Der Fisch im Menschen
Sportliche Schwimmer haben es in Österreich nicht immer leicht. Erst zum Auftakt der Sommersaison wurde in einem Tiroler Schwimmbad „zu sportliches Längenschwimmen“ wegen des dadurch ausgelösten „höheren Wellengangs“ untersagt. Überhaupt kann man die 50-Meter-Bahnen im Land an den Fingern weniger Hände abzählen. Bleibt das Ausweichen ins offene Wasser, ein Trend, der gerade im Amateursportbereich zunimmt. Nicht nur, weil immer mehr Menschen für den Triathlon die meist unterentwickelten Schwimmfähigkeiten in Schuss bringen müssen.
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Österreich reiht sich mit Langstreckenbewerben durch den Hallstättersee oder den Stausee Ottenstein ein in eine Reihe außergewöhnlicher europäischer Langstreckenschwimmevents, die immer mehr Zulauf haben. Alleine in Kopenhagen erwartet man Ende August dieses Jahres 3.000 Teilnehmer, wenn es im Stadtkanal im Kraul oder Brusttempo rund um den dänischen Regierungssitz Schloss Christiansborg („Borgen“) geht.

Corbis/Imaginechina
Der Sun Moon Lake Swimming Carnival in Taiwan, heuer abgehalten am 20. September, gilt mit 20.000 Teilnehmern als mit Abstand größtes Schwimmevent der Welt
„Immer mehr Zulauf in Österreich“
„Freiwasserschwimmen bekommt auch in Österreich immer größeren Zulauf“, sagt der Schwimmer und Schwimmtrainer Christopher Beck, der gemeinsam mit Sarah Frühwirth nicht nur in der heimischen Freiwasserszene bei allen Bewerben vorne mitschwimmt, sondern auch eine eigene Trainingsgruppe unterhält. Beck verweist auf Großbritannien und vor allem Australien, wo das Open-Water-Schwimmen zum Volkssport geworden ist. „In Australien“, so erinnert Beck gegenüber ORF.at, „ist das Freiwasserschwimmen der größte Volkssport nach Rugby.“
Interessant in Österreich: Bei Freiwasserschwimmern ist es die Gruppe 40 plus, die die Szene dominiert. Beim Austrian Open Water Cup, der mittlerweile jährlich mit acht Langstreckenbewerben, darunter eine Durchschwimmung des Hallstätter Sees, bestritten wird, ist die Bewerbgruppe im Altersbereich 40 die mit Abstand größte.

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Zielgruppe 40 plus: Die meisten Schwimmer sind in mittlerem Alter und suchen neue Herausforderungen, die man im Triathlon nicht mehr findet - hier Vorbereitung auf das Fuschlseecrossing 2014
Suche nach neuen Herausforderungen
„Sehr oft sind es ehemalige Triathleten, die beim Freiwasserschwimmen an den Start gehen und noch eine Herausforderung und den Kitzel einer Seendurchschwimmung suchen“, erzählt Franz Reisinger, Mitorganisator und Sprecher des Austrian Water Cups. Es fänden sich aber auch immer mehr Amateure, die begeistert in den See und in Wettbewerbe mit Erlebnisfaktor einstiegen. „Eigentlich brauchen sie ja auch nicht mehr als eine Badehose und eine Schwimmbrille, um bei diesem wunderbaren Sport dabei sein zu können“, so Reisinger, der als Benchmark für das Bewerbschwimmen 20 Minuten für den Kilometer angibt.

