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120.000 Flüchtlinge werden verteilt

Die Slowakei hat eine Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die am Dienstag beschlossene Umverteilung von 120.000 Asylwerbern unter den EU-Mitgliedsstaaten angekündigt. „Die Slowakei hat nicht die Absicht, verpflichtende Quoten zu akzeptieren. Wir werden Klage vor dem Gerichtshof in Luxemburg einreichen“, so der slowakische Ministerpräsident Robert Fico am Mittwoch in Bratislava.

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Die EU-Innenminister hatten die Umverteilung gegen den Widerstand der Slowakei, Tschechiens, Ungarns und Rumäniens in einer Mehrheitsentscheidung beschlossen. Fico hatte das als „Diktat“ kritisiert und ankündigt, er werde sich nicht an den Mehrheitsbeschluss halten.

Slowakei „natürlich im Konflikt mit EU“

Jedes EU-Land hat laut Fico das Recht, in Luxemburg zu klagen, diese Vorgangsweise sei voll legitim. „Entweder werden wir auf unserer Ansicht bestehen, dass die Quoten unsinnig sind, oder wir werden lächerlich aussehen“, fügte er hinzu. Beim Beschluss des Ministerrats ging es seiner Meinung nach eher um die Symbolbedeutung der Quoten als um eine reale Lösung des Flüchtlingsproblems.

An der Kabinettssitzung am Mittwoch in Bratislava hatte auch die Vertreterin der Slowakei vor europäischen Gerichten teilgenommen und wurde beauftragt, in der gegebenen zweimonatigen Frist die Klage vorzubereiten, fügte der Premier hinzu. Zugleich werde die Slowakei den Beschluss des Innenministerrats wie bereits angekündigt nicht umsetzen, so Fico erneut. Sein Land halte nämlich „Quoten für etwas, was nicht funktionieren wird“.

Dadurch, gab Fico zu, gerate die Slowakei „natürlich in einen Konflikt mit der EU“, und es könne auch zu einem „Vertragsverletzungsprozess“ kommen, bei dem die EU-Kommission ein Verfahren gegen die Slowakei einleitet, weil das Land eine verbindliche Entscheidung nicht akzeptieren wird. „Unsere Position bleibt aber unverändert“, betonte Fico.

„Unzufriedenheit“ beim Gipfel ausdrücken

Auch Tschechien kritisierte die Entscheidung scharf, Innenminister Milan Chovanec sprach von einer „leeren Geste“. Tschechien wird im Gegensatz zur Slowakei aber wohl nicht gegen die EU-Flüchtlingsquoten vor Gericht ziehen. Ministerpräsident Bohuslav Sobotka und eine Mehrheit der sozialdemokratischen Minister hätten sich dagegen ausgesprochen, berichtete die Agentur CTK nach Beratungen der Partei am Mittwoch.

Neben Tschechien, Ungarn und der Slowakei hatte auch Rumänien gegen die Einführung verpflichtender Quoten gestimmt, wurde aber von den restlichen EU-Mitgliedern überstimmt. Polen, das ebenfalls Bedenken gegen die Verteilung geäußert hatte, scherte aus der Visegrad-Gruppe der Gegner aus und stimmte im Rat für das Vorhaben.

Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis bedauerte, dass die Entscheidung der EU-Innenminister zur Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen nach einer verpflichtenden Quote nicht aufgrund eines Konsenses erfolgte. Rumäniens Quote sei aber „tatsächlich nicht hoch“ und „leicht zu handhaben“. „Diese mathematische Umverteilung missachtet eine Reihe sehr wichtiger Faktoren“, gab Johannis aber zu bedenken und sagte, er werde auch beim am Mittwochabend beginnenden Gipfel seine „Unzufriedenheit“ darüber ausdrücken.

EU-Sozialdemokraten für Suspendierung von Fico

Der Vorsitzende der Sozialdemokraten (SPE) im Europaparlament, Gianni Pittella, forderte unterdessen kurz vor dem Gipfel die Aussetzung der Mitgliedschaft seines slowakischen Parteifreundes und Premiers Fico. Die Positionen von Fico in der Flüchtlingsfrage hätten die gesamte sozialdemokratische Familie beschämt.

