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VW-Aktie stürzt weiter ab

Die finanziellen Auswirkungen auf VW wegen des Skandals um manipulierte Abgaswerte in den USA sind bereits jetzt astronomisch. Allein seit Bekanntwerden des Skandals büßte der Konzern knapp 27 Milliarden Euro an Börsenwert ein.

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Der Absturz der VW-Aktie setzte sich am Mittwoch unvermindert fort. Nach Börsenstart in Frankfurt am Main verlor das Wertpapier des Konzerns aus Wolfsburg zeitweise acht Prozent. Nach Bekanntwerden des Abgasskandals hatte die Aktie am Montag und Dienstag insgesamt fast 40 Prozent verloren.

Rückstellung belastet Hauptaktionär Porsche

Die Rückstellung des VW-Konzerns in Zusammenhang mit dem Abgasskandal wird auch das Ergebnis des VW-Hauptaktionärs Porsche SE belasten. Das Ergebnisziel der Porsche SE für dieses Jahr müsse dem Kapitalanteil am VW-Konzern von 31,5 Prozent entsprechend angepasst werden, teilte die Holding am Dienstag mit. VW hatte am Dienstag angekündigt, im dritten Quartal rund 6,5 Milliarden Euro zurückzustellen.

Ein Mann sieht sich am Monitor die Videobotschft von VW-Chef Winterkorn an

APA/EPA/Julian Stratenschulte

Nach der Entschuldigung von VW-Chef Martin Winterkorn wird nun mit Spannung eine Reaktion des Aufsichtsratspräsidiums erwartet

Die Rücklagenbildung war offenbar notwendig geworden, da VW davon ausgeht, dass weltweit insgesamt rund elf Millionen Fahrzeuge betroffen sind. Bei einem bestimmten Motortyp sei „eine auffällige Abweichung zwischen Prüfungswerten und realem Fahrbetrieb“ festgestellt worden. Das Unternehmen stehe dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem deutschen Kraftfahrtbundesamt. Bei der Rückstellung handle es sich aber nur um eine Vorsichtsmaßnahme, beeilte man sich vonseiten VWs zu sagen.

Angeblich „Deepwater Horizon“-Anwälte angeheuert

In den USA kann VW laut den ermittelnden Behörden mit einer Strafe von bis zu 18 Milliarden Dollar rechnen - von dem Skandal sind dort rund 500.000 Wagen betroffen. Zu der Strafe kommen Schadenersatzklagen und Kosten für Rücknahme unverkäuflicher Fahrzeuge in den USA. Auch in Deutschland bereiten Anleger Klagen vor. In den USA hat das Justizministerium Medienberichten zufolge strafrechtliche Ermittlungen gegen VW eingeleitet.

VW heuerte angeblich die bekannte US-Anwaltskanzlei Kirkland & Ellis LLP an. Das berichtete die Agentur Bloomberg am Dienstagabend (Ortszeit) unter Berufung auf eine VW-Sprecherin. Die Kanzlei hatte den Ölkonzern BP nach der Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ im Jahre 2010 mit elf Toten vertreten. Eine Sprecherin der Kanzlei lehnte eine Stellungnahme allerdings ab.

Winterkorn bittet um Vertrauen

VW-Chef Martin Winterkorn sagte unterdessen eine umfassende Aufklärung zu und bat um Vertrauen. „Wir klären das auf“, sagte Winterkorn in einer Videobotschaft per Internet am Dienstag. „Ich gebe Ihnen mein Wort, bei all dem werden wir mit der nötigen Transparenz und Offenheit vorgehen.“ Eine solche Manipulation dürfe es nie wieder geben. „Wir werden alles tun, um Ihr Vertrauen Schritt für Schritt zurückzugewinnen“, ergänzte er. Die rund 600.000 Mitarbeiter des Konzerns hätten es nicht verdient, unter Generalverdacht gestellt zu werden.

