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Enormer Aufwand erforderlich

Spätestens ab dem Jahr 2020 soll der Nicaragua Grand Canal über eine Länge von fast 280 Kilometern quer durch das mittelamerikanische Nicaragua führen und den Pazifik im Westen mit dem Atlantik im Osten verbinden. Soweit der ehrgeizige Plan. Allerdings wird zumindest die Zeit knapp, wenn das Mammutprojekt überhaupt realisiert wird.

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Die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg meldete nach genauerer Recherche und einem Lokalaugenschein zuletzt Zweifel daran an. Am südöstlichen Ufer des Nicaraguasees nahe der Grenze zu Costa Rica nehme das Landleben seinen Lauf, von einer Großbaustelle sei dort nichts zu sehen.

Dabei sei die kleine Stadt El Tule so etwas wie das Epizentrum des riesigen Kanalprojekts. Die Planung, wie sie vor zwei Jahren vom nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega dem chinesischen Unternehmen Hong Kong Nicaragua Canal Development (HKND) und dem laut Bloomberg eher „obskuren Geschäftsmann“ Wang Jing übertragen wurde, sieht vor, dass die Stadt von der Landkarte verschwindet wie zahlreiche andere auch. Außerdem müssten für die neue Wasserstraße Tausende Menschen umgesiedelt werden.

„Es wird keinen Kanal geben“

Der Kanal sollte 2020 fertig sein, das gesamte Projekt umfasst laut HKND nicht nur den Kanal selbst, sondern ein Kraftwerk, zwei Häfen, Flughafen, Straßen, Zement- und Stahlwerk, Ferienressort und Freihandelszone. Bisher hat das Unternehmen mit Sitz in Hongkong aber nicht viel mehr als Modellrechnungen dazu, wie sich der Kanal - nur wenige hundert Kilometer nördlich des Panamakanals - rentieren soll. Bagger war offenbar noch keiner zu sehen.

Bauern demonstrieren gegen den Kanalbau

APA/EPA/Jorge Torres

Tausende Bauern protestierten Mitte Juni gegen den Bau des Kanals

Bloomberg meldete Zweifel daran an, dass das Projekt jemals abgeschlossen würde. Die Einwohner von El Tule hätten seit Monaten keine Arbeiter zu Gesicht bekommen. Die Arbeit, die bisher geschehen sei, sei „marginal“, im letzten Jahr lediglich „eine Handvoll chinesischer Ingenieure“ zu sehen gewesen. Dazu sei noch eine provisorische Zufahrtsstraße etwas verbreitert worden. Ein lokaler Unternehmer hätte sogar ein neues Gästehaus erreichtet, da er überzeugt sei, dass der Kanal nie fertig werde: „Es wird keinen Kanal geben.“

Rentabel neben „neuem“ Panamakanal?

Sverre Svenning, Schifffahrtsexperte bei Fearnley Consultants in Oslo, hält einen zweiten Kanal neben den durch Panama für nicht rentabel. Der Ausbau des Panamakanals um etwa fünf Mrd. Dollar (etwa 4,5 Mrd. Euro) macht den für noch größere Schiffe befahrbar. Der Kanal - eröffnet 1914 - führt über 82 Kilometer durch das mittelamerikanische Land und verbindet den Atlantik mit dem Pazifik.

Außerdem gebe es große technische und geologische Herausforderungen, etwa die Vulkane entlang der geplanten Trasse, zitierte Bloomberg Eric Farnsworth, den Vizepräsidenten des Wirtschaftsverbandes Council of The Americas (AS/COA). „Ich bin sehr skeptisch.“ Außerdem gebe es Zweifel daran, dass der Kanal jemals tatsächlich hätte gebaut werden sollen, Verschwörungstheorien kursierten, berichtete Bloomberg: Ex-Guerilla-Chef Ortega wolle sich das Land unter den Nagel reißen, mit dem Megaprojekt die nächste Wahl gewinnen, China wolle sich einen Außenposten in der Region „gegen die US-Hegemonie“ sichern.

Bis zu 50 Mrd. Dollar für Bau veranschlagt

Wang, der Milliardär aus Hongkong, und sein Unternehmen hätten nur versichert, dass der Bau des Hafens an der Pazifikküste (im Westen) noch dieses Jahr beginnen werde, auch Manuel Colonel Kautz, Chef der neu geschaffenen Kanalbehörde in Managua, habe das bestätigt. Laut HKND wartet man noch auf die nicaraguanische Unterschrift unter eine Umweltverträglichkeitsprüfung und befindet sich derzeit auf der Suche nach internationalen Investoren für das Mammutprojekt. Ortegas Büro habe sich nicht geäußert.

Das Projekt mit einem Investitionsvolumen von geschätzt 50 Mrd. Dollar (rund 45 Mrd. Euro) wäre das größte Infrastrukturprojekt in der Region bisher. Pläne dafür hatte es schon vor vielen Jahren gegeben. Um den Kanal zu bauen, seien vier Mrd. Kubikmeter Erde und Steine auszuheben, es würden eine Mio. Tonnen Armierung und Stahl sowie vier Mrd. Kubikmeter Beton gebraucht. Schwere Arbeitsmaschinen wie Bagger und Planierraupen müssten importiert werden. Der Kanal soll 30 Meter tief sein. Laut Bloomberg entsprechen die Baukosten beinahe dem Fünffachen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Nicaraguas.

Enteignungen und Angst um die Umwelt

Der Kanal ist in Nicaragua nicht unumstritten. Umweltschützer laufen dagegen Sturm, es gibt Proteste gegen Enteignungen. Im Juni fand die bisher größte Demonstration dagegen mit etwa 15.000 Teilnehmern statt. Zu sehen waren dabei laut Medienberichten Flaggen und Schilder mit Aufschriften wie „Raus mit den Chinesen“. Die Demonstranten warfen Präsident Ortega vor, das „Vaterland zu verkaufen“. Nach Schätzungen müssen dem Kanal - sollte er tatsächlich fertiggebaut werden - rund 30.000 Bauern und Indigene weichen. Umweltschützer haben durch die Schifffahrt Angst um den Nicaraguasee, das größte Süßwasserreservoir Zentralamerikas.

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