, entgegen ihren Gewohnheiten auf den Putz zu hauen, wenn auch mit einem „delay“: Denn die große Partyzeit beginnt erst am Donnerstag.

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Am 21. April, dem eigentlichen Geburtstag, ging es gewohnt zurückhaltend zu. Vor Schloss Windsor ließen zahlreiche Bewunderer die Queen hochleben, als sie mit Ehemann Prinz Philip einen Spaziergang („Queen Walkabout“) antrat. Viele Menschen schüttelten der Queen die Hand und überreichten ihr Blumen und Geschenke. In London und anderen Städten wurde Salut geschossen.

Leuchtfeuer im ganzen Land

Am Abend entzündete die Monarchin ein Leuchtfeuer bei Schloss Windsor. Anschließend wurden solche Feuer im ganzen Land entfacht. „Sie repräsentieren die Liebe und Zuneigung, die der Königin hier und im Commonwealth entgegengebracht wird“, sagte Charles bei der Zeremonie.

Im Schloss Windsor gab Prinz Charles ein Dinner für seine Mutter. Schon vor dem Dinner gratulierte er seiner Mutter, und zwar mit Versen des Dichters William Shakespeare. Im BBC-Radio zitierte der Thronfolger Zeilen aus dem Drama „Heinrich VIII.“, in denen es über die spätere Königin Elizabeth I. heißt: „Sie wird zu Englands schönstem Ruhm gesegnet/Mit hohen Jahren, viele Tage sieht sie/Und keinen doch ohn’ eine Tat des Ruhms.“

Picknick mit 10.000 Gästen

Gefeiert wird traditionell erst, wenn das Wetter halbwegs verlässlich mitspielt. Und zum 90er darf es auch ein bisschen mehr sein: Von Donnerstag bis Sonntag setzen in Windsor 1.500 Laienschauspieler, Musiker und Tänzer mit 900 Pferden allabendlich das lange Leben der Monarchin in Szene. Der Palast nennt das „eine Feier zum Leben der Queen, ihrer Liebe zu Pferden, ihrer Hingabe zum Commonwealth und zu internationalen Angelegenheiten und ihrer Verbundenheit zu Marine, Armee und Luftwaffe“.

Der Höhepunkt der Feiern ist von 10. bis 12. Juni in London mit einem Dankgottesdienst in St. Paul’s Cathedral und der „Queen’s Birthday Parade“, auch „Trooping the Colour“ genannt. Den Schlussakkord bildet der „Patron’s Lunch“: Während auf der Prachtstraße The Mall eine Parade abgehalten wird, sitzen 10.000 geladene Gäste an langen Tischen am Straßenrand. Das Lunch wird eher zünftig serviert, „hamper-style“ nennt das der Palast: Essen aus dem Picknickkorb.

Kalkulierter Look von Kopf bis Fuß

Gespannt darf man auch sein, welche Farben die Queen zu den Feierlichkeiten tragen wird. Denn gerne stimmt sie die Farbauswahl ihrer Garderobe auf die Anlässe ihrer öffentlichen Auftritte ab. Dabei überwiegt ein unübersehbares Faible für kräftige Farben. Mantel oder Kostüm und Hut sind oft aus demselben Stoff, zumindest aber im selben Farbton. Handtasche und Handschuhe gehören bei ihr natürlich zur Grundausstattung. Die Garderobe ist so konzipiert, dass sie am besten im Stehen aussieht.

Londoner Bauarbeiter stehen Spalier und applaudieren der Queen

Reuters

Im Februar weihte die Queen die nach ihr benannte „Elizabeth Line“ in der Londoner U-Bahn-Station Bond Street ein

Die Kleider und Röcke haben oft Bleigewichte im Saum, um unliebsamen Windböen standzuhalten. Knitterlook ist natürlich auch nicht gewollt, Leinen daher verpönt. Die Ärmellöcher sind stets großzügig geschnitten - damit die Queen faltenfrei winken kann. Um mit ihren maximal 1,62 Metern größer zu wirken, trägt die Monarchin meist auffallende Hüte, oft mit Federn, Schleifen oder Blumen verziert. 5.000 Hüte soll sie im Laufe der Jahre getragen haben. Ihre Lieblingstasche ist ein kastenförmiges Modell der Luxusmarke Launer, der britischen Antwort auf Hermes.

„Never wear brown in town“

Nur beim Reiten fehlt die klassische Helmbedeckung: Auf dem Pferd ist die Queen - bis auf Jugendfotos - immer mit Kopftuch zu bewundern. Bei den Schuhen legt sie wert auf Bequemlichkeit - fünf Zentimeter hohe Absätze sind das Maximum. Nur wenn sie auf dem Land ist, sieht die Herrscherin von ihrer Liebe zu knalligen Farben ab - gemäß der britischen Traditionsformel „Never wear brown in town“ („Trag niemals Braun in der Stadt“). Auf dem Land hüllt sie sich lieber in Braun, Dunkelblau, Olivgrün oder Beige.

Nur Dritte in der Thronfolge

Als Elizabeth Alexandra Mary, genannt „Lilibet“, am 21. April 1926 geboren wurde, standen ihre Chancen auf den Einzug in den Buckingham-Palast schlecht. Sie war die Dritte in der Thronfolge nach ihrem Onkel Edward und ihrem Vater Albert. Doch Edward VIII. dankte als König ab, um die geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson heiraten zu können. Sein Nachfolger wurde Elizabeths Vater.