Volkswagen Werk

APA/EPA/Volkswagen Nigel Treblin

Ein Wagen wird montiert

„Die Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren unseres Konzerns widersprechen allem, für was Volkswagen steht. Auch ich habe zum jetzigen Zeitpunkt nicht die Antworten auf alle Fragen.“ Der 68-Jährige betonte: „Es tut mir unendlich leid, dass wir dieses Vertrauen enttäuscht haben. Ich entschuldige mich in aller Form bei unseren Kunden, bei den Behörden und der gesamten Öffentlichkeit für das Fehlverhalten.“

Präsidium startete Krisensitzung in Wolfsburg

Am Abend kursierten Gerüchte über eine bevorstehende Ablöse Winterkorns. Die mit Spannung erwartete Krisensitzung des Aufsichtsratspräsidiums begann Mittwochvormittag in Wolfsburg an einem geheimen Ort, wie aus dem Umfeld des Gremiums zu erfahren war.

Dem engsten Führungszirkel des Aufsichtsrats gehören der noch amtierende Aufsichtsratschef und frühere IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber, von der Arbeitnehmerseite Betriebsratschef Bernd Osterloh und sein Stellvertreter Stephan Wolf, von der Eignerseite Wolfgang Porsche als Vertreter des Hauptaktionärs Porsche SE sowie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil an. Winterkorn muss dem Gremium Rede und Antwort darüber stehen, wie es zu der Manipulation kam.

Personelle Konsequenzen erwartet

Die Abgasaffäre wird nach Auffassung von Aufsichtsratsmitglied Olaf Lies am Ende auch personelle Konsequenzen haben. „Wir werden jetzt, glaube ich, in den nächsten Tagen und Wochen (...) die Details erfahren, wer wann wo welche Entscheidungen getroffen hat, wer dafür verantwortlich ist“, sagte der niedersächsische Wirtschaftsminister am Dienstag im Deutschlandfunk.

Wenn dann klar sei, welche Personen verantwortlich seien, könne man auch die entsprechenden Konsequenzen ziehen. „Und ich bin mir sicher, daraus wird es dann am Ende auch personelle Konsequenzen geben“, sagte Lies. Einen Rücktritt von Winterkorn forderte er nicht. Das deutsche Bundesland Niedersachsen ist der zweitgrößte VW-Anteilseigner.

VW in Turbulenzen

Die Affäre um frisierte Dieselabgaswerte entwickelt sich für VW zum großen Skandal. Die VW-Aktie ist auf Talfahrt, international wird eine lückenlose Aufklärung gefordert.

US-Chef: „Wir haben Mist gebaut“

Der Konzern räumte unterdessen das Fehlverhalten ein und versprach, mit den Behörden zu kooperieren. Der Chef von VW USA, Michael Horn, entschuldigte sich bereits. „Wir waren unehrlich“, sagte Horn am Montagabend (Ortszeit) bei der Präsentation eines neuen Passat-Modells in New York. „Wir waren unehrlich zur Umweltbehörde EPA, wir waren unehrlich zu den Behörden in Kalifornien und, am schlimmsten von allem, wir waren unehrlich zu unseren Kunden. Um es auf gut Deutsch zu sagen: Wir haben Mist gebaut.“

Warnung vor Jobabbau

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnte bereits vor einem Jobabbau bei dem Konzern. „Der Imageschaden wird VW nicht nur in den USA, sondern auch global teuer zu stehen kommen“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher der „Bild“-Zeitung (Dienstag-Ausgabe). „Damit werden auch Jobs bei VW und vielen Zulieferern in Deutschland gefährdet sein.“

Die möglichen Strafzahlungen für VW seien „noch das geringste der Probleme“. Fratzscher warnte, darüber hinaus könnten „auch andere deutsche Exporteure Schaden nehmen, denn VW war bisher ein Aushängeschild für Produkte made in Germany“. Es müsse nun dringend „um Schadensbegrenzung für VW und für deutsche Exporteure allgemein gehen“.

Affäre wird zum Politikum

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte eine schnelle Aufklärung. „Was VW anbelangt, so geht es angesichts der schwierigen Lage jetzt darum, volle Transparenz zu zeigen, den gesamten Vorgang aufzuklären“, sagte Merkel am Dienstag in Berlin. „Ich hoffe, dass möglichst schnell die Fakten auch auf den Tisch kommen.“ Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) setzt eine Untersuchungskommission ein. Die Kommission werde noch diese Woche nach Wolfsburg reisen, sagte Dobrindt am Dienstag in Berlin.

