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Flüchtlingskonvention wird unterminiert

In Europa scheint mit der Flüchtlingskrise die Genfer Flüchtlingskonvention und das Recht auf Asyl nicht mehr unantastbar. Im Schatten von Terror und Integrationsängsten stellte sich am Freitag der Präsident der Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Koen Lenaerts, demonstrativ vor diese.

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„Die Genfer Flüchtlingskonvention ist seit 60 Jahren in Kraft, und es gab bisher keinen vernünftigen Vorschlag zur Änderung“, so Lenaerts in Wien im Rahmen der 44. Präsidentenkonferenz mit Repräsentanten der europäischen Anwaltsorganisationen im Palais Ferstel. Er wisse aber um die Grenzen seiner Institution. „Wo kein Kläger, da kein Richter.“

Wenn kein Verfahren anhängig sei, könne der Gerichtshof nicht einschreiten, so Lenaerts. Wenn er eingeschaltet wird, kann es dafür rasch gehen, wie ein aktuelles Urteil zeigt. Der EuGH habe innerhalb von drei Monaten eine Entscheidung gefällt, unter welchen Umständen Asylbewerber in Haft genommen werden dürfen, so Lenaerts im Gespräch mit der APA.

„Recht auf Asyl anders gemeint“

Stimmen, die die Genfer Flüchtlingskonvention aufweichen wollen, werden unterdessen lauter. Darunter fällt der umstrittene ehemalige SPD-Politiker Thilo Sarazzin, der ebenfalls in Wien bei dem Treffen war und wie Lenaert sein Impulsreferat hielt. Für ihn waren „das Recht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention historisch anders gemeint“. Niemand habe „an massenhaften Zustrom aus Afrika und Asien“ gedacht.

Sarazzin hält ein striktes Grenzregime für „alternativlos“. Wenn das Schengen-Abkommen nicht mehr funktioniere, müsse etwa Deutschland eben nationalstaatlich handeln und die Grenzen schließen. Zudem plädierte er für ein neues, scharfes europäisches Asylrecht.

„Hilfsbereitschaft und Hass“

„In der Bevölkerung steht unglaubliche Hilfsbereitschaft unfassbarem Hass gegenüber“, sagte Hannes Tretter, Kodirektor des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte. Den Spagat zwischen Sicherheit, Souveränität, sozialem Frieden und akzeptierten Fluchtgründen zu finden sei schwierig, so der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages, Rupert Wolff. Beide sprachen ebenfalls bei dem Treffen.

„Rechtstaatlichkeit muss aufrecht bleiben“

Die dramatische Lage an den „Hotspots“ auf den griechischen Inseln nahm Conlan Smyth, Vorsitzender des Arbeitskreises Migration des Verbandes der Europäischen Anwaltsvereinigungen (CCBE), zum Anlass, bei dem Treffen darauf zu dringen, dass „die Rechtstaatlichkeit aufrecht bleiben muss“. Auch und gerade aufgrund der Situation, dass der Winter keinen Rückgang der Flüchtlingszahlen gebracht habe. Im Jänner seien erneut Tausende Menschen vor dem Ertrinken gerettet worden, Dutzende, darunter Kinder, überlebten nicht.

Für Smyth haben Zäune und andere „physische Barrieren“ einzelner europäischer Länder das Grundrecht auf Asyl bereits unterminiert, wenn nicht komplett außer Kraft gesetzt. „Viele sind dadurch gestrandet“ oder zurück nach Griechenland, wo die Lage „ziemlich prekär“ sei. Er gab zu bedenken, dass für 2016 wieder mehr als eine Million Flüchtlinge zu erwarten sei, die versuchten, nach Europa zu gelangen. Es würden mehr Frauen und Kinder kommen, so Smyth. Auch die von Dänemark verabschiedeten Gesetze hält der Rechtsanwalt für „mit dem Geist der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vereinbar“.

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