„Viele glauben, strampeln reicht schon“
Österreich, Land der Berge und auch der Seen, ist reich an Badeplätzen und -stätten, an denen es sich beschaulich plantschen lässt. Das Thema Schwimmen ist trotz internationaler Erfolge in den letzten Jahren nicht so in der Seele der Skination verankert. In Bädern wollen zwar immer mehr Erwachsene Bahnen schwimmen - und das nicht nur, wenn sie für einen Triathlon trainieren, sondern mitunter auch, weil der Arzt Schwimmen als gesunden und gelenkschonenden Sport empfohlen hat.
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Wer freilich unter die Wasseroberfläche schaut, sieht ein Bewegungsallerlei, das einiges mit dem Konzept von Fortbewegung im Wasser zu tun haben mag, aber nur rudimentär mit dem Begriff schwimmen. Warum das so ist? Vielleicht weil Schwimmen als Technik zu wenig unterrichtet wird. Obwohl gerade Kinder die Dinge, die einem später so schwer fallen, am allerleichtesten lernen könnten.
„Trostloses Bild“
Von einem „trostlosen Bild“ spricht der gewerbliche Schwimmkursanbieter Christoph Schmidt von Flowsports beim Blick auf den breiten Schwimmunterricht in Kindergärten und Schulen. Die Flowsports-Gründer Schmidt und Stephan Dvorak haben sich in den letzten Jahren darauf spezialisiert, Erwachsenen, sei es für den gehobenen Freizeitsport- oder für den Gesundheitsbereich, erweiterte Schwimmtechniken beizubringen, und mittlerweile auch Kinder als Zielgruppe entdeckt.
„Viele pädagogische Institute unterrichten nach dem Motto ‚Uns reicht es schon, wenn die Kinder im Wasser nicht untergehen‘“, kritisiert Schmidt und fügt hinzu: „Oft darf man den engagierten Lehrern gar nicht böse sein, denn für einen wirklichen Schwimmunterricht fehlt ihnen einfach eine adäquate Ausbildung.“

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„Kinder brauchen zuerst ein Sicherheitsgefühl im Wasser, erst dann kann man mit dem Erlernen des Schwimmens anfangen.“
In ein ähnliches Horn stößt Andrea Steiner, die seit 30 Jahren in Wien in der Schwimmausbildung tätig ist: „Wir lernen viel zu wenig schwimmen, weil einfach die Kapazitäten fehlen“, sagt Steiner, die für den Raum Wien von einer Kluft zwischen Grundbekenntnis zum Schwimmen und der Praxis spricht: „Auf der einen Seite die Ansprüche, jeder solle schwimmen lernen, auf der anderen Seite fehlen bei der Durchführung Kapazitäten und Möglichkeiten.“

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Schwimmlehrerin Steiner bei einem Sicherheitstraining für Kinder: „Viele glauben, durchs Wasser strampeln genügt schon.“
Hemmend ist für Schwimmtrainer sehr oft die Haltung der Eltern. „Leider ist es der Mehrheit der Eltern immer noch nicht wichtig, dass ihr Kind richtig und ausdauernd schwimmen kann“, so Steiner: „Viele glauben, ein paar Minuten irgendwie durchs Wasser zu strampeln, meist noch mit Kopf oben, reicht für Urlaub, Therme und für das Leben.“
Das geschriebene Bekenntnis zum Schwimmen
In den Richtlinien zur Durchführung des Schwimmunterrichts an Schulen des Unterrichtungsministeriums aus dem Jahr 2003 ist zu lesen: „Wegen der lebenserhaltenden und lebensrettenden Funktion des Schwimmens muss es Ziel des Unterrichtes sein, jeder Schulabgängerin und jedem Schulabgänger zumindest eine grundlegende Schwimmfertigkeit zu vermitteln.“ Über die Schulzeit hinaus solle „ein ausreichendes Schwimmkönnen“ zum Zweck der „Freizeitgestaltung“ und der „Erhaltung der Gesundheit“ gefördert werden.
„In Österreich soll kein Kind mehr ertrinken“, gab ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin erst im letzten Sommer das Motto in einer gemeinsamen Kindersicherheitskampagne mit dem Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) aus. Pro Jahr ertrinken in Österreich immer noch drei Kinder. „Prinzipiell ist es das Ziel, dass Kinder im Rahmen des Schulunterrichts schwimmen lernen“, bescheinigt man auf Anfrage von ORF.at auch aus dem zuständigen Unterrichtsministerium, mit dem Zusatz: Schwimmen sei ja „eine Überlebenstechnik“.

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Unterwassergefühl als entscheidendes Element im Schwimmtraining
Viele Kinder kommen ja erst in der Volksschule mit dem Thema Schwimmen in Berührung. Und da sind es die Klassenlehrer und -lehrerinnen, die den Kindern das Schwimmen vermitteln. „Es können auch Assistenten zum Schwimmunterricht hinzugezogen werden“, heißt es aus dem Unterrichtsministerium. Diese müssten über den Hilfsschein des Rettungsschwimmers verfügen; grundsätzlich dürfen sonst Klassenlehrer Kinder im Schwimmen unterrichten, die Schwimmen als Teil ihrer Lehrerausbildung absolviert haben. Zusätzlich regeln die Landesschulbehörden die Qualifikationsniveaus für den Schwimmunterricht.
„Man sollte im Kindergarten anfangen“
Für die Schwimmtrainerin Steiner stellt sich genau diese Lage in der Praxis anders dar. In Wien könnten Volksschulen erst ab der dritten Klasse in den Schwimmunterricht einsteigen. „Das ist eigentlich viel zu spät. Kinder sollten schon im Kindergarten schwimmen lernen, aber dazu fehlen im Kindergartenbereich meist komplett die Möglichkeiten.“

