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„Massiver Eingriff“

Die monatelange Suche nach menschenwürdigen und wetterfesten Quartieren für Flüchtlinge in Österreich soll mit dem Durchgriffsrecht des Bundes ein Ende haben. Anfang Oktober soll das neue Gesetz in Kraft treten. Die meisten Landeshauptleute äußerten sich kritisch und sprechen von starken Eingriffen des Bundes.

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Mit Unterstützung der Grünen einigten sich SPÖ und ÖVP auf den Entwurf für ein neues Verfassungsgesetz, das die Unterbringung von Asylwerbern regelt. In Ländern, die säumig bleiben, soll künftig der Bund selbst Quartiere für Flüchtlinge errichten können - auch gegen den Willen von Ländern und Gemeinden.

Der stellvertretende Landeshauptmann im Burgenland, Johann Tschürtz (FPÖ), sieht mit diesem geplanten Gesetz einen Widerspruch zur 15a-Vereinbarung. Damit werde der „gesetzliche Konsultationsmechanismus absolut übergangen“. Er will eine Volksbefragung darüber, ob eine Verfassungsklage eingebracht werden soll. Der Befragung und der Klage stand Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) im Ö1-Mittagsjournal zurückhaltend gegenüber. Man werde prüfen, ob es dazu einen realen Hintergrund gebe - mehr dazu in oe1.ORF.at. Niessl: „Man darf keine Schmähbefragung machen.“

„Kann Asylfrage nicht lösen“

Doch auch Niessl lehnt die Verfassungsänderung ab: „Ich finde das Durchgriffsrecht nicht in Ordnung. Die Raumplanung, die Gemeindeautonomie, das ist ein ganz großer und wichtiger Stellenwert. Und ich denke, dass man mit einem Durchgriffsrecht auch die Asylfrage nicht lösen kann“ - mehr dazu in burgenland.ORF.at. Niessl will auf die Kooperation mit den Bürgermeistern setzen.

Den Vorwurf aus dem offenen Brief eines burgenländischen Bürgermeisters, dass Niessl aus einem hochsensiblen Thema „politisches Kleingeld“ schlage, wehrte der Landeshauptmann ab. Der Bürgermeister habe die burgenländische Asylpolitik nicht verstanden. Niessl wehrt sich gegen Großquartiere in kleinen Gemeinden und die im Entwurf zu dem neuen Verfassungsgesetz festgeschriebene Möglichkeit, bis zu 450 Asylwerber in einer Gemeinde unterzubringen.

„Schwerer Eingriff in Verfassung“

Mit wenigen Ausnahmen stehen die Länder dem Durchgriffsrecht kritisch gegenüber. Nach dem derzeitigen Stand wären bis auf Wien und Vorarlberg alle Bundesländer betroffen. Nur in der Bundeshauptstadt und im westlichsten Bundesland wird die Quote erfüllt, die anderen sind säumig.

Als „schweren Eingriff in die Verfassung“ bezeichnete der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) den Plan des Bundes. Der Schritt sei vor dem Hintergrund strenger Kriterien, einer zeitlichen Befristung und der vorgesehenen Anhörung der Länder aber verständlich. Weniger verständnisvoll gibt sich der Salzburger Gemeindeverband-Präsident Günther Mitterer: „Bei diesem plan- und konzeptlosen Gehabe der Bundesregierung kann ich einfach nicht zustimmen“ - mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Druck auf Quotenerfüllung

Auch Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) spricht von einem „massiven Eingriff“ in die Kompetenzen von Ländern und Gemeinden und lehnt den Vorstoß des Bundes ab - mehr dazu in tirol.ORF.at. Durch eine reine Kompetenzänderung werde das Problem nicht gelöst, so Platter: „Für mich ist nicht vorstellbar, dass der Bund bei der Ansiedlung von Flüchtlingen auf das Einvernehmen mit den Gemeinden, so wie wir das bisher in Tirol pflegen, verzichten kann.“ Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) will eine Beschränkung des Durchgriffsrechts auf ein Jahr - mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Für Pühringer „Notmaßnahme“

Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer ist überzeugt, dass die Länder bis Oktober die geforderten Quartiere für Flüchtlinge aufstellen können.

Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) akzeptiert das Durchgriffsrecht nur als „absolute Notmaßnahme“. Oberösterreich werde bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Oktober die Quote erfüllen, zeigte sich Pühringer im Ö1-Morgenjournal überzeugt: „Alle Länder werden sich anstrengen, dass es de facto nicht zum Durchgriffsrecht kommen wird“ - mehr dazu in ooe.ORF.at. Sein Land habe mit zusätzlichen Containern bereits vorgesorgt. Die mit dem Durchgriffsrecht beschlossenen niedrigeren Raumordnungshürden erleichterten die Schaffung von Quartieren, so Pühringer.

Akzeptanz, aber keinen Jubel sieht Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP). Im Anwendungsfall müssten jedenfalls die Gemeinden „gehört und eingebunden“ werden. Die Bürgermeister wollten hingegen weiter versuchen, die Quote gemeinsam zu erfüllen - ohne Druck und Zwang. Bei dem Durchgriffsrecht handle es sich um einen großen Eingriff in die Autonomie der Gemeinden - mehr dazu in vorarlberg.ORF.at

Pröll hält Durchgriffsrecht für gerechtfertigt

Grundsätzlich für ein Durchgriffsrecht sprach sich der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) aus. Er nehme es „zur Kenntnis“. Wie seine Kollegen fordert er aber erneut eine „solidarische europäische Flüchtlingsquote“ - mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Nur wenige Landeshauptleute halten das vorgesehene Durchgriffsrecht des Bundes für gerechtfertigt. „Das Gesetz ist okay“, heißt es von Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ). Auch Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) steht dem Gesetz offen gegenüber: „Die extreme nationale Herausforderung erfordert eine gemeinsame nationale Anstrengung und rechtfertigt diese Maßnahme“ - mehr dazu in noe.ORF.at. Damit stellt er sich als einer der wenigen hinter ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Sie habe das Durchgriffsrecht bereits vor zwei Monaten eingebracht, sagte diese im Ö1-Mittagsjournal. Aber: „Besser spät als nie.“

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