Erbost zeigte sich Pittella vor allem über die Aussage Ficos zu Muslimen. Die Slowakei sei „für Slowaken errichtet worden und nicht für Minderheiten“, hatte dieser gesagt. Die beharrliche Unwilligkeit, Verantwortung zu übernehmen und Solidarität angesichts der Flüchtlingskrise zu zeigen, stehe in Widerspruch zu den Werten und politischen Überzeugungen der Sozialdemokratischen Partei, monierte Pittella. Deswegen schlage er vor, dass der Vorsitzende der europäischen Sozialdemokraten, Sergej Stanischew, das Ausschlussverfahren gegen Fico einleite.

„Nagelprobe für Europäische Union“

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) zeigte sich untmittelbar vor Beginn des EU-Sondergipfels mit dem Beschluss der EU-Innenminister zufrieden. Er erwarte nicht, dass diese Entscheidung durch die Staats- und Regierungschef geändert wird, sagte der Bundeskanzler am Mittwoch im Ö1-Mittagsjournal.

Außer der Debatte wünscht sich der Kanzler vom Gipfel eine Vereinbarung über die finanzielle Hilfe für Flüchtlinge in der Region, konkret nannte der Kanzler Jordanien, den Libanon und die Türkei. „Das ist eine Nagelprobe für die Europäische Union und nicht ein Abendessen mit diplomatischem allgemeinen Floskelcharakter.“ Geht es nach Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) müssen sich auch die vier überstimmten Länder an die nun beschlossene Quote halten. Das Prozedere müsse allerdings erst fixiert werden, Voraussetzung seien funktionierende „Hotspots“, also Erstaufnahmestellen an den EU-Grenzen.

Keine Strafzahlungen

Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) sagte, man habe hart daran gearbeitet, dass das zuvor kritische Polen mitstimmt. Eine „Strafzahlung“ für Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, wurde abgelehnt. Frankreich und Deutschland seien absolut dagegen gewesen, sagte De Maiziere: „Es kann kein Geschäft geben: Geld gegen Flüchtlinge.“

Ungarisches Kontingent wird verteilt

Der Streit über die Umverteilung blockiert seit Monaten ein abgestimmtes Vorgehen der Europäer in der Flüchtlingskrise. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, in den kommenden beiden Jahren 120.000 Flüchtlinge aus den stark belasteten Ländern Italien, Griechenland und Ungarn über verbindliche Quoten auf die anderen EU-Staaten zu verteilen. Die Umsiedlung von 40.000 Menschen war bereits - auf freiwilliger Basis - zuvor beschlossen worden.

Aus Italien sollen es 15.600 sein, aus Griechenland 50.400. Ungarn als grundsätzlicher Quotengegner lehnte es für sich aber ab, entlastet zu werden. Das für Ungarn vorgesehene Kontingent von 54.000 solle über die kommenden beiden Jahre nun „anderen Staaten in Not“ zugeschlagen werden. Die EU-Kommission oder ein einzelnes Land könnte beantragen, dass von dort Flüchtlinge verteilt würden. „Das können alle Staaten in Anspruch nehmen (...), also auch Deutschland. Ob wir das tun, ist eine andere Frage“, sagte de Maiziere. Unter anderem Kroatien hat offenbar Bedarf angemeldet. Auch Österreich könnte vom Rahmen des ungarischen Kontingents profitieren, so Mikl-Leitner.

„Zeichen der Handlungsfähigkeit“

Mikl-Leitner bezeichnete den Beschluss als Zeichen der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union: „Heute war der Tag der Entscheidung.“ Es sei eine „eindeutige qualifizierte Mehrheit“ erreicht worden. Außerdem sei damit auch klargestellt worden, dass „jene, die nicht mitgestimmt haben, auch Flüchtlinge aufzunehmen haben“.

Entscheidend für die Ministerin ist auch, dass dem „Asyltourismus“ ebenfalls ein Ende gesetzt worden sei. „Es kommt zu einem Doppelschlag“, erstens zur Entlastung der Balkan-Route, das heißt auch zur Entlastung Österreichs, führte die Innenministerin aus. Zweitens könnten sich Flüchtlinge künftig nicht mehr aussuchen, wo sie um Asyl ansuchen.

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