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Brodeln in Regierung und den Parteien

Einigkeit zeigen und Handlungsfähigkeit beweisen: Mit diesem Vorsatz hat die Regierung zunächst versucht, die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Was zu Beginn noch so einigermaßen funktioniert hat, ist spätestens mit den Plänen für den Grenzübergang Spielfeld Geschichte. Das ständige Hickhack wurde mittlerweile zum offenen Disput zwischen SPÖ und ÖVP - mit unklarem Ausgang.

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Den Anfang genommen hatte der Streit mit der leicht bizarren Debatte über „besondere bauliche Maßnahmen“, wie das Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zunächst nannte. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sprach dann von „technischer Sicherung“, Kanzler Werner Faymann (SPÖ) von „Türen mit Seitenteilen“. Mikl-Leitner nahm irgendwann doch das Wort „Zaun“ in den Mund - und versprach Vorschläge für die Umsetzung.

Schon wieder verschoben

Diese wurden zunächst schon vergangene Woche erwartet, dann verschoben - und am Mittwoch noch einmal verschoben. Verkünden mussten das Beamte, kein Regierungsmitglied ließ sich vor der Presse blicken. Am Freitag sollen die Vorschläge jetzt präsentiert werden.

Bereits am Dienstag stritten Faymann und Mitterlehner im Ministerrat dann schon darüber, ob ihnen die Pläne selbst vorliegen: Faymann dementierte, Mitterlehner wiederum sagte, es gebe sie, „wenn Sie so wollen“, es gebe „zwei Wahrheiten, die sich an sich nicht entgegenstehen“.

Als eine „neue Qualität“ der Streitereien zwischen Koalitionspartnern werteten die Kommentatoren den Auftritt. Dass Gegensätze derart offen ausgetragen werden, erlebe man „nur selten“, meinte ORF-Reporter Wolfang Geier.

„Erlebt man nur selten“

Von der Faymann-Mitterlehner-Pressekonferenz erstaunt zeigte sich ORF-Reporter Geier.

„Am Ende“, „billig“ und „schlichtweg peinlich“

„Die Koalition ist am Ende“, schrieben die „Salzburger Nachrichten“. „Was uns Rot-Schwarz derzeit zumutet, taugt nicht einmal mehr als billiges Unterhaltungsprogramm für strenggläubige Parteifunktionäre“, schrieb der „Kurier“ und forderte, dass Experten die Sache in die Hand nehmen. „Im Grunde nutzt die Regierung jede Gelegenheit, ihre Kompetenz infrage zu stellen. Was hier seit Tagen aufgeführt wird, ist schlichtweg peinlich“, hieß es im „Standard“.

Politische Profilierung und Befindlichkeiten

Man sei gemeinsam in einer Regierung, lebe aber in zwei Welten, analysierte Stefan Kappacher im Ö1-Mittagsjournal. Politisch gehe es natürlich um parteipolitische Profilierung: Die ÖVP sei mittlerweile auf ihren Law-and-Order-Kurs eingeschwenkt, nicht nur Mikl-Leitner, sondern auch Außenminister Sebastian Kurz sei die treibende Kraft dahinter. Und die SPÖ versuche sich als Vertreterin der Willkommenskultur zu positionieren - immer mit dem Blick Richtung Deutschland, wie die Kanzlerin Angela Merkel dort agiere. Schließlich kann es für Österreich eng werden, wenn Berlin einen Kurswechsel beschließt.

Gleichzeitig gehe es bei dem Streit auch um persönliche Befindlichkeiten, heißt es in der Ö1-Analyse. Die Koalition sei wie ein altes Ehepaar, das keine Kränkung vergessen kann und sie sich auch nach Jahren noch vorwirft - mehr dazu in oe1.ORF.at

Bildungsreform als nächster Stolperstein

Abgesehen von der Flüchtlingsfrage wartet schon die nächste Bewährungsprobe - und die wiegt schwer. Die Bildungsreform soll präsentiert werden, also ein Thema, um das schon Jahre gestritten wurde und an dem die ideologischen Unterschiede zwischen SPÖ und ÖVP wie bei keinem anderen zutage treten. Die Bildungsreform wäre der letzte „Beweis für die Existenzberechtigung dieser Regierung“, meinte Kappacher.

Dabei galt das Verhältnis von Mitterlehner und Faymann eigentlich als solide, große Reibepunkte oder gar Streitereien waren in den vergangenen Monaten kaum zu bemerken. Mitterlehner hatte im Sommer des Vorjahres Michael Spindelegger als ÖVP-Chef und Vizekanzler abgelöst. SPÖ und ÖVP versprachen damals, das ständige Hickhack, das zuvor die Regierungsarbeitet beeinträchtig hatte, einzustellen und mit „frischem Wind“ Reformen und konkrete Ergebnisse auf den Weg zu bringen.

Gefährliche Neuwahlen

Ende September stellte dann Mitterlehner der SPÖ schon einmal die Rute ins Fenster: Ohne konkrete Ergebnisse „macht es keinen Sinn, weiterzuwurschteln“. Nur: Nach den Verlusten bei den Landtagswahlen in Oberösterreich und Wien sind SPÖ und ÖVP ohnehin angeschlagen. Bundesweite Umfragen sehen noch viel dramatischer aus, die FPÖ liegt seit Monaten unangefochten an der Spitze.

ORF-Innenpolitikchef Hans Bürger

Die „Zaun“-Entscheidung wurde von Regierungsexperten erneut verschoben. Was sagt das über die Regierung aus? Hans Bürger analysiert.

Die Koalition zu sprengen und eine vorgezogene Neuwahl auszurufen wäre also fatal. Darauf verwies auch ORF-Fernsehinnenpolitikchef Hans Bürger in seiner Analyse. Bei dem derzeitigen Auftreten der Koalition freue sich der Dritte, das könnten nur die Freiheitlichen sein. Insofern sind SPÖ und ÖVP in ihrer „Vernunftehe“ aneinandergekettet, zumal abgesehen von den Präsidentschaftswahlen im nächsten Frühjahr eigentlich für einige Zeit keine großen Wahlen anstehen.

Rumoren auch in den Parteien

Allerdings werden die Sticheleien mehr - zwischen, aber auch innerhalb der Parteien: So wirft die ÖVP Kanzler Faymann mangelnde Leadership vor, heißt es im Ö1-Kommentar. Und der SPÖ-Chef ist auch schon lange innerparteilich unter Druck. Die seit Monaten schwelenden Spekulationen über ÖBB-Chef Christian Kern als potenziellen Nachfolger köcheln immer wieder auf. Und Kappacher erinnerte auch an die öffentliche Kritik von Karl Blecha, Chef des SPÖ-Pensionistenverbands, an der Parteispitze, die unverzüglich wieder zurückgenommen wurde.

In der ÖVP wiederum, berichtete Bürger, würde sich der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll verstärkt für Mikl-Leitner einsetzen und habe deswegen auch schon Mitterlehner angesprochen. Den Streit also vor allem über die Innenministerin auszutragen sei gefährlich für die Koalition. Ein fliegender Koalitionswechsel - eine Koalition von ÖVP und FPÖ - sei derzeit ausgeschlossen, meinte Bürger. Im Frühjahr sei dieser allerdings näher gewesen als gedacht.

Christian Körber, ORF.at

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