Austrian Open Watercup/Facebook
Der Hallstätter See Schwimm-Marathon ist mit dem Backwaterman der längste Schwimmwettbewerb des Landes. In Hallstatt gilt es, eine Strecke von zehn Kilometern zu bewältigen.
Urform des Schwimmens
Eigentlich ist ja das „Open-Water-Schwimmen“, wie man das Langstreckenschwimmen im freien Gewässer mittlerweile nennt, die Urform des Schwimmens, ja sogar des Wettkampfschwimmens.
Als man 1896 die Olympischen Spiele der Neuzeit in Athen ins Leben rief, gab es noch keine Schwimmwettkampfstätten mit gemauertem Becken. Die vier Bewerbe, vom 100-m-Bewerb bis zur 1.200-m-Distanz, hielt man in Piräus, in der damals mit gerade 13 Grad eher kühl temperierten Bucht von Zea ab. Die Monarchie war damals großer Sieger in den meisten Schwimmbewerben, holten doch Ungarn oder Österreich bis auf den damals ausgetragenen Matrosen-100-m-Bewerb die ersten Goldmedaillen beim olympischen Schwimmen.
Zur Zeit der ersten Schwimmwettkämpfe befand sich das Kraulen noch in den Kinderschuhen. Vorwärts bewegte man sich im Brust-, Seitenschwimm- oder Trudgen-Stil (benannt nach dem Briten John Trudgen). Für das Langstreckenschwimmen hat sich das Kraulen jedenfalls als effektivste wie kraftschonendste Form der Fortbewegung etabliert - ein Umstand, den Laien nicht immer nachvollziehen können, stellen sie doch bei Kraulversuchen mitunter schon nach gut einer Bahn starke Erschöpfungszustände fest. Doch Experten beruhigen: Kraulen kann man komplett unabhängig vom Alter erlernen.

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Open-Water-Schwimmen Mitte der 1930er Jahre: Hier am Wiener Donaukanal
„Jeder kann kraulen lernen“
Beim Kursanbieter Flowsports verweist man darauf, dass man in zehn Unterrichtseinheiten effizientes Kraulen lernen könne. Die Nachfrage ist steigend. Mittlerweile trainiert der Pionier im Bereich vereinsfreier Schwimmkurse im offenen Wasserbereich im Quartal 350 Athleten, die nicht nur für den Triathlon kraulen erlernen oder verbessern wollen. Gerade von Frauen sei der Zulauf steigend, berichtet Flowsports-Gründer Christoph Schmidt gegenüber ORF.at, der eine steigende Gruppe von Schwimminteressierten wahrnimmt.
Vor acht Jahren sei man mit einer Gruppe von Freunden in private Schwimmeinheiten gestartet. Mittlerweile hat man das Angebot erweitert und beschäftigt mittlerweile 32 Trainerinnen und Trainer. Was man bei Flowsports in Sachen Schwimmen in Österreich beklagt: „Wir haben eine Badekultur, aber keine Schwimmkultur.“ Eigentlich könnte man Kinder viel besser ans Schwimmen heranführen, weswegen man besonders viele Module für Kinder anbiete. Und Kinder, die in diesen Gruppen mit dem Schwimmen beginnen, lernen dann nicht nur das Brustschwimmen, sondern gleich auch Kraulen und Rückenschwimmen.
Begeisterung für die lange Strecke
„Die Schwimmszene besteht teilweise aus Triathleten, die einfach für die längeren Wettbewerbe trainieren müssen, teilweise sind es aber Leute, die einfach aus Begeisterung längere Strecken schwimmen“, berichtet auch Jimmy Moser gegenüber ORF.at. Er trägt seit zehn Jahren am Stausee Ottenstein den sogenannten Backwaterman aus, einen Schwimmwettbewerb für eher fitte Athleten: Es gibt Distanzen über sieben und 14 Kilometer. Hat man vor zehn Jahren mit sieben Schwimmern angefangen, so kämpfen sich mittlerweile jährlich gut 100 Schwimmer durch den aufgestauten Kamp.

