„Willkommenskultur gibt es nicht mehr“
Bereits in wenigen Wochen wird die „Winterpause“ in der Flüchtlingskrise enden, und es werden täglich wieder deutlich mehr Menschen über das Mittelmeer nach Europa kommen. Eine europäische Strategie ist freilich weiterhin nicht in Sicht, im Gegenteil: Die nationalen Alleingänge - wie zuletzt die österreichische Entscheidung, eine Höchstgrenze einzuführen - mehren sich.
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Zumindest die ÖVP sieht darin aber eher einen Schritt, um Bewegung in den Stillstand auf europäischer Ebene zu bringen. So erhofft sich Außenminister Sebastian Kurz nach eigenen Worten einen „Dominoeffekt“ durch vermehrte Rückweisungen. Innenministerin Mikl-Leitner spricht sogar von einem „Dominoeffekt der Vernunft“ und einer „Schubumkehr“ in der Flüchtlingskrise. Wenn Flüchtlinge von Zentraleuropa nach Griechenland zurückkommen, so die Überlegung, werde Athen beginnen, seine Außengrenze stärker zu schützen, und dadurch würden weniger Asylwerber über die Türkei in die EU kommen.
Mehr als 2.000
Offen ist, ob dieses Kalkül politisch aufgehen kann: Bleibt man in der von Kurz verwendeten Bildsprache, erinnert die Situation an der deutsch-österreichischen Grenze offenbar eher an ein Karussell als an Domino. Deutschland schiebt laut dem Sprecher der Landespolizeidirektion Oberösterreich, David Furthner, seit Jahresbeginn deutlich mehr Asylwerber über die bayrische Grenze zurück. Waren es im gesamten Dezember - die erste Rückführung überhaupt fand am 2. Dezember statt - 1.564 Personen, so waren es im Jänner bereits bis Sonntag 2.199, wie Furthner im Telefoninterview mit ORF.at betonte.
„Werden hin- und hergeschickt“
Diese Menschen treten dann aber meist nicht die Rückreise in ihre Heimat an. Der „überwiegende Teil“ versuche vielmehr erneut, nach Deutschland zu kommen oder reise in ein anderes EU-Land, etwa Italien weiter. „Das ist das Dilemma derzeit, dass die Menschen in der EU hin- und hergeschickt werden.“ Es gebe Menschen, die schon drei- oder viermal aus Deutschland nach Österreich rücküberwiesen worden seien, es aber immer wieder versuchten, so Furthner.
Derzeit wenige Syrer
Die wenigsten Menschen, die derzeit kommen, sind Syrer, betont der oberösterreichische Polizeisprecher Furthner. Das bestätigte zuletzt auch das Rote Kreuz.
Die österreichische Polizei könne allein aus rechtlichen Gründen die Menschen nicht anhalten und zur Rückreise zwingen. Und das wolle man auch aus moralischen Gründen nicht, wie Furthner hinzufügt. Eine Anhaltung sei laut Fremdenrecht bis zu maximal 48 Stunden möglich. Wer wolle, könne vorübergehend in einem Zelt in Schärding Unterschlupf finden oder werde von der Polizei nach Linz in das ehemalige Postverteilzentrum gebracht. Die dritte Möglichkeit sei, „dass sie uns nicht brauchen“. Diese Leute würden dann zum Bahnhof in Schärding gehen und von dort mit dem Zug wegfahren - zumeist aber eben nach Deutschland oder Italien.
„Deutschland muss klar kommunizieren“
Er fordert, Deutschland müsse offen und klar kommunizieren, dass es nicht mehr unbeschränkt und bedingungslos alle Menschen, die an seine Grenzen kommen, aufnähme. Denn seit Dezember stellen deutsche Behörden zwei Bedingungen, um Flüchtlinge weiter ins Land zu lassen: Sie müssen in Deutschland Asyl beantragen und ein gültiges Reisedokument haben. Etwa jeder Zehnte wird laut Furthner derzeit zurückgewiesen.
„Die Willkommenskultur gibt es nicht mehr“ - auch in Deutschland gelte sie damit nicht mehr uneingeschränkt, so Furthners Fazit. Das müsse die deutsche Regierung, allen voran Kanzlerin Angela Merkel, aber klar kommunizieren. Dann, so ist die oberösterreichische Polizei überzeugt, würden auch weniger Menschen kommen.
Und Furthner schildert als konkretes Beispiel den Fall eines Mannes, dessen Bruder noch vor wenigen Wochen über Österreich nach Deutschland kam: Dort wurde Letzterer von den Behörden auf eigenen Wunsch nach Schweden gebracht, und er stellte dort einen Asylantrag. Der Mann selbst kommt dagegen nicht mehr über die bayrische Grenze, da er nicht in Deutschland, sondern wie sein Bruder in Schweden um Asyl ansuchen will. Dieser Mann verstehe nun nicht, warum sein Bruder nach Schweden durfte, er aber nicht.
Übergabe im „Einbahnsystem“
Grundsätzlich werden alle Flüchtlinge, wenn sie von den deutschen Behörden rücküberwiesen werden, in Österreich registriert. Laut Furthner gibt es ein „Einbahnsystem“: Menschen werden über die Transitzone in Braunau von Österreich nach Deutschland weitergereicht, die Rücküberweisungen werden dagegen in Schärding durchgeführt. Eigentlich sei mit den bayrischen Kollegen ausgemacht, dass maximal 60 Personen pro Tag nach Österreich ausgewiesen werden. Deutschland halte sich aber nicht mehr daran, so Furthner.
Keine Kernaufgabe
„Schwierig“ werde es dann im März: Ab dann rechnet die Exekutive, dass wieder deutlich mehr Menschen den Weg nach Europa suchen - und dass dann auch die Rückführungen an der bayrischen Grenze zunehmen werden. Vorkehrungen trifft die Polizei laut Furthner dafür aber nicht. Man werde die Lage natürlich beobachten und gegebenenfalls Notzelte zur Verfügung stellen. Furthner betont aber, dass die Exekutive ihre Kapazitätsgrenze erreicht habe und diese zuallererst ihre Grundaufgaben erfülle müsse. Man habe ohnehin schon viele Zusatzaufgaben in der Flüchtlingskrise übernommen, das sei nicht die Kernaufgabe der Polizei, so Furthner.
Guido Tiefenthaler, ORF.at
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