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Zinsen gibt es jetzt länger nicht

Die Europäische Zentralbank (EZB) holt ein weiteres Mal weit aus und versucht mit aller Kraft, die europäische Wirtschaft ins Lot zu bringen. Der Rat hat bei seiner Zinsentscheidung Mitte März ein Bündel an drastischen Maßnahmen geschnürt, darunter eine Leitzinssenkung auf 0,0 Prozent und eine Erhöhung des Einlagestrafzinses für Banken. Präsident Mario Draghi stimmte Europa darauf ein, dass die Zeit der Zinsen endgültig vorbei ist.

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„Die Zinsen werden für eine sehr lange Zeit niedrig bleiben“, sagte Draghi bei der EZB-Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid in Frankfurt. Jedenfalls über die Laufzeit des Anleihekaufprogramms hinaus - also mindestens bis März 2017. Eine weitere Senkung sieht Draghi aber aus jetziger Sicht nicht als notwendig an. Er bezeichnete die überraschend umfassende Lockerung der Geldpolitik als „angemessene Reaktion“ auf die „signifikante Veränderung“ der globalen Wirtschaftsaussichten.

Stotternde Wirtschaft, zu niedrige Inflation

Die EZB musste ihre Wachstumsprognose für die Euro-Zone in diesem Jahr nach unten korrigiert. Die Notenbank rechne 2016 mit einem Plus von 1,4 Prozent, 2017 mit einem Wachstum von 1,7 Prozent und 2018 mit 1,8 Prozent mehr, sagte Draghi. Im Herbst hatte die EZB noch mit einem Wachstum von 1,7 Prozent in diesem Jahr gerechnet.

Mario Draghi mit Unterlagen am Weg zur Pressekonferenz

APA/AFP/Michael Probst

Grund zu lachen hat Draghi nicht - die bisherigen Maßnahmen wirkten kaum

Auch die Prognose für die Inflation in diesem Jahr setzte die EZB herab - und zwar drastisch. Bisher hatte sie mit einer Inflationsrate von 1,0 Prozent gerechnet, nun erwartet sie lediglich 0,1 Prozent. 2017 soll die Inflation dann 1,3 Prozent betragen. Im Februar fielen die Verbraucherpreise im Euro-Raum erstmals seit einem halben Jahr wieder. Die jährliche Teuerungsrate ging nach ersten Schätzungen wegen des weiteren Absturzes der Ölpreise auf minus 0,2 Prozent zurück.

Kämpferischer Notenbankchef

Dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten Investitionen aufschiebe, in der Hoffnung, dass es bald noch billiger wird. „Wir werden nicht vor der niedrigen Inflation kapitulieren“, betonte der EZB-Präsident.

Draghi hatte bei der Entscheidung zum weiteren Öffnen der Geldschleusen nach eigenen Worten großen Rückhalt im Führungsgremium der Zentralbank. Der Beschluss sei mit einer „überwältigenden Mehrheit“ getroffen worden, sagte Draghi am Donnerstag. Die Diskussion sei „positiv und konstruktiv“ gewesen. Zugleich betonte er, die EZB habe ihr Pulver noch nicht verschossen.

Noch nie gesehenes Paket

Fest steht aber, dass das zuletzt geschnürte Paket ein in dieser Dimension noch nie dagewesenes ist: Leitzins bei null, noch höhere Strafzinsen für Banken, wenn sie Geld bei der Notenbank einlagern und eine Ausweitung des Milliardenankaufprogramms von Krediten. Das bleibt auch für die Verbraucher nicht ohne Folgen. Und Sparer trifft es dabei doppelt - Sparzinsen gibt es jetzt schon praktisch nicht mehr. Im Raum stehen bereits Schlagworte wie Negativzinsen für Sparguthaben. Das schließen die großen heimischen Banken aber auch nach dem Zinsentscheid aus.

Keine Sparzinsen, mehr Bankgebühren

Franz Hahn, Experte des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), glaubt, dass auf die Bankkunden neue Gebühren zukommen könnten. „Die Banken werden ihre Gebührenpolitik viel kostenorientierter betreiben müssen, also alle Dienstleistungen, die sie anbieten, als Kostenposition kalkulieren.“ So könnten sie künftig auch Bankomatgebühren verlangen. Jedenfalls müssten die Banken weiter rationalisieren: „Personalaufwand ist das zentrale Problem, Filialschließungen sind längst überfällig.“

Geldhäuser unter Druck

Darüber, dass die neuerliche Zinssenkung die Banken dazu bringen soll, mehr Kredite zu vergeben, zeigt sich Hahn pessimistisch. „Die Banken verdienen ja an der Fristentransformation“, sagte Hahn am Donnerstag, aber „wenn sie kurzfristig null Prozent kriegen und langfristig auch null Prozent, dann bringt ihnen das nichts“. Verdienen könnten nur jene Banken, die „sehr schlanke Kostenstrukturen“ hätten. Kreditnehmer, also potenzielle Profiteure von niedrigen Zinsen, dürfen sich allerdings auch keine großen Hoffnungen machen: Viel Spielraum nach unten, heißt es vom größten Geldhaus, der UniCredit Bank Austria, gebe es da nicht mehr.

Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer (WKO), bezeichnete den EZB-Entscheid als „Weckruf“, der für den Finanzsektor eine große Belastung darstelle. „Die EZB war ein wirkungsvoller Krisenmanager, jetzt ist die nationale Politik ultimativ gefordert, ihr endlich beispringen“, so Leitl. Bessere Rahmenbedingungen seien eine Herausforderung und Aufgabe für alle, so Leitl. „Ohne unterstützende Maßnahmen – insbesondere durch die Umsetzung von Strukturreformen, aber auch durch gezielte Investitionsimpulse und Wachstumsanreize – wird die Übung nicht gelingen.“

Entsetzen bei Banken

In Deutschland reagierte die Bankenszene entsetzt auf die Ankündigung: Der deutsche Bankenverband bezeichnete das Maßnahmenpaket der EZB als „Gift“. Es sei „vollkommen unnötig“, dass die EZB den Geldhahn noch weiter aufgedreht habe, erklärte Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer.

Die Beschlüsse der Notenbank würden für „immer mehr Menschen in der Euro-Zone zu einer Belastung“, kritisierte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon. Ähnlich äußerte sich der Bundesverband Öffentlicher Banken: Die Entscheidung der EZB „verstärkt den Abwärtsstrudel für die Sparer“, kritisierte der Verband.

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