Ablehnung aus Deutschland
Es könnte ein Maß für die Verzweiflung wegen der vergleichsweise geringen Wirkung der bisherigen Maßnahmen sein, dass eine Randbemerkung des Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB) zum kontroversiellen Konzept „Helikoptergeld“ für solche Aufregung sorgt. Seit Tagen gibt es dazu immer wieder Wortmeldungen führender Ökonomen.
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EZB-Chef Mario Draghi hatte bei der Ankündigung, dass der Leitzins im Euro-Raum auf null Prozent gesenkt wird, auf eine entsprechende Journalistenfrage zum Thema „Helikoptergeld“ gesagt, dass das ein „sehr interessantes“ Konzept sei. Es werde von akademischen Ökonomen auf verschiedenen Ebenen diskutiert, die EZB habe sich das Thema aber noch nicht näher angesehen, so Draghi. Es sei auf jeden Fall komplex: inhaltlich, rechnerisch und auch rechtlich.
Seit dieser Aussage vor knapp zwei Wochen vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht zumindest ein Ökonom zu dem Thema äußert. Während die Idee im englischsprachigen Raum durchaus auf Interesse stößt, kommt vor allem aus Deutschland harte Kritik. Zuletzt sprach sich der deutsche Bundesbankpräsident Jens Weidmann strikt dagegen aus. Statt immer waghalsigere geldpolitische Experimente ins Spiel zu bringen, wäre es „sinnvoll, einmal innezuhalten“, so Weidmann gegenüber der Funke-Mediengruppe.
„Helikoptergeld“: Eine Art Geschenk
„Helikoptergeld“ gilt als weiteres mögliches Mittel einer ultralockeren Geldpolitik. Der Kerngedanke: Statt Geld über den Ankauf von Wertpapieren auf den Markt zu pumpen, wird Zentralbankgeld quasi verschenkt. Empfänger könnten beispielsweise die Bürger sein und auch der Staat. Die Befürworter sehen darin den Vorteil, dass das Geld über Konsumausgaben direkt in den Wirtschaftskreislauf gelangen würde.
Der Begriff wird auf den US-Ökonomen und Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman zurückgeführt. Friedman, einer der wichtigsten Vertreter der Idee des „freien Marktes“ im 20. Jahrhundert, hatte in seinem Werk „Optimum Quantity of Money“ das hypothetische Beispiel gebracht, dass ein Hubschrauber Geld abwirft. Das Geld und der dadurch ermöglichte Konsum sollen in weiterer Folge die Inflation ankurbeln.
EZB-Volkswirt nicht komplett ablehnend
Im Gegensatz zu Weidmann zeigte sich EZB-Chefvolkswirt Peter Praet der Idee gegenüber zumindest nicht ablehnend. Theoretisch könnten alle Notenbanken dieses „extreme Instrument“ einsetzen, sagte Praet in einem am Freitag veröffentlichten Interview der italienischen Zeitung „La Repubblica“. Es stelle sich nur die Frage, ob und wann der Einsatz tatsächlich sinnvoll sei.
Es gebe auch in der Politik einige Anhänger der Idee, schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), darunter der Vorsitzende der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbin, und auch die Chefin der rechtsextremen französischen Front National, Marine Le Pen. Laut „FAZ“ sind auch englische Finanzmedien der Idee gegenüber sehr aufgeschlossen. Bisher wurde das Konzept von führenden Notenbanken noch nicht in die Realität umgesetzt. Dass die EZB „Helikoptergeld“ ausschüttet, gilt derzeit als eher unwahrscheinlich.
Die Umsetzung wäre zudem nicht ganz einfach: Das Geld tatsächlich via Helikopter zu verteilen ist nicht sinnvoll, die EZB kann aber auch nicht Geld direkt auf die Konten der 337 Mio. Bürger der Euro-Zone überweisen. Nach Einschätzung des Commerzbank-Experten Michael Schubert wäre das Auszahlen von „Helikoptergeld“ unter dem Strich nur indirekt über die Euro-Länder denkbar. „De facto würde die EZB den Euro-Ländern also eine Art Kredit gewähren“, so Schubert.
Weidmann kritisiert EZB-Entscheidungen
Weidmann kritisierte auch die jüngsten geldpolitischen Schritte der EZB. Das „sehr weitgehende“ Paket habe ihn nicht überzeugt. Die Wirkung der ultralockeren Geldpolitik werde schwächer, je länger diese andauere, so Weidmann, der vor zunehmenden „Risiken und Nebenwirkungen“ warnte, etwa Blasen auf den Finanzmärkten. Die EZB hatte vor eineinhalb Wochen den Leitzins im Euro-Raum auf null Prozent gesenkt, ihre Wertpapierkäufe abermals ausgeweitet und den Kauf von Firmenanleihen sowie neue Langfristkredite angekündigt.
Geldgeschenke an die Bürger seien „eine hochpolitische Entscheidung“, die Notenbanken hätten dazu kein Mandat, so Weidmann, auch wegen der massiven Umverteilung. Geldpolitik sei kein Allheilmittel und ersetze nicht notwendige Reformen in einzelnen Ländern, so Weidmann. „Helikoptergeld“ sei „Quatsch“, sagte auch der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. Es würde die Illusion nähren, dass die Notenbank mit dem Druck von mehr Geld einfach alle Probleme lösen könnte.
EZB: Weitere Mittel vorhanden
Am Montag betonte EZB-Direktor Benoit Coeure in Paris einmal mehr, dass die EZB ihr Instrumentarium noch nicht ausgeschöpft habe, ohne dabei den Begriff „Helikoptergeld“ zu verwenden. Die EZB könne allerdings nicht alleine für eine nachhaltige Konjunkturerholung sorgen, mit ihrer Fiskal- und Wirtschaftspolitik würden auch die Staaten der Euro-Zone entsprechende Verantwortung tragen.
Schon die jüngste Lockerungsrunde am 10. März habe gezeigt, dass der Notenbank nicht die Mittel ausgingen, so Coeure. Das Paket unterstreiche den festen Willen, die immer noch schwache Inflation wieder an den Zielwert der Notenbank von knapp zwei Prozent heranzuführen, sagte Coeure.
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