Backwaterman
Abfahrt zum Start des Backwaterman im Staussee Ottenstein in Niederösterreich. Über 100 Athletinnen und Athleten schwimmen pro Jahr mittlerweile die Sieben- und 14-Kilometer-Strecke
Die Szene der Schwimmer beschreibt Moser als „sympathisch“ und „begeistert“: „Jeder, der hier mitschwimmt, tut das eigentlich aus persönlichem Antrieb und nicht, weil man sich einen Pokal oder Preisgeld erwartet.“
Zulauf zu gezieltem Training im Amateurbereich
„Wir stellen seit einigen Jahren fest, dass gezieltes Training auch bei Gesundheits- und ambitionierten Amateursportlern immer mehr an Bedeutung gewinnt und nachgefragt wird“, erzählt der Sportmediziner und Unfallchirurg Sven Thomas Falle, der eine eigene Praxis für Ausdauer- und Gesundheitssportler unterhält. Auch er stellt fest: Kunden kommen aus der Alterszielgruppe über 30 bis ca. 50.
Der Vorteil am Schwimmsport sei, dass er gelenkschonend abläuft, so Sportmediziner Falle, allerdings: „Schwimmen ist nicht immer automatisch gesund.“ Für Falle ist die Arbeit an der Technik und die Berücksichtigung des persönlichen Schwimmstils in jedem Fall lohnend. Und so erinnert er: Wer einmal systematisch zu trainieren beginne, bekomme mit der Zeit ohnedies Entzugserscheinungen, wenn er einmal nicht trainieren könne.

Vansbrosimningen/Fb
In Europa ist Skandinavien ein Hotspot für das Freiwasserschwimmen
„Generell hat das Interesse von Freizeitsportlern an gezielter und individuell auf die eigenen Bedürfnisse maßgeschneiderter Trainingsplanung in den letzten Jahren zugenommen“, stellt auch die Sporttrainerin und Gesundheitsexpertin Vera Mair fest. Sie bestätigt, was auch andere Teilnehmer der Schwimmszene sagen: Es handelt sich um eine Gruppe von Leuten, die nicht nur bereit ist, viel Freizeit in den Sport zu investieren - oft sind es auch Leute, die sich nur zu gerne Sonderausstattungen wie Schwimmuhren, Neoprenanzüge und andere Gadgets leisten. Ein Umstand, der ja auch aus der Triathlon-Szene bekannt ist.
Vom Polarkreis bis zum Fuschlsee
In Europa lockt jedes Jahr jedenfalls eine Serie herausragender Schwimmevents zur Teilnahme. Etwa der Bewerb Swim the Arctic Circle zwischen Finnland und Schweden, wo man in der Nacht startet und durch die Zeitverschiebung auf der Drei-Kilometer-Strecke quasi in einem Zeitloch schwimmt, also um 0.00 Uhr losschwimmt und um 0.00 Uhr ankommen kann. Schweden hält seit 1950 jährlich das berühmte Sieben-Brücken-Schwimmen bei Vansbro ab, wo man einen Fluss zwei Kilometer hinunterschwimmt, um im Finale einen Kilometer nach einer Flussgabelung flussaufwärts gegen die Strömung zu schwimmen (als Lohn wird man von viel Publikum von den Brücken herunter angefeuert).

Vansbrosimnigen/Fb
Unter sieben Brücken musst du durch: Vansbrosimningen in Schweden durch die Flüsse Vanan und Västerdalälven
Amateure und Profis rund um „Borgen“
Ende August lockt die Königsdisziplin unter Europas spektakulären Schwimmstrecken. In Kopenhagen wird die sogenannte Christiansborg Rundt geschwommen. Von der Nationalbibliothek am alten Hafen geht es dann über zwei Kilometer durch einen engen Kanal rund um „Borgen“. 3.000 Teilnehmer, so viele wie nie, erzählt Nora Thomsen von der Dänischen Schwimmunion, sind heuer gemeldet und werden wie im vergangenen Jahr auch durch zwei lange, finstere Baustellentunnels schwimmen müssen.
In Kopenhagen hat man das Event als großen Amateurwettkampf angelegt, bei dem man entweder alleine oder in der Staffel schwimmen kann. Zusätzlich trägt man ein Profirennen aus, bei dem „Borgen“ fünf Mal umrundet werden muss. Erwartet werden bei dem Rennen auch tausende Zuseher entlang des Kanals. Seit zehn Jahren trägt man dieses Rennen erst aus. Die Begeisterung erklärt Thomsen auch damit, dass in Kopenhagen mittlerweile das Wasser im Hafen so sauber sei, dass die Leute sich am Schwimmen direkt in der Stadt begeisterten. Für alle, die regelmäßig trainieren wollen, hat die Stadt Kopenhagen in Amager Strand im Osten der Stadt einen eigenen Open Water Parcour eingerichtet.