1952 machte der plötzliche Tod Alberts die 25 Jahre alte Prinzessin über Nacht zu Queen Elizabeth II. Sie erlebte den Zweiten Weltkrieg, den Zerfall des britischen Weltreichs und den Kalten Krieg. Als Königin sah sie zwölf Premierminister kommen und gehen. Sie absolvierte unzählige Termine, oft wirkten ihre Gesichtszüge wie eingefroren.

Verhallter Ruf nach „mehr Gefühl“

Ihre Nüchternheit und stets vor sich hergetragene Selbstdisziplin - die berüchtigte „stiff upper lip“ - schien sie selbst im Privatleben nicht abelegt zu haben - auch gegenüber ihren vier Kindern Charles, Anne, Andrew und Edward. Thronfolger Charles beschwerte sich einmal bitterlich darüber, dass er von seiner Mutter nie wirkliche Zuneigung erfahren und eine „elende Kindheit“ erlebt habe. Nur zweimal am Tag sei er als Kind zu seiner Mutter vorgelassen worden, verabschieden musste er sich mit einer Verbeugung.

Schwarz-Weiß-Foto einer jungen Queen Elizabeth mit ihrem Mann Prinz Philip und den Kindern Charles und Anne

APA/AFP

Szenen einer Familie: Mit den Kindern Charles und Anne (undatiert)

Doch nicht nur Charles hätte sich mehr Zuneigung gewünscht, auch den Briten war ihre Monarchin oft zu steif. „Mehr Gefühl“ hätte sich das Volk beispielsweise von seiner Regentin erwartet, als diese 1997 äußerlich ungerührt den Tod ihrer Ex-Schwiegertochter Prinzessin Diana hinnahm. Erst als Hunderttausende auf der Straße um ihre „Prinzessin der Herzen“ trauerten, rang sich Elizabeth zu einer Fernsehansprache durch - und hatte dabei Mühe, den richtigen Ton zu treffen. Inzwischen sehen viele Briten gerade in der stoischen Pflichterfüllung eine der positiven Eigenschaften ihrer Königin.

Zwischen Tradition und Twitter-Account

Dass die Queen auch die üppigen Geburtstagsfeierlichkeiten wie unzählige Auftritte höflich-reserviert und ohne sichtbare Gefühlsregungen absolvieren wird, davon ist also auszugehen. Die Königin habe ihre Rolle immer mit Würde ausgefüllt, sind sich Historiker einig. „In der heutigen gefühlsduseligen Zeit hat sie sich einen zurückhaltenden, altehrwürdigen Stil bewahrt“, so etwa der britische David Starkey. Und das, obwohl es nicht immer rund lief.

Über die Jahrzehnte hinweg stand die Queen aus Sicht des Historikers Matthew Glencross für Stabilität in einem sich wandelnden Großbritannien. Sie habe aber gleichzeitig Anpassungsfähigkeit gezeigt: Sie sei „eine Konstante“, aber eine Konstante, die willens sei, sich anzupassen und zu verändern. So sei die Königin mittlerweile auf Twitter, und die königliche Familie habe Spindoktoren, so Glencross, der derzeit am Londoner King’s College tätig ist. „Ihr Vermächtnis wird sein, dass sie sich einfügt zwischen den alten Traditionen, auf die dieses Land so stolz ist, und der sich ständig verändernden Welt und Gesellschaft, in der sie agiert.“

„Politisch neutral“ in „Brexit“-Frage

Auch wenn sie zunehmend Termine an Mitglieder der Familie abgibt, ließ sich die Königin bisher keine Amtsmüdigkeit anmerken. Immer wieder wird spekuliert, wie viel Einfluss sie angesichts ihrer begrenzten politischen Befugnisse eigentlich hat. „Ich würde sagen, sie hat wahrscheinlich sehr wenig direkten Einfluss auf die Formulierung einer bestimmten Politik“, so Andrew Thompson von der Universität Cambridge. Allerdings werde sie wohl ihre Einschätzung und Erfahrungen teilen, wenn sie darum gebeten werde. Bekannt sind die wöchentlichen Gespräche mit dem jeweiligen britischen Premierminister - immerhin zwölf Regierungschefs seit 1952.

Aufregung herrschte jüngst, als die Boulevardzeitung „The Sun“ berichtete, die Königin sei für einen Austritt Großbritanniens aus der EU. Der Palast dementierte umgehend - die Queen sei „politisch neutral“, und es sei an der britischen Bevölkerung, beim „Brexit“-Referendum am 23. Juni zu entscheiden. Der britische Hof beschwerte sich zudem beim Presserat über die Fehlmeldung. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos MORI ergab, dass eine Mehrheit von 51 Prozent der Briten gerne wüsste, was ihre Königin in der „Brexit“-Frage denkt.

Versprechen zum 21. Geburtstag

Signale, dass die Queen abdanken könnte, gibt es nicht. Experten sind sich darin einig, dass das nicht zu erwarten sei. Auch dass Prinz William irgendwann direkt seiner Großmutter als König nachfolgen und der mittlerweile 67-jährige Thronfolger Prinz Charles übersprungen werden könnte, halten sie für unwahrscheinlich. Damit hält sich Elizabeth II. nur an ein Versprechen, das sie den Briten schon 1947 in einer Rede zu ihrem 21. Geburtstag gab: „Ich erkläre vor Ihnen allen, dass mein gesamtes Leben - ob lang oder kurz - dem Dienst an Ihnen und dem Dienst an unserer großen, imperialen Familie, zu der wir alle gehören, gewidmet sein wird.“

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