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„Kraulen als Basis für alle anderen Schwimmstile“ propagieren die einen
Welche Kompetenzen ein Kind braucht, um im Wasser überleben zu können, ist auch unter Forschern umstritten. Eine breit angelegte norwegische Studie aus dem Jahr 2012 rund um die Sportwissenschaftlerin Dagmar Dahl wies auf die schwierige Definition des Begriffs „Schwimmkompetenz“ hin. Bei manchen Studien genüge das Absolvieren einer 25-Meter-Distanz, um eine Schwimmbefähigung zu bekommen, andere würden die Minimumdistanz von 200 Metern als Kriterium für Schwimmkompetenz heranziehen. Was es aber laut der Studie brauche, sei eine „erweiterte Wasserkompetenz“, denn, so die Autorinnen und Autoren, „die Fähigkeit zu schwimmen schützt nicht vor dem Ertrinken“.
Trügerisches Wassergefühl
In einer Untersuchung versuchten die Norweger herauszufinden, ob junge Menschen ihre Fähigkeiten, zu schwimmen oder sich über Wasser zu halten, überhaupt adäquat einschätzen können. Eine Untersuchung unter Studierenden ergab, dass selbst geübte Sportler Einschätzungsprobleme haben. Vor allem, so das Ergebnis der Studie, könnten Menschen zwar leicht nonstop 300 Meter schwimmen. Schwieriger ist es, sich etwa sechs Minuten über Wasser zu halten. Beinahe die Hälfte der Teilnehmer schaffte das nicht, so das Ergebnis der Studie.
Kindern solle man das Element Wasser sehr „unbefangen“ vermitteln, rät Schwimmexperte Schmidt: „Das Wasser kann ja so einiges und macht mit unserem Körper auch so viele interessante Dinge, etwa dass wir im Wasser leichter sind, schweben, untertauchen können.“ Eltern sollten im Schwimmunterricht gar nicht anwesend sein - meistens verhindere schon die Anwesenheit der Eltern, dass Kinder positive Schwimmerfahrungen machten. Für eine ordentliche „Schwimmkultur“, die sich von der in Österreich propagierten „Badekultur“ unterscheide, gelte es, den Kindern zuerst das „Überleben im Wasser“ zu vermitteln. Aus diesem Ansatz heraus, so Schmid, könne man dann die Schwimmerlernung vermitteln.
Der falsche Brustschwimmansatz
Schmidt kritisiert, dass Kinder zunächst Brustschwimmen lernen: "Ein völlig falscher Ansatz, denn eine korrekte Brusttechnik ist technisch hochkomplex und sehr kräfteraubend. Was Österreicher unter ‚Brustschwimmen‘ verstehen, verdient leider nur die Bezeichnung ‚Baden‘.
Ähnlich sieht es Steiner: „Beim Brustschwimmen ist es in Österreich leider Usus, dass der Kopf über dem Wasser ist, das heißt, man muss nicht tauchen.“ Gerade das unbeschwerte Untertauchen und das freie Schweben, gerade auch in der Rücklage, seien ganz wichtige Grundkompetenzen, um sicher schwimmen zu können.
„Kinder brauchen eine Art Schwimm-ABC“
Bevor man mit dem Schwimmen starten könne, müsse sich das Kind im Wasser sicher fühlen, also eine Art „Schwimm-ABC“ kennen, sagt Schwimmtrainer Schmidt. Es müsse mit dem Tauchen und den Besonderheiten der Atemtechnik vertraut sein und sich unspezifisch im Wasser fortbewegen können.
„Ist dieser Schritt getan, so heißt es, keine Zeit mehr zu verlieren und über das einfachere Rückenschwimmen schnellstmöglich dem Kind das Kraulschwimmen schmackhaft zu machen“, Das „Kraulschwimmen“ oder eine korrekte Kraultechnik sei die Basis für jeden weiteren Schritt der Schwimmausbildung, ist sich Schmidt sicher.
„Richtiges Kraulen mit korrekter Atmung, wie man es aus dem Wettkampfsport kennt, ist für kleine Kinder kaum möglich“, findet wiederum Steiner. Die Kraulbewegung sei zwar die natürlichste Bewegung, aufgrund mangelnder Vertrautheit mit dem Wasser und der komplexen Atemtechnik aber nicht die einfachste. Daher würde sie neben dem korrekten Brustschwimmen auf das Erlernen des gesunden Rückenschwimmens für die Kleinsten setzen.
Ähnlicher Zugang für Erwachsene und Kinder
„Moderne Schwimminstitute bauen einen Schwimmunterricht auch genau so auf, egal ob man Kinder oder Erwachsene unterrichtet“, zeigt man sich bei Flowsports grundsätzlich überzeugt.
In ein ähnliches Horn stößt Steiner mit Blick auf ihre Kursteilnehmer. „Heute kommen die Erwachsenen zu uns und wollen für den Triathlon kraulen lernen. Und das liegt daran, dass man nie richtig und adäquat schwimmen gelernt hat in unserem Land.“ Steiner beklagt wie fast alle anderen Schwimmtrainerinnen und -trainer auch die mangelnde Schwimmkultur in dem Land: „In Österreich ist in Sachen Bädern wichtig, dass das Wasser schön warm ist, weniger, ob man im Wasser auch schwimmen kann.“
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