Christians Rundt/Facebook
Schwimmen rund um „Borgen“ in Kopenhagen. Fast zwei Kilometer müssen hier in einem Kanal zurückgelegt werden. Kopenhagen lobt sich dafür, dass auch in diesem Bereich das Wasser Badequalität aufweist.
Finale in Österreich
In Österreich stehen in diesem Jahr noch zwei große Schwimmevents aus, die sich gerade an den gehobenen Amateur-, aber auch Einsteigerbereich richten. Ende August geht am Fuschlsee das Fuschlseecrossing über die Bühne. Durchquert wird nicht nur der Fuschlsee in der Längsrichtung vom Strandbad Hof nach Fuschl über 4,2 Kilometer, sondern auch eine Halbstrecke von 2,1 Kilometern, die am Südufer des Sees gestartet wird.

Fuschlseecrossing
Blick von oben auf das Fuschlseecrossing knapp nach dem Start bei Hof. Events wie diese sind besonders sicher, gibt es doch Begleitboote und die Wasserrettung, die die Schwimmer nie aus dem Blick lassen.
In Fuschl durchquert man den See seit 2009 und limitiert mittlerweile die Teilnehmerzahl mit 250. Besondere Herausforderung heuer: Verlangt man normalerweise Neoprenanzüge auch als Sicherheit, weil diese so viel Auftrieb haben, so überlegt man heuer wohl eher, auf die Empfehlung zu Neopren zu verzichten. So wie alle Seen ist der Fuschlsee in diesem Jahr ungewöhnlich warm, und Schwimmer könnten in den Anzügen überhitzen. Mit Frühabendschwimmaktionen versucht man in Fuschl jedenfalls auch gehobene Amateure anzusprechen und hat auch ein paar Tipps für Einsteiger parat: Am besten mit anderen schwimmen, wenn man allein schwimmt, dann eher in Ufernähe. Und am besten gut sichtbar, so Ilona Hampel vom Fuschlseecrossing.
Wien plant großes Schwimmfest
In Wien will man mit dem erstmalig ausgerichteten Vienna Swim Trial am 12. September den Schlusspunkt einer starken Open-Water-Saison in Österreich setzen. Nicht nur schließt man hier mit einem Sechs-Kilometer-Bewerb den Austrian Open Water Cup ab. Mit Bewerben zwischen 1,5 und drei Kilometern will man auch breitere Massen ansprechen und, so hofft es Christopher Beck diesmal als Veranstalter, ein großes Schwimmfest feiern. Mit dabei sollen auch Champions aus dem WM-Open-Water-Bewerb in Kazan sein.
Für Wien wäre es schon der zweite große Freiwasserbewerb in diesem Jahr, hatte man doch schon im Mai mit dem Vienna Open Water einen Bewerb mit mehreren Distanzen abgehalten. Für die Freiwasserschwimmer wird Mitte September die Saison noch nicht zu Ende sein. Abgeschwommen wird dann Anfang Oktober. Und dann dürfen sich wieder alle um die spärlichen Bahnen in den Bädern streiten.
Gerald Heidegger, ORF.at
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Anmerkung: Alle genannten Experten und Schwimmevents haben auch Auftritte auf Facebook und informieren die Zielgruppen über ihre Facebook-Seiten.