Volkswagen Mitarbeiter begutachtet einen Motor

Reuters/Alexander Natruskin

Ein Blick in die Produktion der Motoren

Infrastrukturminister Alois Stöger (SPÖ) sagte zum Skandal, dass sich technische Begutachter in Österreich die Fahrzeuge genau ansehen. „Wir überprüfen immer regelmäßig die Fahrzeuge“, verwies Stöger auf die Begutachtungsplakette. „Das, was VW hier in Amerika gemacht hat, geht gar nicht.“ Er gehe davon aus, dass in Österreich die Werte eingehalten werden, so Stöger am Dienstag vor dem Ministerrat gegenüber Journalisten.

Paris und London fordern Untersuchung auf EU-Ebene

Frankreich forderte jetzt eine Untersuchung auf europäischer Ebene. „Wir sind ein europäischer Markt mit europäischen Regeln. Und die müssen eingehalten werden“, sagte Finanzminister Michel Sapin am Dienstag dem Radiosender Europe 1. Die Untersuchung solle aber nicht nur VW betreffen. „Ich glaube, um die Menschen zu beruhigen, sollten wir sie auch auf die französischen Hersteller ausdehnen.“ Er habe aber keinen Anlass zu glauben, dass sich diese so wie VW verhalten hätten.

Auch die britische Regierung verlangte die EU zu Untersuchungen auf. Es sei unerlässlich, dass die Öffentlichkeit Vertrauen in Abgastests für Fahrzeuge habe, so Verkehrsminister Patrick McLoughlin am Dienstagabend. Er habe die Kommission in Brüssel aufgefordert, sich „dringend“ darum zu kümmern.

Eigene Ermittlungen in Italien

Die EU-Kommission nimmt den VW-Skandal sehr ernst und will mit den 28 Mitgliedsstaaten über mögliche Schritte beraten. „Wir müssen ganz sicher sein, dass die (Auto-)Industrie die Grenzwerte für Emissionen einhält“, sagte eine Sprecherin der Behörde am Dienstag in Brüssel. Es sei zur Zeit noch verfrüht, Schlussfolgerungen zu ziehen. „Ich möchte unterstreichen, dass wir das sehr ernst nehmen“, sagte sie. Abgasgrenzwerte und Tests werden auf EU-Ebene festgeschrieben. Die Durchsetzung, mögliche Rückrufe und Sanktionen liegen indes in der Verantwortung der EU-Staaten.

Inzwischen hat auch Südkorea angekündigt, drei Dieselmodelle von VW genauer zu untersuchen. Auch in Deutschland sollen alle Dieselfahrzeuge von VW auf die Einhaltung der Abgasvorschriften geprüft werden. Italien werde eigene Ermittlungen gegen den deutschen Autokonzern einleiten, teilte das Verkehrsministerium in Rom am Dienstag mit.

Medien: US-Justizministerium ermittelt ebenfalls

Die US-Umweltschutzbehörde EPA kündigte am Montag in Washington an, auch die Dieselfahrzeuge von anderen Autoherstellern unter die Lupe zu nehmen. Medienberichten zufolge leitete das US-Justizministerium strafrechtliche Ermittlungen ein, wie unter anderem das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf mit den Vorgängen vertraute Kreise berichtete. Die Umweltabteilung des US-Justizministeriums habe Ermittlungen eingeleitet.

Mit dem Skandal wird sich in den USA ein Ausschuss des US-Kongresses befassen. Das kündigten die beiden US-Politiker Fred Upton (Energie-u nd Handelsausschuss des Repräsentantenhauses) und Tim Murphy (Untersuchungsunterausschuss) in Washington an. In den kommenden Wochen wird danach eine Anhörung zu den Vorwürfen der EPA angesetzt. Das räumte VW inzwischen ein. „Das amerikanische Volk verdient Antworten und Zusicherungen, dass dies nicht wieder passiert“, hieß es in der Erklärung der beiden US-Kongressmitglieder.

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