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Ein Aber für Junckers Vorschlag

Die für Soziales zuständige EU-Kommissarin Marianne Thyssen ist für einen vollen Zugang von Asylwerben zum Arbeitsmarkt vom Tag ihrer Ankunft an. Sie unterstütze den entsprechenden Vorstoß von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, den dieser vor rund zwei Wochen bei seiner Rede zur Lage der Nation unternommen hatte, so Thyssen in einem Interview mit ORF.at.

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Allerdings verweist Thyssen auch darauf, dass dieser Vorschlag nicht in den offiziellen Vorschlägen der Kommission enthalten sei. Ein Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge ab dem ersten Tag sei daher „nicht auf dem Tisch“. Auch beim Ratstreffen der Sozialminister Anfang Oktober werde das kein Thema sein.

In mehreren EU-Ländern, insbesondere auch in Österreich, war rund um diese Frage zuletzt eine teils hitzige Debatte entstanden. Nach einer anfänglich strikten Ablehnung hatte sich Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) zuletzt wieder offener dafür gezeigt. Er verwies aber darauf, dass das nur im europäischen Einklang geschehen könne. Trotzdem hatte er dafür von der FPÖ heftige Kritik geerntet.

Bestehende Bestimmungen umsetzen

Thyssen betont dagegen, dass es jetzt zunächst einmal darum gehe, dass die EU-Staaten die Bestimmungen der derzeit gültigen EU-Richtlinie voll umsetzten. Demnach müssen Asylwerber spätestens neun Monate nach Eintreffen in einem Land Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Das ist in Österreich theoretisch auch schon nach drei Monaten möglich. De facto aber ist der Zugang deutlich beschränkt, durch einen Erlass aus dem Jahr 2004 etwa auf ganz wenige Sparten wie Saisonarbeiter und Zeitungskolporteure, was NGOs und Grüne immer wieder kritisieren.

„Natürlich werden das Populisten ausnützen“

Auf die Frage, ob sie nicht die Sorge habe, dass eine rasche Aufnahme in den Arbeitsmarkt rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien in den Mitgliedsländern stärken könnte, betont Thyssen: „Natürlich gibt es Populisten in den Mitgliedsländern, die die Situation ausnützen werden.“ Aber sie sei überzeugt, dass viele Menschen verstünden, dass man jenen helfen müsse, die nun Zuflucht in Europa suchen. In Anlehnung an Junckers Rede erinnert Thyssen gegenüber ORF.at an die jüngere europäische Geschichte: „Auch wir in Europa haben Zeiten erlebt, wo wir woanders Zuflucht gesucht haben.“

Vor Populisten „dürfen wir keine Angst haben“ - vielmehr müsse man das Möglichste tun, um „den Menschen, die wirklich unseren Schutz brauchen, herzlich willkommen zu heißen“. Andererseits müsse man auch alles tun, um eine gute „Rückkehrpolitik“ für jene, die einen Anspruch auf diese internationale Unterstützung hätten, zu schaffen.

Ein rascher Zugang zum Arbeitsmarkt sei für Flüchtlinge „sehr wichtig, um zur Gesellschaft zu gehören“: „Je früher wir sie in den Arbeitsmarkt integrieren, desto besser ist es für die Flüchtlinge selbst, aber auch für die Gesellschaft insgesamt.“ Freilich räumt Thyssen auch ein, dass das einfacher gesagt als getan sei.

Geld liegt brach

Zusätzliches Budget dafür werde es nicht geben, wie die Kommissarin sagt. Aber sie selbst und alle anderen Kommissare, denen Hilfsfonds zur Verfügung stehen, würden derzeit „jeden Stein umdrehen“, um Geld für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen bereitzustellen.

In Thyssens Zuständigkeitsbereich fällt etwa der Europäische Sozialfonds (ESF), der insgesamt mit rund 20 Milliarden Euro dotiert ist. Davon sind mindestens 20 Prozent, also vier Milliarden Euro, für die Integration von Flüchtlingen und Migranten, zweckgewidmet. Das gesamte Geld des Fonds ist grundsätzlich bereits verplant.

Doch Thyssen betont, dass Mitgliedsländer bisher gar nicht das gesamte ihnen zustehende Geld abgerufen hätten. Die Kommission versuche daher jetzt, den Staaten zu helfen, wie sie an diese Gelder kommen und sie besser einsetzen können. Und Thyssen zeigt sich auch offen dafür, bereits ausverhandelte Projekte wieder aufzuschnüren, um Geld für diesen Zweck freizumachen. „Wir sind flexibel und bereit, die Programme zu ändern“ - wenn dieser Wunsch von den Mitgliedsländern komme. Ob das gemacht werde, zeige sich erst in den nächsten Tagen und beim Sozialministertreffen am 5. Oktober.

Guido Tiefenthaler, ORF.at, aus Brüssel

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